Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungsbegründungsfrist bei Beantragung von Prozesskostenhilfe und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (amtlich)
Die Berufungsbegründungsfrist ist nach der Rechtslage seit In-Kraft-Treten der ZPO-Reform zum 1.1.2002 nicht schuldhaft versäumt, wenn der Berufungskläger, der zwar keine Verlängerung der Begründungsfrist, innerhalb der Begründungsfrist aber Prozesskostenhilfe beantragt hatte, die Berufungsbegründung nach der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt hat.
Normenkette
ZPO § 234 Abs. 1 S. 2, § 520 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 6. Zivilsenats - Familiensenat - des OLG Zweibrücken v. 5.2.2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das OLG zurückverwiesen.
Wert: 9.192 EUR.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um Kindes- und Trennungsunterhalt.
Die Parteien sind getrennt lebende Ehegatten; ihr Scheidungsverfahren ist rechtshängig. Die Klägerin begehrte im Wege der Stufenklage Unterhalt für die drei gemeinsamen minderjährigen Kinder sowie Trennungsunterhalt. Nachdem der Beklagte, der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und daneben geringfügige Erwerbseinkünfte erzielt, Auskunft zu diesen Einkünften und zu weiteren Zinseinkünften erteilt hatte, hat das AG die Klage wegen fehlender Leistungsfähigkeit des Beklagten insgesamt abgewiesen. Gegen das ihr am 17.1.2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17.2.2003 Berufung eingelegt. In der Berufungsschrift ist ausgeführt:
"Die Einlegung des Rechtsmittels erfolgt zunächst zur Fristwahrung, die Durchführung hängt von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab."
Mit weiterem Schriftsatz v. 17.2.2003, der mit "Prozesskostenhilfeantrag" überschrieben und ebenfalls an diesem Tage eingegangen ist, beantragte die Klägerin Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens und erklärte weiter:
"Für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird beantragt werden zu erkennen:
1. Das Urteil des AG Germersheim v. 25.11.2002 wird aufgehoben ..."
In der Begründung dieses vom Klägervertreter unterschriebenen Schriftsatzes heißt es insoweit:
"Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens gegen das angefochtene Urteil."
Nachdem das Berufungsgericht der Klägerin mit einem ihr am 26.5.2003 zugestellten Beschluss Prozesskostenhilfe bewilligt hatte, beantragte sie mit einem am 6.6.2003 eingegangenen Schriftsatz, der zugleich eine Berufungsbegründung enthält, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Zur Begründung führte sie aus:
"Die Klägerin ... war auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe angewiesen. Nachdem diese durch Beschluss v. 15.5.2003 im Rahmen des nachstehend formulierten Antrags bewilligt wurde, kann die Berufung, die mit Schriftsatz v. 17.2.2003 gegen das Urteil ... eingelegt wurde, begründet werden."
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das OLG der Klägerin die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig (§§ 238 Abs. 2 S. 1, 522 Abs. 1 S. 4, 574 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
1. Zu Recht geht das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2004, 1299 veröffentlicht ist (OLG Zweibrücken v. 5.2.2004 - 6 UF 27/03, OLGReport Zweibrücken 2004, 283), allerdings davon aus, dass die Klägerin ihr Rechtsmittel mit Schriftsatz v. 17.2.2003 unbedingt eingelegt und erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO mit Schriftsatz v. 6.6.2003 begründet hat.
Nach der Rechtsprechung des Senats wahrt ein innerhalb der Berufungs- oder der Berufungsbegründungsfrist eingegangener Schriftsatz die erforderlichen Förmlichkeiten, auch wenn er zulässigerweise mit einem Prozesskostenhilfegesuch verbunden wurde. Zwar muss der Rechtsmittelführer in solchen Fällen alles vermeiden, was den Eindruck erweckt, er wolle eine (künftige) Prozesshandlung nur ankündigen und sie von der Gewährung der Prozesskostenhilfe abhängig machen. Wenn aber die gesetzlichen Anforderungen an eine Berufungsschrift oder an eine Berufungsbegründung erfüllt sind und der entsprechende Schriftsatz auch unterschrieben wurde, kommt die Deutung, dass der Schriftsatz nicht als unbedingte Berufung oder Berufungsbegründung bestimmt war, nur in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (vgl. BGH v. 19.5.2004 - XII ZB 25/04, FamRZ 2004, 1553 [1554]). Das ist hier hinsichtlich des weiteren Schriftsatzes v. 17.2.2003 (Prozesskostenhilfeantrag), nicht aber hinsichtlich der Berufungsschrift der Fall.
