Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendiger Inhalt einer Berufungsschrift
Leitsatz (redaktionell)
Zur Einlegung der Berufung ist es ausreichend, wenn sich aus dem Schriftsatz – wenn auch nur aus der Fax-Absendezeile – ergibt, wer für wen die Berufung eingelegt hat, vorausgesetzt eine Berufung des anderen Prozessbeteiligten ist offensichtlich unzulässig.
Normenkette
ZPO § 519 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 11.07.2003) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des OLG Frankfurt am Main, 22. Zivilsenat in Darmstadt, v. 11.7.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur Entscheidung über die Berufung und über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Klägerin hat die Beklagte auf Zahlung von 8.095,18 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 24.10.2001 in Anspruch genommen. Nachdem die Beklagte anerkannt hatte, in der Hauptsache einen Betrag von 937,03 Euro zu schulden, hat das LG insoweit antragsgemäß Teil-Anerkenntnisurteil erlassen. Durch Schlussurteil v. 5.3.2003, das beiden Parteien am 18.3.2003 zugestellt worden ist, ist die Beklagte dazu verurteilt worden, auf den anerkannten Betrag von 937,03 Euro Zinsen i. H. v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 24.10.2001 zu zahlen; die weiter gehende Klage ist abgewiesen worden.
Durch Schriftsatz v. 14.4.2003, beim OLG eingegangen am 15.4.2003, hat die Rechtsanwältin W. "in dem Rechtsstreit K. GmbH ./. Autohaus S. GmbH - 20 O 343/02 LG D. -" Berufung eingelegt mit dem Zusatz "eine beglaubigte Abschrift des erstinstanzlichen Urteils füge ich bei".
Mit Beschl. v. 11.7.2003 hat das OLG die Berufung als unzulässig verworfen, weil die Berufungsschrift nicht erkennen lasse, welche Partei Berufungsklägerin sei. Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig; insbesondere ist sie nach § 522 Abs. 1 S. 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft, und zwar unbeschadet dessen, dass die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erreicht ist (BGH, Beschl. v. 4.9.2002 - VIII ZB 23/02, BGHReport 2002, 1113 = MDR 2002, 1446 = NJW 2002, 3783; Beschl. v. 19.9.2002 - V ZB 31/02, MDR 2003, 46 = BGHReport 2002, 1112 = NJW-RR 2003, 132).
Sie ist auch im Übrigen zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
1. Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass zum notwendigen Inhalt der Berufungsschrift gem. § 519 Abs. 2 ZPO (§ 518 Abs. 2 ZPO a.F.) auch die Angabe gehört, für und gegen welche Partei das Rechtsmittel eingelegt wird; aus der Berufungsschrift muss entweder für sich allein oder mit Hilfe weiterer Unterlagen bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig zu erkennen sein, wer Berufungskläger und wer Berufungsbeklagter sein soll. Dabei sind vor allem an die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers strenge Anforderungen zu stellen; bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung muss jeder Zweifel an der Person des Rechtsmittelklägers ausgeschlossen sein. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die erforderliche Klarheit über die Person des Berufungsklägers ausschließlich durch dessen ausdrückliche Bezeichnung zu erzielen wäre; sie kann auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst vorliegenden Unterlagen gewonnen werden. Dabei sind, wie auch sonst bei der Ausdeutung von Prozesserklärungen, alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen (BGH, Urt. v. 19.2.2002 - VI ZR 394/00, BGHReport 2002, 518 = MDR 2002, 713 = NJW 2002, 1430 f.).
