Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei vorhersehbarer Erkrankung
Leitsatz (amtlich)
Ist ein Rechtsanwalt infolge vorhersehbarer Erkrankungen (hier: öfters auftretende Sehstörungen) gehindert, fristwahrende Schriftsätze zu fertigen, muss er durch Bestellung eines Vertreters für deren Erledigung sorgen oder zumindest in anderer Weise sicherstellen, dass rechtzeitig Fristverlängerung beantragt werden kann.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
LG Osnabrück (Beschluss vom 14.06.2005; Aktenzeichen 1 S 286/04) |
AG Meppen (Urteil vom 12.03.2004; Aktenzeichen 8 C 1479/03) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des LG Osnabrück vom 14.6.2005 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 2.258 EUR
Gründe
[1]I.
Die Klägerin hat gegen das am 25.3.2004 zugestellte Urteil des AG rechtzeitig Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist ist auf Antrag ihres Prozessbevollmächtigten zuletzt bis zum 9.7.2004 verlängert worden. Die Berufungsbegründung ist am Montag, den 12.7.2004, bei dem Berufungsgericht eingegangen. Am gleichen Tag hat die Klägerin ebenfalls per Fax Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihr Prozessbevollmächtigter leide seit einiger Zeit unter sporadisch auftretenden, akuten Sehstörungen, die dazu führten, dass er nicht einmal mehr das Schriftbild in Akten und Büchern erkennen könne. Deshalb habe ihr Prozessbevollmächtigter sich in den letzten Monaten einer Vielzahl von medizinischen Untersuchungen unterziehen müssen und auch die zweite Fristverlängerung beantragt. Die Berufungsbegründung sei bis zum 9.7.2004 weitgehend fertig gestellt gewesen und habe nur noch einer Überarbeitung bedurft. Als ihr Prozessbevollmächtigter nach Büroschluss am Freitag, den 9.7.2004, die Berufungsbegründung habe fertig stellen wollen, seien erneut akute Sehstörungen aufgetreten, weshalb die Berufungsbegründung am 9.7.2004 nicht habe fertig gestellt werden können, sondern erst am darauf folgenden Montag, den 12.7.2004. Aufgrund der Sehstörungen habe ihr Prozessbevollmächtigter auch keinen weiteren Verlängerungsantrag innerhalb der Frist mehr abfassen können.
[2]Das LG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin, mit der sie ihr Wiedereinsetzungsgesuch weiter verfolgt und die Aufhebung der vom LG ausgesprochenen Verwerfung der Berufung erstrebt.
[3]II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt.
[4]Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht weder auf der Verletzung von Verfahrensgrundrechten, namentlich des Rechts auf Gewähr rechtlichen Gehörs (BGHZ 151, 221 [226 f.]), noch verletzt sie den Anspruch der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, BGH, Beschl. v. 23.10.2003 - V ZB 28/03, BGHReport 2004, 266 = MDR 2004, 408 = NJW 2004, 367 [368]).
[5]Das Berufungsgericht ist aufgrund des Vortrags des Prozessbevollmächtigten der Klägerin in dem Wiedereinsetzungsgesuch vom 12.7.2004 davon ausgegangen, dass dieser seit einiger Zeit unter sporadisch auftretenden akuten Sehstörungen leidet und sich deshalb in den letzten Monaten einer Vielzahl von medizinischen Untersuchungen unterziehen musste. Das Berufungsgericht hat deshalb angenommen, der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sei verpflichtet gewesen, durch Bestellung eines Vertreters dafür Sorge zu tragen, dass die fristgebundenen Arbeiten für den Fall einer erneut auftretenden Sehstörung ordnungsgemäß erledigt werden konnten.
[6]Diese Annahme des Berufungsgerichts steht in Einklang mit der Rechtsprechung des BGH. Danach schließt die Krankheit eines Prozessbevollmächtigten das Verschulden der Versäumung einer Frist nur dann aus, wenn die Erkrankung für den Prozessbevollmächtigten nicht vorhersehbar war (BGH, Beschl. v. 11.3.1991 - II ZB 1/91, VersR 1991, 1270 f., m.w.N.; v. 26.2.1996 - II ZB 7/95, NJW 1996, 1540 [1541]; v. 8.2.2000 - XI ZB 20/99, Juris).
[7]Das war hier nach dem eigenen Vortrag des Prozessbevollmächtigten im Wiedereinsetzungsgesuch nicht der Fall. Auch bei Berücksichtigung seines weiteren, erst nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses vom 14.6.2005 erfolgten Vortrags zu den Einzelheiten seiner Erkrankung ist eine andere Beurteilung nicht angezeigt. Nachdem die massiven Sehstörungen wiederholt plötzlich aufgetreten waren, musste der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auch dann, wenn ab Ende Mai und nach Verordnung einer Brille bis zum 9.7.2004 keine Sehstörung mehr aufgetreten war, jedenfalls noch im Juli 2004 damit rechnen, dass die plötzlichen Sehstörungen wieder auftreten können. Er war deshalb verpflichtet, durch Bestellung eines Vertreters für die Erledigung der fristgebundenen Arbeiten Sorge zu tragen oder zumindest sicherzustellen, dass rechtzeitig ein Fristverlängerungsantrag gestellt werden konnte.
Fundstellen
Haufe-Index 1526976 |
HFR 2006, 1045 |
NJW 2006, 2412 |
Inf 2007, 210 |
BGHR 2006, 1050 |
FamRZ 2006, 1106 |
FuR 2006, 519 |
FA 2006, 246 |
DAR 2007, 29 |
MDR 2006, 1362 |
VersR 2007, 520 |
BRAK-Mitt. 2006, 167 |
SJ 2007, 45 |