Die Berufungsschrift v. 17.2.2003 ist ausdrücklich als solche bezeichnet, enthält die nach § 519 ZPO notwendigen Formalien und ist vom Klägervertreter unterschrieben. Zwar wird in der Berufungsschrift darauf hingewiesen, dass diese "zunächst nur zur Fristwahrung" eingelegt werde und die spätere Durchführung von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe abhängig sein soll. Das hindert die unbedingte Einlegung des Rechtsmittels aber nicht. Allerdings ist die Berufung durch den weiteren Schriftsatz v. 17.2.2003 nicht zugleich begründet worden. In diesem Schriftsatz hat die Klägerin ausdrücklich darauf hingewiesen, dass zunächst lediglich Prozesskostenhilfe beantragt und die Berufung nur für den Fall deren Bewilligung begründet werden soll. Obwohl auch dieser Schriftsatz vom Klägervertreter unterschrieben ist, geht aus dessen Inhalt zweifelsfrei hervor, dass der Schriftsatz nicht als unbedingte Berufungsbegründung bestimmt war. Dem entspricht auch die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags der Klägerin v. 5.6.2003, in dem sie ausführt, vor Bewilligung der Prozesskostenhilfe an einer Durchführung der Berufung gehindert gewesen zu sein und diese nunmehr begründen zu wollen.
2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht der Klägerin allerdings die begehrte Wiedereinsetzung in die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt.
Nachdem das Berufungsgericht der Klägerin mit dem am 26.5.2003 zugestellten Beschluss v. 15.5.2003 Prozesskostenhilfe bewilligt hatte, hat sie am 6.6.2003 und somit innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zugleich die versäumte Prozesshandlung - nämlich die Berufungsbegründung - nachgeholt. Zuvor hatte die Klägerin die Frist zur Berufungsbegründung ohne Verschulden versäumt, weil sie vor Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht in der Lage war, ihr eingelegtes Rechtsmittel zu begründen, und weil sie auch nicht gehalten war, nach Einlegung der Berufung bis zur Bewilligung der Prozesskostenhilfe Verlängerung der Begründungsfrist zu beantragen.
a) Allerdings hatte der BGH zum früheren Prozessrecht entschieden, dass eine Partei, die unbedingt Berufung eingelegt, diese aber innerhalb der Monatsfrist des § 519 Abs. 2 ZPO a.F. (jetzt § 520 Abs. 2 ZPO) noch nicht begründet hat, sondern die Entscheidung über ihr gleichzeitig eingereichtes Prozesskostenhilfegesuch abwarten will, durch einen rechtzeitigen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist dafür sorgen muss, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht notwendig wird (BGH v. 24.6.1999 - V ZB 19/99, MDR 1999, 1285 = NJW 1999, 3271; v. 30.7.1998 - III ZB 19/98, NJW-RR 1999, 212 und BGH v. 13.10.1992 - XI ZB 12/92, VersR 1993, 1125). Denn nach der Rechtsprechung des BGH ist im Anwaltsprozess der Rechtsanwalt grundsätzlich verpflichtet, durch einen Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist dafür zu sorgen, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht notwendig wird. Dieses galt allerdings schon auf der Grundlage des früheren Prozessrechts dann nicht, wenn sich der Auftrag, den die Partei ihrem Anwalt erteilt hatte, nicht auf die Stellung eines solchen Verlängerungsantrags erstreckte. Denn der Umfang der Rechte und Pflichten eines Anwalts bestimmt sich nach dem Innenverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und seiner Partei. Maßgebend ist deswegen der dem Anwalt von der Partei erteilte Auftrag. Umfasste dieser nicht zugleich die Anträge auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist, war der Rechtsanwalt weder verpflichtet noch berechtigt, ein solches weiteres Gesuch zu stellen. Dann läge jedenfalls kein der Partei nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Anwaltsverschulden vor (BGH v. 19.12.1962 - VIII ZR 258/62, BGHZ 38, 376 [378 f.]). Auch ein eigenes Verschulden der Partei scheidet in solchen Fällen regelmäßig aus.
b) Diese Rechtslage hat sich durch die zum 1.1.2002 in Kraft getretene ZPO-Reform und erneut durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz v. 24.8.2004 geändert. Die Berufungsbegründungsfrist wird jetzt nicht mehr durch die Einlegung der Berufung in Lauf gesetzt, sondern beträgt unabhängig davon zwei Monate ab Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils. Zugleich ist die Möglichkeit einer Verlängerung der Begründungsfrist in § 520 Abs. 2 S. 2 und 3 ZPO weiter eingeschränkt worden. Ohne Einwilligung des Gegners kann die Frist nur bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Gerichts der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Eine weiter gehende Verlängerung ist nur noch mit Einwilligung des Gegners möglich.
aa) Damit ist es dem Berufungsführer bei rechtzeitig beantragter Prozesskostenhilfe für die Durchführung der Berufung jedenfalls nicht mehr zumutbar, über den Ablauf der erstmaligen Verlängerung hinaus eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungfrist zu beantragen. Hat das Berufungsgericht noch nicht über die beantragte Prozesskostenhilfe entschieden und verweigert der Prozessgegner die erforderliche Zustimmung zu einer weiteren Fristverlängerung, kann die Versäumung der Begründungsfrist schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht als schuldhaft angesehen werden (vgl. BGH v. 9.7.2003 - XII ZB 147/02, BGHReport 2003, 1155 m. Anm. Deichfuß = MDR 2003, 1308 = FamRZ 2003, 1462 [1463 f.]). Sonst wäre der Rechtsmittelführer gezwungen, sein Rechtsmittel mangels Verlängerungsmöglichkeit noch vor der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch zu begründen, was ihr nicht zuzumuten ist.
