Verfahrensgang
LG Magdeburg (Entscheidung vom 20.04.2020; Aktenzeichen 10 T 517/19) |
AG Halberstadt (Entscheidung vom 29.10.2019; Aktenzeichen 11 XIV 43/19) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Halberstadt vom 29. Oktober 2019 und der Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 20. April 2020 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Landkreis H. auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe
Rz. 1
I. Der Betroffene, ein nigrischer Staatsangehöriger, reiste im April 2019 in das Bundesgebiet ein. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 28. Mai 2019 als unzulässig ab und verfügte seine Rücküberstellung nach Italien.
Rz. 2
Ein dem Betroffenen angekündigter Abschiebungsversuch scheiterte, weil der Betroffene nicht in seiner Unterkunft angetroffen werden konnte. Ein zweiter, unangekündigter Abschiebungsversuch schlug aus dem gleichen Grund fehl.
Rz. 3
Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 29. Oktober 2019 Rücküberstellungshaft bis zum 9. Dezember 2019 an. Die Beschwerde des Betroffenen, die für den Fall der Erledigung mit dem Antrag verbunden war, die Rechtswidrigkeit der angeordneten Haft feststellen zu lassen, wies das Beschwerdegericht nach Ablauf der Haft mit Beschluss vom 20. April 2020 zurück. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene sein Feststellungsbegehren weiter.
Rz. 4
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die angefochtenen Beschlüsse haben den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
Rz. 5
1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Haftantrag sei zulässig, der Haftgrund der erheblichen Fluchtgefahr nach Art. 2 Dublin-III-Verordnung gegeben.
Rz. 6
2. Das hält rechtlicher Prüfung nicht in allen Punkten stand. Der Haftantrag war unzulässig.
Rz. 7
a) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Er liegt nur vor, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind unter anderem Darlegungen zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG). Diese Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8; vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7). Dazu müssen die Darlegungen auf den konkreten Fall bezogen sein und dürfen sich nicht in Leerformeln erschöpfen (st. Rspr. vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13; vom 20. April 2021 - XIII ZB 36/21, juris Rn. 6 mwN).
Rz. 8
b) Diesen Anforderungen genügt der Antrag der beteiligten Behörde nicht.
Rz. 9
aa) Darin wird ausgeführt, eine Überstellung sei frühestens in der 50. Kalenderwoche möglich, und zur Begründung auf die beigefügte Auskunft des Zentralen Rückkehrmanagements des Landes S. verwiesen. Darin heißt es, dass die Kapazitäten des Reisebüros erschöpft seien und eine sofortige Bearbeitung nicht möglich sei. Gleichwohl werde versichert, den frühestmöglichen Flugtermin innerhalb von sechs Wochen zu organisieren. Sobald ein Reiseplan für den Betroffenen vorliege, werde die beteiligte Behörde diesen erhalten. Es sei zu berücksichtigen, dass für eine Rücküberstellung nach Italien nur der Zielflughafen Rom in Betracht komme und nur wenige Flugverbindungen zu den von Italien vorgegebenen Rahmenbedingungen zur Verfügung stünden. So seien Überstellungen grundsätzlich an den letzten fünf Werktagen eines jeden Monats in Rom nicht möglich, auch stünden nur beschränkte Kontingente der Fluggesellschaften zur Verfügung. Des weiteren habe das Bundesamt eine Überstellung den italienischen Behörden mit einer Frist von 14 Tagen anzukündigen.
Rz. 10
bb) Zwar hat die beteiligte Behörde dargelegt, dass eine Überstellung frühestens in der 50. Kalenderwoche, und damit nicht vor dem 9. Dezember 2019 erfolgen könne. Das entbehrte angesichts der beigefügten Auskunft des Zentralen Rückkehrmanagements jedoch einer nachvollziehbaren Grundlage. In der Auskunft wird lediglich mitgeteilt, dass die Buchung eines Fluges noch nicht habe erfolgen können, die frühestmögliche Überstellung aber innerhalb von sechs Wochen organisiert werde. Diese Ausführungen zur Realisierbarkeit eines Fluges innerhalb von sechs Wochen sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, unzureichend (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Daraus wird nicht ersichtlich, warum für die Buchung eines Fluges nach Italien ohne Sicherheitsbegleitung ein Zeitraum von bis zu sechs Wochen benötigt wird. Es bedurfte vielmehr einer auf den konkreten Fall bezogenen Begründung, die den für die Flugbuchung benötigten Zeitraum und die daraus notwendige Haftdauer erklärte, etwa durch Angaben zu Terminen und zur Frequenz nutzbarer Flugverbindungen und zur Buchungslage (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. November 2018 - V ZB 54/18, Asylmagazin 2019, 79 Rn. 8; vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 16/19, InfAuslR 2020, 241 Rn. 10; vom 15. Dezember 2020 - XIII ZB 55/19 Rn. 12; vom 31. August 2021 - XIII ZB 56/19 juris Rn. 7; vom 25. Januar 2022 - XIII ZB 108/19 Rn. 7; vom 25. April 2022 - XIII ZB 55/20, juris Rn. 9). Kann die beteiligte Behörde aufgrund einer Überlastung des für die Flugbuchung verantwortlichen Reisebüros diese Angaben im Haftantrag nicht machen, was angesichts der oftmals nur sehr kurzen Bearbeitungsfristen nachvollziehbar ist, darf sie Haft für einen derart langen Zeitraum nicht ohne Weiteres beantragen.
Rz. 11
Die Haftdauer von sechs Wochen ist bei einer unbegleiteten Überstellung, zumal in ein nahegelegenes EU-Nachbarland, auch nicht so kurz, dass sich ihre Notwendigkeit von selbst verstünde. Die Darlegungen im Haftantrag zu den Maßnahmen, die vor der Flugbuchung erforderlich sind, enthalten darüber hinaus nur allgemeine, nicht auf den konkreten Fall bezogene Angaben. Sie sind zudem nicht geeignet, den beantragten Haftzeitraum von sechs Wochen zu erklären.
Rz. 12
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
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Fundstellen