Verfahrensgang
AG Bergisch Gladbach (Urteil vom 19.07.2018; Aktenzeichen 70 C 67/17) |
LG Köln (Urteil vom 04.02.2019; Aktenzeichen 29 S 172/18) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 29. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 4. Februar 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.900 EUR.
Gründe
Rz. 1
I. Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Gemeinschaft nimmt die persönlich haftenden Gesellschafter der Bauträgerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, wegen Mängeln am gemeinschaftlichen Eigentum in einem anderen Rechtsstreit in Anspruch. Vor dem Landgericht sind ein selbständiges Beweisverfahren sowie ein Hauptsacheverfahren anhängig. In dem selbständigen Beweisverfahren wurde mit Beschluss vom 13. März 2014 die Einholung eines Ergänzungsgutachtens angeordnet. Unter dem 4. Oktober 2017 forderte das Landgericht unter Hinweis auf die Ausführungen des Sachverständigen einen weiteren Kostenvorschuss für den Sachverständigen in Höhe von 7.800 EUR an.
Rz. 2
Am 15. November 2017 fand eine Eigentümerversammlung statt, in der unter TOP 2 zwei Beschlüsse gefasst wurden. Der Antrag, die Erhebung einer Sonderumlage zur Zahlung des durch das Gericht angeforderten Kostenvorschusses in Höhe von 7.800 EUR zu beschließen, wurde mehrheitlich abgelehnt. Mehrheitlich angenommen wurde der weitere Antrag, einen Rechtsanwalt damit zu beauftragen, bei dem Landgericht ein ausformuliertes Schreiben einzureichen, in dem die Gemeinschaft eine Begründung für ihre Entscheidung gibt, die von dem Gericht vorgesehene Begutachtung der Schmutz- und Regenwasserversorgung nicht stattfinden zu lassen und deshalb auch keine Sonderumlage zu erheben. Die Kläger zahlten den Kostenvorschuss aus eigenen Mitteln ein. Das Landgericht teilte dem Sachverständigen mit Schreiben vom 14. Dezember 2017 mit, dass der Gutachtenauftrag weiter ausgeführt werden könne.
Rz. 3
Auf die Beschlussanfechtungsklage hin hat das Amtsgericht beide Beschlüsse für ungültig erklärt. Die Berufung der Beklagten hat das Landgericht als unzulässig verworfen. Dagegen wenden sich die Beklagten mit der Rechtsbeschwerde.
Rz. 4
II. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Beschwer von mehr als 600 EUR nicht erreicht. Ein wirtschaftliches Interesse an der Abänderung der Entscheidung hätten die Beklagten nicht dargelegt. Eine solches Interesse lasse sich entgegen ihrer Ansicht nicht daraus ableiten, dass ihnen in einem Folgeprozess der Einwand abgeschnitten werde, für die Nichterhebung der Sonderumlage habe es mit dem Beschluss vom 15. November 2017 eine wirksame Rechtsgrundlage gegeben. Denn die Beklagten gingen selbst davon aus, dass sich der Beschluss mit der Einzahlung des Kostenvorschusses erledigt habe. Er habe auch keinen über die Ablehnung einer Sonderumlage hinausgehenden Regelungsgehalt. Ein wirtschaftliches Interesse könne auch nicht daraus abgeleitet werden, dass einem möglichen Erstattungsanspruch der Kläger bei erfolgreicher Beschlussanfechtung die Bestandskraft des Negativbeschlusses nicht mehr entgegengehalten werden könne. Denn der Negativbeschluss sperre einen solchen Erstattungsanspruch nicht. Ein wirtschaftliches Interesse an der Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung ergebe sich schließlich nicht daraus, dass sich die Kläger über das mit dem Beschluss dokumentierte Interesse der Gemeinschaft, kein weiteres Geld in das Bauverfahren zu investieren, hinweggesetzt und damit aus der Sicht der Beklagten den Rechtsfrieden in der Gemeinschaft beeinträchtigt hätten. Denn der Rechtsfrieden in der Gemeinschaft stelle kein vermögenswertes Interesse dar.
Rz. 5
III. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
Rz. 6
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Berufungsgericht berücksichtigt nicht, dass sich die Beschwer bei einer Beschlussanfechtungsklage in aller Regel nach dem Nennbetrag richtet, wenn der angefochtene Beschluss Beiträge der Wohnungseigentümer oder sonstige bezifferte oder bezifferbare Ansprüche betrifft.
