Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsbeschwerdemöglichkeit bei Zurückweisung der Besetzungsrüge. Entscheidung des Berufungsgerichts. Rüge eines Besetzungsmangels mittels Ablehnungsgesuchs. Beurteilungszeitpunkt
Leitsatz (amtlich)
Ist gegen die Entscheidung eines erstinstanzlichen Gerichts, durch die eine Besetzungsrüge zurückgewiesen wird, eine sofortige Beschwerde unstatthaft, so kann gegen eine inhaltsgleiche Erstentscheidung des Berufungsgerichts trotz Zulassung keine Rechtsbeschwerde eingelegt werden.
Ein Besetzungsmangel kann nicht mit Hilfe eines Ablehnungsgesuchs gerügt werden.
Die ordnungsgemäße Besetzung des Berufungsgerichts ist nach dem Zeitpunkt zu beurteilen, der für die den Rechtsmittelführer beschwerende Sachentscheidung maßgeblich ist.
Normenkette
ZPO §§ 42, 547 Nr. 1, § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 567 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 6. Zivilsenats des OLG Rostock vom 17.10.2007 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert wird auf 11.642,21 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
[1] Die Klägerin macht gegen die beklagte Steuerberatungsgesellschaft wegen des Vorwurfs fehlerhafter Beratung Schadensersatzansprüche geltend. Nach Abweisung der Klage und Stattgabe einer auf Honorarzahlung gerichteten Widerklage durch das LG hat die Klägerin Berufung zum OLG Rostock eingelegt. Der Vorsitzende des geschäftsplanmäßig zuständigen 6. Zivilsenats, Vorsitzender Richter am OLG B., befindet sich seit dem 2.7.2007 in Erziehungsurlaub. Da die Stelle des Vorsitzenden zunächst unbesetzt blieb, hat die Klägerin eine Besetzungsrüge erhoben. Das OLG - 6. Zivilsenat - hat in der Vertretungsbesetzung die Rüge zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit diesem Rechtsmittel verfolgt die Klägerin ihre Rüge weiter.
II.
[2] Die Rechtsbeschwerde der Klägerin ist bereits unstatthaft. Zudem scheitert die Zulässigkeit des Rechtsmittels an der fehlenden Beschwer der Klägerin.
[3] 1. Die Rechtsbeschwerde ist ungeachtet ihrer Zulassung durch das OLG (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) nicht statthaft.
[4] a) Bei nicht vorschriftsmäßiger Besetzung des Gerichts ist der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 1 ZPO gegeben. Dieser Revisionsgrund greift insb. ein, wenn - wie die Klägerin geltend macht - der Rechtsbegriff der Verhinderung des Vorsitzenden verkannt wurde (BGH, Urt. v. 13.9.2005 - VI ZR 137/04, NJW 2006, 154; Wenzel in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 547 Rz. 9; Musielak/Ball, ZPO, 6. Aufl., § 547 Rz. 3). Damit kann eine Revision gegen ein Berufungsurteil auf die Rüge gestützt werden, dass das Berufungsgericht mangels geschäftsplanmäßiger Einsetzung eines Vorsitzenden Richters nicht ordnungsgemäß besetzt war.
[5] b) Entscheidet das Berufungsgericht - wie im Streitfall - vor Erlass des Berufungsurteils selbständig über eine Besetzungsrüge, so ist seine Entscheidung unanfechtbar und damit eine Rechtsbeschwerde auch im Falle einer Zulassung nicht statthaft. Dies folgt aus § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 567 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZPO, weil gegen die Entscheidung eine sofortige Beschwerde unstatthaft wäre und darum auch eine Zulassung der Rechtsbeschwerde ausscheidet.
[6] aa) Dem Beschwerdeführer wird durch die Zulassung die Einlegung einer Rechtsbeschwerde nur ermöglicht, wenn sie nach dem Gesetz grundsätzlich statthaft ist. Falls jedoch die Anfechtbarkeit der Entscheidung gesetzlich ausgeschlossen ist, vermag auch eine positive Zulassungsentscheidung den Rechtsmittelzug nicht zu eröffnen, weil eine nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidung nicht mit Hilfe einer Zulassung der Anfechtung unterworfen werden kann (BGHZ 154, 102; 159, 14, 15 jeweils m.w.N.). Unanfechtbar ist auch eine Entscheidung des Berufungsgerichts, wenn eine inhaltsgleiche Entscheidung des Erstgerichts gem. § 567 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZPO der Anfechtung entzogen ist.
