Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwerfung der Berufung wegen Unzulässigkeit durch Urteil ohne Mitteilung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Nichterreichen des Beschwerdewerts
Leitsatz (amtlich)
Verwirft das Berufungsgericht die Berufung nicht durch Beschluss, sondern durch Urteil als unzulässig, ohne den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt mitzuteilen, führt die Nichtzulassungsbeschwerde des Berufungsklägers ohne Weiteres zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Normenkette
ZPO § 522 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 22.10.2013; Aktenzeichen 11 S 57/12) |
AG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 02.03.2012; Aktenzeichen 56 C 2145/11 WEG) |
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil der 11. Zivilkammer des LG Karlsruhe vom 22.10.2013 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde werden nicht erhoben.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 1.500 EUR.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Die gegen die übrigen Wohnungseigentümer gerichtete Beschlussanfechtungsklage der Klägerin hat das AG jedenfalls teilweise zurückgewiesen. Das LG hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin durch Urteil verworfen, weil die erforderliche Beschwer von 600 EUR nicht erreicht sei. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Rz. 2
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes statthaft, weil das LG die Berufung als unzulässig verworfen hat. § 62 Abs. 2 WEG ist nicht anwendbar. Denn die Statthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde hängt nicht davon ab, ob das Berufungsgericht die Berufung durch Beschluss oder - wie hier - durch Urteil verworfen hat (BGH, Beschl. v. 19.7.2012 - V ZR 255/11, NJW 2012, 3310 Rz. 6 ff.).
Rz. 3
2. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 4
a) Die angefochtene Entscheidung enthält weder einen Tatbestand noch nimmt sie auf die angefochtene Entscheidung Bezug; auch die Anträge der Klägerin sind nicht wiedergegeben. Welche Beschlüsse aus welcher Eigentümerversammlung die Klägerin mit welchen Argumenten angegriffen hat, lässt sich dem Urteil nur bruchstückhaft entnehmen. Offenkundig ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, die Nichtzulassungsbeschwerde sei gem. § 62 Abs. 2 WEG nicht statthaft.
Rz. 5
b) Ausnahmsweise kann eine fehlende Sachverhaltsdarstellung auch in dem Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde - wie im Rechtsbeschwerdeverfahren - ohne Weiteres zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht führen, nämlich dann, wenn - wie hier - eine Berufung durch Urteil als unzulässig verworfen worden ist.
Rz. 6
aa) Das Berufungsgericht kann die Berufung entweder durch Urteil oder durch Beschluss als unzulässig verwerfen (§ 522 Abs. 1 Satz 3 ZPO); in letzterem Fall steht dem Berufungskläger die Rechtsbeschwerde gem. § 544 ZPO offen (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO), während gegen ein Urteil die Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 544 ZPO statthaft ist, sofern das Berufungsgericht die Revision nicht zugelassen hat.
Rz. 7
(1) Ergeht die Entscheidung durch Beschluss und gibt dieser den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt nicht wieder, begründet dies einen Verfahrensmangel, den das Rechtsbeschwerdegericht auf die Rechtsbeschwerde hin von Amts wegen zu berücksichtigen hat und der ohne Weiteres die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung nach sich zieht. Denn das Rechtsbeschwerdegericht hat gem. §§ 577 Abs. 2 Satz 4, 559 ZPO grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen, den das Beschwerdegericht festgestellt hat. Fehlen tatsächliche Feststellungen, ist es zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse v. 18.4.2013 - V ZB 81/12, juris Rz. 3; v. 15.5.2012 - V ZB 282/11, ZWE 2012, 336 Rz. 3; BGH, Beschl. v. 14.6.2010 - II ZB 20/09, NJW-RR 2010, 1582 Rz. 5; v. 20.6.2002 - IX ZB 56/01, NJW 2002, 2648 f., jeweils m.w.N.).
