Leitsatz (amtlich)
Der Eröffnungsantrag eines Nachlasspflegers ist zulässig, wenn er eine Überschuldung des Nachlasses in substantiierter, nachvollziehbarer Form darlegt; eine Schlüssigkeit im technischen Sinne ist nicht erforderlich.
Normenkette
InsO § 13 Abs. 1, § 317
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Duisburg vom 9.3.2004 aufgehoben.
Auf die sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten wird der Beschluss des AG Duisburg vom 2.2.2004 aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Insolvenzgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.260 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
[1] Das zuständige Nachlassgericht hat den Antragsteller mit Beschluss vom 6.6.2002 als Nachlasspfleger für die unbekannten Erben des verstorbenen D. bestellt. Als Wirkungskreis wurde die Sicherung und Verwaltung des Nachlasses bestimmt. Die Ehefrau, die Tochter, die Eltern sowie der Bruder des Erblassers haben die Erbschaft ausgeschlagen.
[2] Mit einem am 27.11.2003 beim Insolvenzgericht eingegangenen Antrag hat der Antragsteller die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass des Verstorbenen wegen Überschuldung beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, der Nachlass bestehe aus Wohnungseinrichtungsgegenständen, die die Ehefrau übernommen habe, sowie aus dem Erlös dreier älterer Kraftfahrzeuge i.H.v. 1.260 EUR abzgl. Verwertungskosten. Demgegenüber beliefen sich die Verbindlichkeiten des Erblassers auf 28.097,89 EUR, 5.259,49 EUR und 4.109,98 EUR bei drei verschiedenen Kreditinstituten.
[3] Das Insolvenzgericht hat nach Beiziehung der Nachlassakten den Antragsteller mit Verfügung vom 22.1.2004 darauf hingewiesen, ein Eröffnungsgrund sei nicht hinreichend dargetan. Es fehle insb. an einer ordnungsgemäßen Nachlassübersicht. Auch sei es erforderlich, die näheren beruflichen und persönlichen Lebensumstände des Erblassers in den letzten Jahren darzustellen, soweit sie für die Beurteilung der Vermögensverhältnisse bedeutsam sein können. Hierauf teilte der Antragsteller mit, er habe in seinem Insolvenzantrag bereits eine vollständige Nachlassübersicht gegeben. Nähere berufliche und persönliche Lebensumstände seien nicht bekannt.
[4] Mit Beschluss vom 2.2.2004 hat das Insolvenzgericht den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückgewiesen. Das LG hat die sofortige Beschwerde des Antragstellers für sachlich unbegründet erachtet. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit der Rechtsbeschwerde.
II.
[5] Die gem. §§ 6, 7 InsO, § 574 Abs. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.
[6] 1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, nach § 317 Abs. 1 InsO könne ein Nachlasspfleger die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragen. Hierbei seien die Voraussetzungen des Insolvenzgrundes von dem Antragsteller auch im Falle des Antrags auf Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens nachvollziehbar darzustellen. Diesen Anforderungen genüge der Antrag nicht. Es fehle insb. an einer Darstellung der näheren Lebensumstände des Verstorbenen, der Art der Auffindung des Nachlasses sowie der Bemühungen des Antragstellers zur vollständigen Erfassung des Nachlasses. Auch habe der Antragsteller davon abgesehen, nachvollziehbare Angaben zu Bankkonten und etwaigen regelmäßigen Einkünften des Verstorbenen zu machen.
[7] 2. Diese Beurteilung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht Stand.