[7] Die Rechtsbeschwerde kann gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO gegen Entscheidungen des Beschwerdegerichts sowie gegen (Neben-)Entscheidungen des Berufungsgerichts und erstinstanzliche Entscheidungen des OLG (Beispiel: § 1062 ZPO) zugelassen werden. Im vorliegenden Fall einer Entscheidung des Berufungsgerichts über die Ordnungsmäßigkeit seiner eigenen Besetzung richtet sich die Rechtsbeschwerde nicht als weiteres Rechtsmittel gegen die mit der Berufung angefochtene Entscheidung, sondern stellt eine Erstbeschwerde gegen die originäre Entscheidung des Berufungsgerichts dar (MünchKomm/ZPO/Lipp, a.a.O., Rz. 6 vor §§ 574). Da der von dem Berufungsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde der Sache nach die Funktion einer Erstbeschwerde zukommt, sind die an die Zulässigkeit einer sofortigen Beschwerde (§ 567 Abs. 1 ZPO) zu stellenden Anforderungen zu beachten. Entfaltet die Zulassung einer Rechtsbeschwerde gegen eine Beschwerdeentscheidung im Falle der Unzulässigkeit der sofortigen Beschwerde keine Bindungswirkung (BGHZ 159, a.a.O.), muss dies wegen der von dem Gesetzgeber angestrebten Harmonisierung von Beschwerde und Rechtsbeschwerde (BT-Drucks. 14/4722, 116) bei Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Berufungsgericht ebenfalls gelten, wenn gegen die Entscheidung, wäre sie im ersten Rechtszug getroffen worden, eine sofortige Beschwerde unzulässig wäre. Andernfalls wären Erstentscheidungen des Berufungsgerichts im Gegensatz zu inhaltsgleichen unanfechtbaren Entscheidungen des Ausgangsgerichts anfechtbar. Folgerichtig kann das Berufungsgericht nach Ablehnung eines seiner Mitglieder gegen die Entscheidung über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs (§ 44 ZPO) die Rechtsbeschwerde zulassen, weil gegen eine entsprechende Entscheidung des Erstgerichts die sofortige Beschwerde (§ 46 Abs. 2 ZPO) statthaft wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 20.10.2003 - II ZB 31/02, NJW 2004, 163; Beschl. v. 8.11.2004 - II ZB 24/03, WM 2005, 76, 77).
[8] bb) Da im Streitfall gem. § 567 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZPO eine sofortige Beschwerde unstatthaft wäre, erstreckt sich dieser Mangel auch auf die von der Klägerin nach Zulassung durch das Berufungsgericht eingelegte Rechtsbeschwerde.
[9] (1) Die sofortige Beschwerde findet gegen im ersten Rechtszug ergangene Entscheidungen der AG und LG statt, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist (§ 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Das Gesetz kennt keine selbständigen Entscheidungen über Besetzungsrügen und sieht folglich dagegen keine sofortige Beschwerde vor. Da Besetzungsrügen nicht mit Hilfe eines Ablehnungsgesuchs (§ 44 ZPO) verfolgt werden können, scheidet die Möglichkeit einer sofortigen Beschwerde (§ 46 Abs. 2 ZPO) aus.
[10] Ausschließungs- und Ablehnungsgründe (§§ 41, 42 ZPO) beziehen sich auf die prozessrechtliche Fähigkeit des abgelehnten Richters, sein Amt in einem bestimmten Rechtsstreit mit Rücksicht auf seine persönlichen Verhältnisse zu einer der Parteien oder zu dem Streitgegenstand wahrnehmen zu können. Besetzungsrügen betreffen hingegen die allgemeine, gerichtsverfassungsmäßige Fähigkeit des abgelehnten Richters, über das konkrete Verfahren hinaus als Richter tätig werden zu können. Im Unterschied zu einem Ablehnungsgrund, der die Mitwirkung eines Richters in einem konkreten Verfahren aus in seiner Person liegenden Gründen in Frage stellt, richtet sich eine Besetzungsrüge gegen die allgemeine Amtstätigkeit des Richters. Zweck der Richterablehnung ist jedoch nicht, in allgemein verbindlicher Form über die gerichtsverfassungsmäßige Besetzung eines Gerichts zu befinden (LSG Essen NJW 1957, 1455; OLG Köln NJW-RR 2000, 455, 456; MünchKomm/ZPO/Gehrlein, a.a.O., § 41 Rz. 12; Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 42 Rz. 34; a.A. Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl. Rz. 1 vor § 41).