Rz. 8
(2) Das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gestaltet sich im Grundsatz anders. Weil § 544 ZPO nicht auf § 559 ZPO Bezug nimmt, ist das Beschwerdevorbringen auch in tatsächlicher Hinsicht Grundlage der Entscheidung über die Zulassung. Fehlt in einem angefochtenen Urteil die Darstellung des Sachverhalts, hat der Beschwerdeführer den Sachverhalt mitzuteilen und anhand dessen die Zulassungsgründe darzulegen; andernfalls ist die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen. Allein das Fehlen tatbestandlicher Darstellungen stellt keinen Grund für die Zulassung der Revision dar, obwohl dieser Fehler im Revisionsverfahren von Amts wegen die Aufhebung und Zurückverweisung zur Folge hat (BGH, Beschlüsse v. 26.6.2003 - V ZR 441/02, NJW 2003, 3208; v. 12.2.2004 - V ZR 125/03, NJW-RR 2004, 712, 713). Darin liegt auch kein Verstoß gegen den Anspruch der Klägerin auf Wahrung rechtlichen Gehörs, der zur Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht führen könnte (§ 544 Abs. 7 ZPO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG).
Rz. 9
bb) Danach müsste der Berufungskläger, um die Zulassung der Revision in dem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zu erreichen, einen über die fehlenden tatbestandlichen Feststellungen hinausgehenden Zulassungsgrund gem. § 544 Abs. 2 Satz 3 ZPO darlegen, was nicht erforderlich wäre, um der Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss gleichen Inhalts zum Erfolg zu verhelfen. Der Rechtsschutz gegen eine die Berufung verwerfende Entscheidung darf aber nicht von der Verfahrensweise des Gerichts und der jeweiligen Entscheidungsform abhängen. Der Gesetzgeber hat die Herausnahme von die Berufung verwerfenden Urteilen aus dem Anwendungsbereich von § 26 Nr. 8 EGZPO (und § 26 Nr. 9 EGZPO a.F.) mit der Überlegung begründet, im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Relevanz des gleichmäßigen und willkürfreien Zugangs zur Rechtsmittelinstanz müsse ein weiter Rechtsschutz gegen Verwerfungsentscheidungen des Berufungsgerichts unabhängig davon gewährleistet sein, ob sie als Urteil oder als Beschluss ergingen (BT-Drucks. 15/1508, 22; vgl. auch BGH, Beschl. v. 19.7.2012 - V ZR 255/11, NJW 2012, 3310 Rz. 7 f.). Diese Erwägungen gelten gleichermaßen im Hinblick auf die Folgen, die sich an das Fehlen tatbestandlicher Feststellungen knüpfen. Daher muss das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde insoweit dem Rechtsbeschwerdeverfahren angeglichen werden; dieses Ergebnis ist zu erzielen, indem in dieser Fallkonstellation in entsprechender Anwendung von § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO verfahren wird.
III.
Rz. 10
Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dies gibt dem Berufungsgericht auch die Gelegenheit, sich mit der Beschwer der Klägerin erneut zu befassen. Dabei wird es zu beachten haben, dass sich die Beschwer bei der Abweisung einer gegen den Wirtschaftsplan gerichteten Anfechtungsklage - sofern sich diese nicht auf konkrete Teile des Plans beschränkt - in aller Regel nach dem Anteil des Klägers bemisst, und zwar auch dann, wenn dieser formale Fehler der Abrechnung bemängelt (vgl. zur Jahresabrechnung BGH, Beschl. v. 15.5.2012 - V ZB 282/11, ZWE 2012, 336 f.). Der Anteil des Klägers ergibt sich im Zweifel aus den in dem Einzelwirtschaftsplan ausgewiesenen jährlichen Hausgeldzahlungen. Im Hinblick auf eine möglicherweise zu treffende Sachentscheidung weist der Senat auf sein Urteil vom 7.6.2013 hin (V ZR 211/12, NJW-RR 2013, 1234 ff.).
IV.
Rz. 11
Die Entscheidung über die Nichterhebung von Gerichtskosten beruht auf § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG. Den Gegenstandswert des Verfahrens hat der Senat gem. § 3 ZPO geschätzt.
Fundstellen