Rz. 7
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts beschwert das Urteil des Amtsgerichts, durch das die Beschlüsse zur Erhebung einer Sonderumlage für ungültig erklärt worden sind, die Beklagten mit mehr als 600 EUR; ihre Berufung ist daher zulässig (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
Rz. 8
a) Maßgebend für den Wert des Beschwerdegegenstands ist das Interesse des Berufungsklägers an der Abänderung des angefochtenen Urteils; dieses ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bewerten. Dabei ist auch in wohnungseigentumsrechtlichen Verfahren allein auf die Position des Rechtsmittelführers, seine Beschwer und sein Änderungsinteresse abzustellen (Senat, Beschluss vom 19. Juni 2013 - V ZB 182/12, NJW-RR 2013, 1034 Rn. 7; Beschluss vom 11. Juni 2015 - V ZB 78/14, ZWE 2015, 337 Rn. 8). Bei Beschlüssen, die Beiträge der Wohnungseigentümer oder sonstige bezifferte oder bezifferbaren Ansprüche betreffen, entspricht die Beschwer in aller Regel dem Nennbetrag der im Streit befindlichen Positionen; dies hat der Senat angenommen bei der Anfechtung einer Jahresabrechnung (Senat, Beschluss vom 9. Februar 2017 V ZR 188/16, NJW-RR 2017, 913 Rn. 4 mwN), der im Hinblick auf Ersatzansprüche verweigerten Entlastung des Verwalters oder Verwaltungsbeirats (Senat, Beschluss vom 9. März 2017 V ZB 113/16, NJW-RR 2017, 1099 Rn. 12) und dem Beschluss über Zahlungsansprüche eines Wohnungseigentümers gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft (Beschluss vom 19. Juni 2013 V ZB 182/12, NJW-RR 2013, 1034 Rn. 9). Wegen der Bezifferung spielt das dahinter stehende konkrete wirtschaftliche Interesse der Parteien im Grundsatz keine Rolle (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Juni 2013 V ZB 182/12, aaO Rn. 10).
Rz. 9
b) Danach hat das Berufungsgericht die Beschwer der Beklagten rechtsfehlerhaft bemessen.
Rz. 10
aa) Bei einem Beschluss über die Erhebung einer Sonderumlage lässt sich das maßgebliche Interesse der beteiligten Wohnungseigentümer beziffern. Wendet sich ein Wohnungseigentümer gegen die Erhebung, entspricht sein Interesse seinem Anteil an der Sonderumlage. Verteidigen die übrigen Wohnungseigentümer - wie hier - den Beschluss gegen den Anfechtenden, bemisst sich ihr Interesse nach dem Nennbetrag der Umlage ohne den auf den Anfechtungskläger entfallenden Anteil; ihre Einzelbelastungen werden dabei zusammengerechnet (vgl. Senat, Urteil vom 2. Oktober 2015 - V ZR 5/15, NJW 2015, 3713 Rn. 6). Das gilt unabhängig davon, ob ein positiver oder negativer Beschluss Gegenstand der Anfechtungsklage ist. Hiernach entspricht das Interesse der Beklagten an der Änderung des erstinstanzlichen Urteils dem auf sie entfallenden Anteil an der Sonderumlage und liegt damit über 600 EUR.
Rz. 11
bb) Dieses bezifferbare Interesse ist unabhängig davon für die Beschwer der Beklagten maßgeblich, welchen wirtschaftlichen Nutzen sie aus der erstrebten Abweisung der Beschlussanfechtung noch ziehen können, nachdem die Kläger den Kostenvorschuss, der durch die Sonderumlage aufgebracht werden sollte, selbst bei Gericht eingezahlt haben. Auch wenn es den Beklagten nur noch um die Klärung geht, ob der gefasste Negativbeschluss ordnungsmäßiger Verwaltung entsprach, wofür regelmäßig ein Rechtsschutzbedürfnis besteht (vgl. Senat, Urteil vom 2. März 2012 - V ZR 174/11, NJW 2012, 1722 Rn. 5; Urteil vom 2. Oktober 2015 V ZR 5/15, NJW 2015, 3713 Rn. 10), bleibt der Nennbetrag der Sonderumlage für die Bestimmung der Beschwer maßgeblich.
Rz. 12
IV. Die Sache ist nach § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 49a Abs. 1 GKG. Der Gegenstandswert entspricht danach der Hälfte des angeforderten Kostenvorschusses von 7.800 EUR (= 3.900 EUR). Dieser Wert war nicht zu erhöhen, da die neben der Ablehnung der Sonderumlage beschlossene Einreichung eines diesen Beschluss erläuternden Schreibens neben dem Betrag des Kostenvorschusses, dessen Einzahlung mit der Ablehnung der Sonderumlage abgewendet werden sollte, keinen eigenständigen Wert hat.
Fundstellen