2. Bei Würdigung aller Umstände kann vorliegend, auch wenn die Berufungsschrift selbst hierzu keine konkreten Angaben enthält, kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass Rechtsanwältin W. für die Klägerin Berufung eingelegt hat.
a) Insoweit ist freilich ohne Belang, dass der Geschäftsstellenbeamte, der zum Zwecke der Eintragung in das Prozessregister im Büro der zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten telefonisch nachgefragt hatte, auf der Berufungsschrift beim Namen der Klägerin den Stempelaufdruck "Berufungskläger" und bei der Beklagten den Stempelaufdruck "Berufungsbeklagter" angebracht sowie im Text des Schriftsatzes zwischen den Worten "lege ich" und "gegen das Urteil" handschriftlich mit Rotstift die Worte "für Kläger" eingefügt hat. Denn nach der Rechtsprechung des BGH dürfen mündliche oder telefonische Angaben der Partei zur Ergänzung einer unvollständigen Berufungsschrift auch dann nicht berücksichtigt werden, wenn sie bei Gericht aktenkundig gemacht werden (BGH, Beschl. v. 4.6.1997 - VIII ZB 9/97, MDR 1997, 875 = NJW 1997, 3383).
b) Bei der rechtlichen Würdigung im Übrigen ist davon auszugehen, dass nach Aktenlage der Berufungsschrift das erstinstanzliche Urteil vollständig beigefügt war. Zwar ist in den Vorakten der Berufungsschrift selbst (Bl. 154d.A.) nur die erste Seite des Berufungsurteils angefügt (Bl. 155d.A.), während die nachfolgenden drei Seiten erst nach dem angefochtenen Beschluss (Bl. 155 ff. d.A.) in die Akten eingeheftet worden sind (Bl. 185-187d.A.).
Indes lässt sich den auf Grund der Nachfragen der Klägerin gefertigten Aktenvermerken der betreffenden Geschäftsstellenbeamten entnehmen, dass das angefochtene Urteil in Gänze mitgeteilt worden war. Dem entspricht auch der in der Berufungsschrift gemachte Zusatz, dass eine beglaubigte Abschrift des erstinstanzlichen Urteils beigefügt sei, wobei der Stempelaufdruck "Beglaubigte Abschrift" auf der ersten Seite der Urteilskopie und der Stempelaufdruck "Beglaubigt .... Rechtsanwältin" nebst Unterschrift der Rechtsanwältin W. auf der letzten Seite der Urteilskopie enthalten ist.
c) Bezüglich der Ausdeutung der Berufungseinlegung weist die Rechtsbeschwerde zunächst zu Recht darauf hin, dass schon auf Grund des Tenors der angefochtenen Entscheidung vieles dafür spricht, dass nur die Klägerin als Rechtsmittelführerin in Betracht kommt, da eine Berufung der Beklagten, die nur zu einer geringfügigen Zinszahlung weit unter dem Betrag von 600 Euro (vgl. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) verurteilt worden ist, offensichtlich unzulässig gewesen wäre. Entscheidend kommt jedoch hinzu - was das Berufungsgericht bei seiner Würdigung nicht berücksichtigt hat -, dass im Rubrum des angefochtenen Urteils als Prozessbevollmächtigter der Klägerin Rechtsanwalt M. H. angegeben ist und auf allen Seiten der Urteilskopie, die ersichtlich mittels Telefax der zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten übermittelt worden ist, am oberen Rand die Telefax-Nummer 0511 2829364 und die Bezeichnung "RA. Stb. M. H. " eingedruckt ist. Dies zeigt eindeutig, dass die offenkundig zur Vorlage an das Berufungsgericht gem. § 519 Abs. 3 ZPO gefertigte Abschrift des angefochtenen Urteils von dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin stammt, was wiederum den Schluss zulässt, dass nur die Klägerin Berufungsführerin sein kann.
Dass sich diese Zusammenhänge nicht sogleich bei der ersten Durchsicht der Berufungsschrift und der beigefügten beglaubigten Urteilsabschrift aufdrängen, sondern sich erst nach einer genaueren Inaugenscheinnahme der vorgelegten Schriftstücke erschließen, ändert an der Eindeutigkeit des Auslegungsergebnisses nichts.
Fundstellen