Aber auch wenn der Gegner seine Zustimmung zur Verlängerung der Begründungsfrist noch nicht versagt hatte, ist dem Rechtsmittelführer ein weiterer Verlängerungsantrag nicht zumutbar. Für ihn ist nämlich vorab nicht erkennbar, ob der Gegner seine nach § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO erforderliche Zustimmung zu einer weiteren Verlängerung erteilen wird. Es würde sonst allein vom Wohlwollen des Prozessgegners abhängen, ob der Rechtsmittelführer (noch) weitere Fristverlängerung beantragen muss oder ob (nach versagter Zustimmung) eine schuldlose Fristversäumnis vorliegt, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen kann. Wird die Zustimmung erst kurz vor Fristablauf versagt, bliebe dem Rechtsmittelführer auch nur noch eine unzumutbar kurze Frist. Auch das würde die Situation der unbemittelten Partei in unzumutbarer Weise beeinträchtigen (vgl. BGH v. 3.12.2003 - VIII ZB 80/03, BGHReport 2004, 623 = MDR 2004, 588 = FamRZ 2004, 699).
bb) Ein Verschulden des Rechtsmittelführers liegt aber selbst dann nicht vor, wenn er schon von einem erstmaligen Verlängerungsantrag abgesehen hatte. Auch dann kann ihm Wiedereinsetzung in die Versäumung der Begründungsfrist gewährt werden, wenn er rechtzeitig Prozesskostenhilfe beantragt hatte und nach der Entscheidung über dieses Gesuch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt. Denn das Gericht wird oft nicht innerhalb der erstmals verlängerten Begründungsfrist entscheiden. Dann beruht die Fristversäumung schon nicht auf der fehlenden erstmaligen Fristverlängerung.
Aber auch sonst ist es dem mittellosen Rechtsmittelführer nicht zumutbar, überhaupt eine Fristverlängerung zu beantragen, weil schon bei Eingang des Prozesskostenhilfegesuchs unsicher ist, ob vor Ablauf der erstmals verlängerten Begründungsfrist über dieses entschieden würde. Dann liefe es auf eine bloße Förmelei mit unzumutbaren Fristenkontrollen hinaus, neben dem rechtzeitig gestellten Prozesskostenhilfeantrag stets einen erstmaligen Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist zu verlangen. Ein Verschulden des Rechtsmittelführers scheidet auch in diesen Fällen aus, weil sowohl der vom Gericht festgelegte Zeitpunkt der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch als auch die von der Zustimmung seines Prozessgegners abhängige Verlängerung der Begründungsfrist seinem Einfluss entzogen sind.
Diese Auffassung liegt auch der Änderung des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz zu Grunde. Denn mit der gesetzlichen Neuregelung ist die Wiedereinsetzungsfrist bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einen Monat verlängert worden, ohne danach zu differenzieren, ob das Rechtsmittel selbst schon eingelegt war oder auch dieses von der Bewilligung der Prozesskostenhilfe abhängig gemacht ist. Nach der Gesetzesbegründung soll durch die Änderung insb. sichergestellt werden, dass einem Rechtsmittelführer, dem Prozesskostenhilfe nach Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist gewährt worden ist, ein Monat Zeit für die Rechtsmittelbegründung verbleibt, so dass er nicht schlechter gestellt wird als eine vermögende Partei (BT-Drucks. 15/1508, 17). Damit versucht die gesetzliche Neuregelung, die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegten Rechtsstaatsprinzip zur weit gehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes umzusetzen (vgl. BGH v. 9.7.2003 - XII ZB 147/02, BGHReport 2003, 1155 m. Anm. Deichfuß = MDR 2003, 1308 = FamRZ 2003, 1462 [1463 f.]; BVerfG v. 13.3.1990 - 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347 [356] m.w.N.; Löhnig, FamRZ 2005, 578 [579 f.]).
c) Weil die Klägerin deswegen weder gehalten war, bis zur Entscheidung über ihr Prozesskostenhilfegesuch fortwährend Verlängerung ihrer Berufungsbegründungsfrist zu beantragen, und auch sonst kein ihr zurechenbares Verschulden ersichtlich ist, hält die angefochtene Entscheidung den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Das Berufungsgericht wird deswegen über den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats erneut entscheiden müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 1392729 |
BB 2005, 1704 |
BGHR 2005, 1343 |
NJW-RR 2005, 1586 |
ZAP 2005, 1134 |
AnwBl 2005, 124 |
MDR 2005, 1430 |
VersR 2005, 1453 |
PA 2005, 165 |
ProzRB 2005, 239 |