Leitsatz (amtlich)
Gemäß § 575 Abs. 3 Nr. 2 ZPO muss die Begründung der Rechtsbeschwerde im Fall des § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO eine Darlegung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO enthalten. Auf die Darlegung eines Zulassungsgrundes kann nicht deshalb verzichtet werden, weil der gerügte Rechtsfehler des Berufungsgerichts, läge er vor, dazu geführt hätte, dass das Berufungsgericht über eine tatsächlich nicht eingelegte Berufung entschieden hat.
Normenkette
ZPO § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 575 Abs. 3 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Paderborn (Beschluss vom 14.08.2019; Aktenzeichen 5 S 34/19) |
AG Brakel (Urteil vom 08.07.2019; Aktenzeichen 7 C 29/19) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Beklagten gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Paderborn vom 14.8.2019 wird als unzulässig verworfen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 3.750 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Beklagte wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des LG, mit dem seine Berufung gegen das Urteil des AG vom 8.7.2019 als unzulässig verworfen wurde. Zur Begründung hat das LG auf seinen Hinweis vom 25.7.2019 Bezug genommen, in dem ausgeführt wird, das AG habe den dort eingegangenen Schriftsatz des Beklagten vom 17.7.2019 als Berufung gegen das dem Beklagten am 10.7.2019 zugestellte Urteil des AG ausgelegt und das Verfahren an das LG weitergeleitet. Die Kammer lege diesen Schriftsatz ebenfalls als Berufung aus, die allerdings nicht formgerecht durch einen zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt worden sei. Die Kammer beabsichtige deshalb, das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen, sofern nicht noch innerhalb der laufenden Berufungsfrist eine formgerechte Berufung eingelegt werde.
Rz. 2
Der Beklagte macht geltend, dass es sich bei seinem Schriftsatz vom 17.7.2019 nicht um die Einlegung einer Berufung, sondern lediglich um die Ankündigung einer - noch ordnungsgemäß von einem zugelassenen Rechtsanwalt zu veranlassenden - Berufungseinlegung gehandelt habe.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zwar nach §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO unabhängig davon, ob das Berufungsgericht zu Recht von der Einlegung einer Berufung ausgegangen ist, statthaft (vgl. BGH, Urt. v. 9.10.1990 - VI ZR 89/90 NJW 1991, 703, 704, juris Rz. 15 ff.). Die Rechtsbeschwerde ist aber unzulässig, weil sie nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechend begründet worden ist, § 577 Abs. 1 ZPO.
Rz. 4
1. Gemäß § 575 Abs. 3 Nr. 2 ZPO muss die Begründung der Rechtsbeschwerde im Fall des § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, also wenn die Rechtsbeschwerde - wie es hier in Betracht kommt - aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung statthaft ist, eine Darlegung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO enthalten. Danach ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Der Beschwerdeführer muss den Zulassungsgrund bzw. die Zulassungsvoraussetzungen nicht nur benennen, sondern auch zu den jeweiligen Voraussetzungen substantiiert vortragen (vgl. BGH, Beschl. v. 18.9.2018 - VI ZB 26/17 VersR 2019, 122 Rz. 5; BGH, Beschl. v. 10.10.2018 - MDR 2018, 1516 Rz. 13; v. 2.8.2017 - XII ZB 190/17 MDR 2017, 1384 Rz. 6; v. 25.7.2012 - XII ZB 170/11 FamRZ 2012, 1561 Rz. 8 f. m.w.N.; v. 25.3.2010 - V ZB 159/09, MDR 2010, 830, juris Rz. 5 m.w.N.; v. 29.9.2005 - IX ZB 430/02 MDR 2006, 346, 347, juris Rz. 9).
Rz. 5
2. Die Rechtsbeschwerde hat schon keinen Zulassungsgrund i.S.d. § 574 Abs. 2 ZPO benannt. Sie hält lediglich die Auslegung des Schreibens des Beklagten vom 17.7.2019 als Berufungseinlegung durch das Berufungsgericht für rechtsfehlerhaft, ohne geltend zu machen, dass dieser Rechtsfehler der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung verleihen oder ein Bedürfnis für die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung begründen würde.
Rz. 6
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde kann auf die Darlegung eines Zulassungsgrundes nicht deshalb verzichtet werden, weil der gerügte Rechtsfehler des Berufungsgerichts, läge er vor, dazu geführt hätte, dass das Berufungsgericht über eine tatsächlich nicht eingelegte Berufung entschieden hat, womit der angegriffene Beschluss inhaltlich wirkungslos geblieben wäre (vgl. zu Letzterem BGH, Urt. v. 9.10.1990 - VI ZR 89/90 NJW 1991, 703, 704, juris Rz. 15 ff.; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, 23. Aufl. vor § 578 Rz. 16). Der Wortlaut des § 575 Abs. 3 Nr. 2 und des § 574 Abs. 2 ZPO enthält keine entsprechende Einschränkung. Sie ergibt sich auch nicht aus dem Sinn und Zweck des § 574 Abs. 2 ZPO, die Rechtsbeschwerdeinstanz im Grundsatz ausschließlich mit Fällen zu befassen, an deren Entscheidung ein allgemeines, über den Einzelfall hinausgehendes Interesse besteht (vgl. Musielak/Voit/Ball, ZPO, 16. Aufl., § 574 Rz. 1; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23. Aufl., § 574 Rz. 2). Der Senat sieht keinen Grund dafür, warum im Hinblick auf die hier streitgegenständliche Auslegung einer Prozesserklärung durch das Berufungsgericht etwas anderes als für sonstige mit der Rechtsbeschwerde zu rügende Rechtsfehler gelten sollte.
Rz. 7
Soweit die Beschwerde der Auffassung ist, da mit dem Rechtsmittel nur der Rechtsschein des Beschlusses beseitigt werden solle, hänge eine dahingehende klarstellende Entscheidung des Rechtsmittelgerichts nicht vom Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines "echten" Rechtsmittelverfahrens ab, teilt der Senat diese Auffassung jedenfalls für die vorliegende Fallgestaltung im Hinblick auf das Zulässigkeitserfordernis der Darlegung eines Zulassungsgrundes nicht. Der Rechtsbeschwerde ist zwar zuzugeben, dass im Beschluss des BGH vom 3.11.1994 - LwZB 5/94, NJW 1995, 404, juris Rz. 3, ein entsprechender Rechtssatz betreffend die Zulässigkeit einer Berufung gegen ein nicht verkündetes Sachurteil aufgestellt worden ist. Aus dieser Entscheidung, die in der Literatur auf Kritik gestoßen ist (vgl. Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl., § 511 Rz. 13; Grunsky, Anm. zu BGH LM § 511 ZPO Nr. 53), lässt sich jedoch für den Streitfall, der weder von dem in Rede stehenden Rechtsmittel noch von dessen Gegenstand her mit der dortigen Fallkonstellation übereinstimmt, nichts herleiten.
Fundstellen
NJW 2020, 2120 |
NJW 2020, 9 |
FamRZ 2020, 1288 |
NJW-RR 2020, 762 |
ZAP 2020, 689 |
JZ 2020, 433 |
MDR 2020, 1045 |
MDR 2020, 877 |