[8] a) Für das allgemeine Insolvenzverfahren ist anerkannt, dass der Schuldner entsprechend § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 4 InsO einen Eröffnungsgrund in substantiierter, nachvollziehbarer Form darzulegen hat. Erforderlich - aber auch genügend - ist die Mitteilung von Tatsachen, welche die wesentlichen Merkmale eines Eröffnungsgrundes i.S.v. §§ 17 f InsO erkennen lassen. Die tatsächlichen Angaben müssen die Finanzlage des Schuldners nachvollziehbar darstellen, ohne dass sich daraus bei zutreffender Rechtsanwendung schon das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes ergeben muss; eine Schlüssigkeit im technischen Sinne ist nicht vorauszusetzen. Der Schuldner muss - wie sich im Umkehrschluss aus § 14 Abs. 1 InsO ergibt - den Eröffnungsgrund nicht glaubhaft machen (BGH v. 12.12.2002 - IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205, 207 = MDR 2003, 475 = BGHReport 2003, 408 m. Anm. Uhlenbruck; Kirchhof in HK/InsO 4. Aufl., § 13 Rz. 20). Im Zulassungsverfahren besteht noch keine Amtsermittlungspflicht gem. § 5 InsO. Diese greift erst ein, wenn ein zulässiger Eröffnungsantrag vorliegt (BGH v. 12.12.2002 - IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205, 207 = MDR 2003, 475 = BGHReport 2003, 408 m. Anm. Uhlenbruck; BGH, Beschl. v. 10.4.2003 - IX ZB 586/02, ZIP 2003, 1005). Genügt ein Antrag den vorstehend angeführten Mindesterfordernissen nicht, hat das Insolvenzgericht den Schuldner auf den Mangel hinzuweisen und eine Frist zu dessen Behebung zu setzen; nach fruchtlosem Ablauf darf - und muss - es den Antrag als unzulässig zurückweisen (BGH v. 12.12.2002 - IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205, 207 f. = MDR 2003, 475 = BGHReport 2003, 408 m. Anm. Uhlenbruck; Kirchhof in HK/InsO, a.a.O.; HambKomm-InsO/Wehr § 13 Rz. 10).
[9] b) Diese Grundsätze finden auch auf die Antragstellung eines Nachlasspflegers gem. § 317 Abs. 1 InsO Anwendung, wenn diesem die Sicherung und Verwaltung des Nachlasses obliegt.
[10] aa) § 317 InsO bestimmt die Antragsberechtigten für die Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens. Für die Einzelheiten der Antragstellung gelten die Grundregeln der §§ 13 und 14 InsO (Kübler/Prütting/Kemper, InsO § 317 Rz. 3), wie auch im Übrigen die Sonderregelungen des Nachlassinsolvenzverfahrens durch die allgemeinen Vorschriften der Insolvenzordnung zur Regelinsolvenz ergänzt werden (Graf-Schlicker/Messner, InsO vor §§ 315 bis 331 Rz. 2; MünchKomm/InsO/Siegmann vor §§ 315 bis 331 Rz. 1; HambKomm-InsO/Böhm Vorbem. zu §§ 315 ff. Rz. 1; Uhlenbruck/Lüer, InsO 12. Aufl., § 315 Rz. 1).
[11] bb) Wird der Nachlasspfleger allgemein mit der Sicherung und Verwaltung betraut, gehört es insb. zu seinen Pflichten, den Nachlass zu erhalten und zu verwalten und die Vermögensinteressen der noch festzustellenden Erben wahrzunehmen. Dazu hat er namentlich kraft Amtes den Nachlass an sich zu nehmen (vgl. BGH, Urt. v. 6.10.1982 - IVa ZR 166/81, MDR 1983, 206 = NJW 1983, 226; Palandt/Edenhofer, BGB 66. Aufl., § 1960 Rz. 13). Um diesen Aufgaben ordnungsgemäß nachzukommen, muss sich der Nachlasspfleger zuvor einen allgemeinen Überblick über die näheren Lebens- und Einkommensverhältnisse des Erblassers verschaffen. Nur aufgrund der dabei gewonnenen Erkenntnisse ist er in der Lage, den Nachlass vollständig zu erfassen. Der Nachlasspfleger ist demnach, ebenso wie der Schuldner, regelmäßig imstande, die Vermögensverhältnisse in substantiierter, nachvollziehbarer Form darzulegen.