[11] (2) Die Zulässigkeit einer sofortigen Beschwerde kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen wurde (§ 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).
[12] Die sofortige Beschwerde ist nach Ablehnung eines Gesuchs nur statthaft, wenn der Erlass der angefochtenen Entscheidung einen Antrag der Partei voraussetzt. Hingegen ist dem Antragsteller die Beschwerde versagt, wenn die angefochtene Entscheidung ohne die Notwendigkeit eines Antrags von Amts wegen ergehen kann (BGH, Beschl. v. 27.1.2004 - VI ZB 33/03, MDR 2004, 698, 699; Beschl. v. 20.10.2004 - XII ZB 35/04, NJW 2005, 143, 144; OLG Stuttgart NJW 1962, 540; OLG Karlsruhe NJW 1969, 1442, 1443; OLG Düsseldorf NJW 1973, 2032; MünchKomm/ZPO/Lipp, a.a.O., § 567 Rz. 10; Musielak/Ball, a.a.O., § 567 Rz. 14; Wieczorek/Schütze/Jänich, ZPO, 3. Aufl., § 567 Rz. 10; a.A. Zöller/Gummer, a.a.O., § 567 Rz. 31). Mangels Anwendbarkeit des § 42 ZPO hat das OLG in vorliegender Sache - wobei die "Besetzungsrüge" der Klägerin lediglich eine rechtlich unverbindliche Anregung darstellt - von Amts wegen entschieden. Mithin ist eine sofortige Beschwerde gegen diese Entscheidung und damit auch eine Rechtsbeschwerde nicht statthaft.
[13] 2. Überdies fehlt es an einer Beschwer der Klägerin als allgemeiner Voraussetzung eines Rechtsmittels.
[14] a) Ob das Gericht ordnungsgemäß besetzt war, beurteilt sich allein nach dem Inhalt des Geschäftsverteilungsplans, der im Zeitpunkt des Erlasses der Sachentscheidung gegolten hat. Frühere Geschäftsverteilungspläne sind für diese rechtliche Würdigung ohne Bedeutung (BVerwG DVBl. 1985, 574, 575). Demgemäß kommt es für den absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr. 1 ZPO allein auf die letzte mündliche Verhandlung an, auf welche das Urteil ergangen ist. Die Besetzung des Gerichts im Rahmen früherer mündlicher Verhandlungen ist ebenso wenig entscheidend, wie diejenige bei der Beweisaufnahme oder der Urteilsverkündung (BGH, Urt. v. 4.11.1997 - VI ZR 348/96, NJW 1998, 377, 378).
[15] b) Das OLG hat im Streitfall - auf den Zeitpunkt seiner Beschlussfassung bezogen - ohne Sachentscheidung allein über die Ordnungsmäßigkeit seiner gegenwärtigen Besetzung befunden. Wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablaufs und der nie ausschließbaren Möglichkeit einer Änderung des Geschäftsverteilungsplans sowie der damit verbundenen Einsetzung eines Vorsitzenden Richters scheidet eine Bindungswirkung für die (künftige) Beurteilung aus, ob das Gericht bei der erst noch zu treffenden Sachentscheidung vorschriftsmäßig besetzt ist. Eine Beschwer kann sich indessen nur aus dem - hier fehlenden - rechtskraftfähigen Inhalt einer Entscheidung ergeben (BGH, Urt. v. 20.7.1999 - X ZR 175/98, NJW 1999, 3564; Musielak/Ball, a.a.O., Rz. 20 vor § 511). Die in Beschlussform ergangene Entscheidung entfaltet im Unterschied zu einem Urteil für das weitere Verfahren auch keine innerprozessuale Bindungswirkung i.S.d. § 318 ZPO (BGH, Urt. v. 4.12.1991 - VIII ZR 32/91, NJW 1992, 982, 983; v. 8.12.1994 - IX ZR 254/93, NJW 1995, 2106, 2107). Bei dieser Sachlage ist die Klägerin durch die von ihr angegriffene Entscheidung nicht beschwert. Ein die Klägerin beschwerender Besetzungsmangel kann nur der künftigen Sachentscheidung anhaften.
Fundstellen