Leitsatz (amtlich)
Ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt und ein wegen bestehenden Anwaltszwangs unzulässiges persönliches Rechtsmittel eingelegt hat, ist bis zur Entscheidung über seinen Antrag als unverschuldet verhindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste. Das Rechtsmittelgericht hat zunächst über das Prozesskostenhilfegesuch zu entscheiden, um so der Partei Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen, falls sie beabsichtigt, das Rechtsmittelverfahren - im Falle der Versagung von Prozesskostenhilfe auf eigene Kosten - durchzuführen.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
LG Köln (Beschluss vom 22.07.2016; Aktenzeichen 20 S 20/16) |
AG Köln (Urteil vom 29.03.2016; Aktenzeichen 138 C 584/15) |
Tenor
Dem Beklagten wird gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 20. Zivilkammer des LG Köln vom 22.7.2016 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der vorgenannte Beschluss im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 1.318,36 EUR.
Gründe
I.
Rz. 1
Mit Urteil vom 29.3.2016, berichtigt durch Beschluss vom 21.6.2016, beide Entscheidungen dem Beklagten zugestellt am 23.6.2016, hat das AG den Beklagten zur Zahlung von 1.318,36 EUR nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt und festgestellt, dass die Forderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung stammt. Mit Schriftsatz vom 29.6.2016, beim LG eingegangen am 1.7.2016, hat der Beklagte persönlich gegen das Urteil Berufung und gegen den Berichtigungsbeschluss Beschwerde eingelegt sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Mit Beschluss vom 22.7.2016 hat das LG den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, weil die Berufung gegen das Urteil und die Beschwerde gegen den Berichtigungsbeschluss keine Aussicht auf Erfolg hätten. Mit demselben Beschluss hat das LG die Berufung gem. § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen, weil der Beklagte die Berufung nicht durch einen Rechtsanwalt eingelegt habe.
Rz. 2
Gegen die Verwerfung der Berufung als unzulässig wendet sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde, für deren Einlegung und Begründung er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt hat, nachdem der Senat ihm Prozesskostenhilfe für diese Rechtsbeschwerde bewilligt hat.
II.
Rz. 3
Dem Beklagten war gem. § 233 Satz 1 ZPO antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu bewilligen.
III.
Rz. 4
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat - wie im Folgenden näher ausgeführt - das Verfahrensgrundrecht des Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGH, Beschl. v. 4.11.2015 - XII ZB 289/15, FamRZ 2016, 209 Rz. 4; v. 23.4.2013 - II ZB 21/11, NJW 2013, 2822 Rz. 7; v. 23.3.2011 - XII ZB 51/11, FamRZ 2011, 881 Rz. 7; v. 16.11.2010 - VIII ZB 55/10, NJW 2011, 230 Rz. 10; v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 227).
Rz. 5
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hätte die Berufung nicht mit der Begründung als unzulässig verwerfen dürfen, dass sie nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO entsprechend durch einen Rechtsanwalt eingelegt worden ist. Denn der Beschwerdeführer hat innerhalb der Berufungsfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.
Rz. 6
a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, bis zur Entscheidung über seinen Antrag als unverschuldet verhindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste (vgl. nur BGH v. 24.1.2017 - VI ZB 30/16, juris Rz. 11; BGH, Beschl. v. 4.11.2015 - XII ZB 289/15, FamRZ 2016, 209 Rz. 6 m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn neben dem Prozesskostenhilfegesuch eine unzulässige Berufung eingelegt worden ist. Da die Prozesskostenhilfe beantragende Partei wegen ihrer Prozesskostenhilfebedürftigkeit gehindert ist, einen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung im Berufungsverfahren zu beauftragen, ist ihr, wenn sie nach den gegebenen Umständen nicht mit der Ablehnung ihres Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, nach Entscheidung über die Prozesskostenhilfe Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (BGH, Beschl. v. 4.11.2015 - XII ZB 289/15, FamRZ 2016, 209 Rz. 6). Das Berufungsgericht hat dementsprechend zunächst über das Prozesskostenhilfegesuch zu entscheiden, um so der Partei Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen, falls sie beabsichtigt, das Berufungsverfahren - im Falle der Versagung von Prozesskostenhilfe auf eigene Kosten - durchzuführen (BGH, Beschl. v. 4.11.2015 - XII ZB 289/15, FamRZ 2016, 209 Rz. 6; v. 23.3.2011 - XII ZB 51/11, FamRZ 2011, 881 Rz. 10; v. 3.12.2003 - VIII ZB 80/03, NJW-RR 2004, 1218, 1219).
Rz. 7
b) Vorliegend hat der Beklagte seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beifügung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie der Belege hierzu innerhalb der Berufungsfrist gestellt. Das Berufungsgericht hat dementsprechend den Antrag nicht mangels Bedürftigkeit, sondern mangels Erfolgsaussicht versagt. Es hätte allerdings dem Beklagten zunächst diese Entscheidung bekanntgeben müssen. Der Beklagte hätte dann die Möglichkeit gehabt, auf eigene Kosten einen Rechtsanwalt zu beauftragen und diesen Berufung, verbunden mit einem Wiedereinsetzungsantrag, einlegen zu lassen.
Rz. 8
3. Nach der Zurückverweisung an das LG hat der Beklagte Gelegenheit, die Berufung - verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - auf eigene Kosten einzulegen und zu begründen.
Rz. 9
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das LG zwar über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Beschwerde gegen den Berichtigungsbeschluss, bislang aber - soweit ersichtlich - nicht über die Beschwerde gegen den Berichtigungsbeschluss entschieden hat.
Fundstellen
Haufe-Index 10886378 |
NJW 2017, 2356 |
NJW 2017, 9 |
NJW-RR 2017, 895 |
FA 2017, 244 |
JZ 2017, 513 |
MDR 2017, 898 |
VersR 2017, 1035 |