Entscheidungsstichwort (Thema)
Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Fristberechnung. Fristbeginn. Wochenende. Feiertag
Leitsatz (amtlich)
Wird die Frist zur Begründung der Berufung um einen bestimmten Zeitraum verlängert und fällt der letzte Tag der ursprünglichen Frist auf einen Samstag, Sonntag oder allgemeinen Feiertag, so beginnt der verlängerte Teil der Frist erst mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags (Bestätigung von BGH, Beschl. v. 1.6.1956 - V ZB 8/56, BGHZ 21, 43, 44; BGH, Beschl. v. 14.12.2005 - IX ZB 198/04, NJW 2006, 700, 701; BGH, Beschl. v. 15.8.2007 - XII ZB 82/07, NJW-RR 2008, 76, 77).
Normenkette
ZPO § 520 Abs. 2, § 222 Abs. 2, § 224 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Beschluss vom 12.08.2008; Aktenzeichen 21 S 90/08) |
AG Langen (Hessen) (Urteil vom 21.04.2008; Aktenzeichen 58 C 531/07 (70)) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 21. Zivilkammer des LG Darmstadt vom 12.8.2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Wert des Beschwerdeverfahrens: 3.541,97 EUR
Gründe
I.
[1] Das AG hat die Beklagten durch Urteil vom 21.4.2008 als Gesamtschuldner verurteilt, 3.541,97 EUR nebst Zinsen sowie weitere 338,50 EUR an die Klägerin zu zahlen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 29.4.2008 zugestellt worden. Die Beklagten haben rechtzeitig Berufung gegen dieses Urteil eingelegt. Mit einem am 30.6.2008 (Montag) per Telefax beim zuständigen LG eingegangenen Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom gleichen Tage haben sie beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung um einen Monat zu verlängern. Das LG hat die Berufungsbegründungsfrist durch Verfügung des Kammervorsitzenden vom 1.7.2008 "auf Antrag ... um einen Monat" verlängert. Die Berufungsbegründungsschrift ist am 30.7.2008 per Telefax beim LG eingegangen. Durch Beschluss vom 12.8.2008 hat das LG die Berufung als unzulässig verworfen und zugleich den nach vorherigem Hinweis vorsorglich gestellten Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagten hätten die Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht eingehalten, die am 29.7.2008 abgelaufen sei. Zwar sei der Antrag der Beklagten auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wegen § 222 Abs. 2 ZPO noch rechtzeitig eingegangen. Darauf komme es jedoch nicht an, weil die Frist für die Berufungsbegründung mit der Zustellung des Urteils beginne und nicht von dem Zeitpunkt der Beantragung der Fristverlängerung zu berechnen sei. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
II.
[2] Die gem. §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil die angefochtene Entscheidung von der gefestigten Rechtsprechung des BGH abweicht und den Anspruch der Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt.
[3] Die Beklagten haben ihre Berufung entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts rechtzeitig innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO begründet. Die durch die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 29.4.2008 in Gang gesetzte Berufungsbegründungsfrist ist auf Antrag der Beklagten vom 30.6.2008 durch Verfügung des Kammervorsitzenden vom 1.7.2008 um einen Monat bis zum 30.7.2008 verlängert und durch den Eingang der Berufungsbegründungsschrift beim Berufungsgericht am 30.7.2008 gewahrt worden.
[4] 1. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass die Beklagten rechtzeitig auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist angetragen haben (§ 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO lief ursprünglich gem. § 222 Abs. 2 ZPO am 30.6.2008 ab, weil der 29.6.2008 ein Sonntag war.
[5] 2. Unzutreffend ist die Auffassung des Berufungsgerichts, der sodann um einen Monat verlängerte Teil der Frist habe gleichwohl bereits am 29.6.2008 begonnen und somit am 29.7.2008 geendet.
[6] Der BGH hat bereits 1956 entschieden, dass in den Fällen, in denen die Frist zur Begründung der Berufung um einen bestimmten Zeitraum verlängert wird und der letzte Tag der ursprünglichen Frist auf einen Samstag, Sonntag oder allgemeinen Feiertag fällt, der verlängerte Teil der Frist erst mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags beginnt (BGH, Beschl. v. 1.6.1956 - V ZB 8/56, BGHZ 21, 43, 44). An diesem Grundsatz hat er seither in ständiger Rechtsprechung festgehalten (BGH, Beschl. v. 14.12.2005 - IX ZB 198/04, NJW 2006, 700, 701 - unter ausdrücklicher Ablehnung der entgegenstehenden Entscheidung des OLG Rostock, Beschl. v. 28.7.2003 - 3 U 151/03, NJW 2003, 3141, 3142; BGH, Beschl. v. 15.8.2007 - XII ZB 82/07, NJW-RR 2008, 76, 77; vgl. auch zuletzt: BGH, Beschl. v. 30.4.2008 - III ZB 85/07, NJW-RR 2008, 1162, 1163). Die Literatur ist einhellig derselben Auffassung (MünchKomm/ZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 222 Rz. 5; Zöller/Heßler, ZPO, 27. Aufl., § 520 Rz. 25; Zöller/Stöber, ZPO, 27. Aufl., § 224 Rz. 5; Musielak/Ball, ZPO, 6. Aufl., § 520 Rz. 15; Musielak/Stadler, ZPO, 6. Aufl., § 224 Rz. 5; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 224 Rz. 11; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 67. Aufl., § 224 Rz. 10; Thomas/Putzo/Reichhold, ZPO, 29. Aufl., § 520 Rz. 14).
[7] Der Senat sieht keinen Anlass für eine Änderung dieser Rechtsprechung, die das Berufungsgericht erkennbar nicht wahrgenommen hat.
[8] 3. Die um einen Monat verlängerte Berufungsbegründungsfrist endete nach diesen Grundsätzen mit Ablauf des 30.7.2008. Auf die Beantwortung der von der Rechtsbeschwerde ergänzend aufgeworfenen Frage nach dem objektiven Inhalt der gerichtlichen Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist kommt es nicht an.
[9] Weil die Beklagten ihre Berufung demnach rechtzeitig begründet haben, hätte das Berufungsgericht sie nicht gem. § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO durch Beschluss als unzulässig verwerfen dürfen. Der Beschluss war somit aufzuheben und die Sache war zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Der von den Beklagten im Berufungsverfahren hilfsweise wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedarf es nicht. Insoweit ist die Entscheidung des Berufungsgerichts gegenstandslos.
Fundstellen
Haufe-Index 2143336 |
HFR 2009, 838 |
BGHR 2009, 638 |
BauR 2009, 1177 |
EBE/BGH 2009, 116 |
FamRZ 2009, 868 |
NJW-RR 2010, 211 |
FA 2009, 145 |
MDR 2009, 644 |
VersR 2009, 1645 |
WuM 2009, 316 |
ZfBR 2009, 455 |
ZfS 2010, 89 |
GV/RP 2009, 579 |
KomVerw 2009, 229 |
PA 2009, 78 |
FuBW 2009, 619 |
FuHe 2009, 582 |
Mitt. 2009, 246 |