[12] c) Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller hinreichende Tatsachen vorgetragen, welche die wesentlichen Merkmale des Eröffnungsgrundes der Überschuldung erkennen lassen.
[13] Aus den Angaben in der Antragsschrift ergibt sich, dass der Erblasser mit Ausnahme der zwischenzeitlich veräußerten Kraftfahrzeuge und des von seiner Ehefrau übernommenen Hausrats über keine nennenswerten Vermögensgegenstände verfügt hat. Der Gesamterlös für die Kraftfahrzeuge betrug lediglich 1.800 EUR und stimmte, wie sich aus den weiteren Angaben in der Nachlassakte, die das Insolvenzgericht zu Recht beigezogen hatte, mit den vom Antragsteller in der Antragsschrift angeführten Pkw-Wertgutachten überein. Dem Nettobetrag von 1.260 EUR hat der Antragsteller Bankverbindlichkeiten von insgesamt 37.468,36 EUR gegenübergestellt. Hieraus sowie aus dem weiter vom Antragsteller mitgeteilten Hinweis, dass die bisher bekannten Erben die Erbschaft ausgeschlagen haben, was durch die angeführte Nachlassakte bestätigt wird, ergaben sich hinreichende Anzeichen dafür, dass der Nachlass überschuldet ist. Bei diesem Verfahrensstand war die Schwelle vom Zulassungs- zum Eröffnungsverfahren bereits überschritten (vgl. BGH v. 12.12.2002 - IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205, 208 = MDR 2003, 475 = BGHReport 2003, 408 m. Anm. Uhlenbruck; Kübler/Prütting, InsO § 20 Rz. 34). Daher durfte das Insolvenzgericht den gestellten Antrag nicht als unzulässig zurückweisen, was auch das Beschwerdegericht nicht hinreichend beachtet hat.
[14] d) Wenn das Insolvenzgericht gleichwohl die Voraussetzungen eines Eröffnungsgrundes noch nicht als gegeben ansieht, hat es in Ausübung der ihm obliegenden Amtsermittlungspflicht nunmehr eigenständig aufzuklären, ob der Eröffnungsantrag begründet ist (vgl. BGH v. 12.12.2002 - IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205, 208 = MDR 2003, 475 = BGHReport 2003, 408 m. Anm. Uhlenbruck). Dazu stehen ihm ggf. die Mittel des § 20 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. §§ 97, 98, 101 InsO zur Verfügung. Insoweit ist das Beschwerdegericht zutreffend davon ausgegangen, dass für die vom Insolvenzgericht verlangte Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrundes bei einem Antrag durch den Nachlasspfleger kein Raum ist (vgl. BGH v. 12.12.2002 - IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205, 207 = MDR 2003, 475 = BGHReport 2003, 408 m. Anm. Uhlenbruck).
[15] e) Der Senat hält es für angezeigt, die Zurückverweisung in die erste Instanz auszusprechen (BGHZ 160, 176, 185 f.; BGH, Beschl. v. 4.11.2004 - IX ZB 70/03, BGHReport 2005, 405 = MDR 2005, 415 = ZVI 2004, 743, 744; Beschl. v. 2.6.2005 - IX ZB 287/03, BGHReport 2005, 1274 = MDR 2005, 1305 = ZVI 2006, 29, 30).
Fundstellen
Haufe-Index 1784662 |
BGHR 2007, 1146 |
EBE/BGH 2007 |
FamRZ 2007, 1648 |
EWiR 2008, 111 |
WM 2007, 1754 |
WuB 2008, 77 |
ZAP 2007, 1083 |
ZEV 2007, 587 |
ZIP 2007, 1868 |
DZWir 2007, 482 |
MDR 2007, 1342 |
NZI 2008, 37 |
NZI 2008, 6 |
Rpfleger 2007, 620 |
ZInsO 2007, 887 |
ZErb 2007, 385 |
ZVI 2007, 612 |