Entscheidungsstichwort (Thema)
Verweisung. Willkür. Gerichtsstandsvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
Eine nur mit § 38 Abs. 1 ZPO begründete Verweisung ist nicht willkürlich, wenn beide Parteien diese unter Bezugnahme auf eine vertragliche Gerichtsstandsvereinbarung begehrt haben.
Normenkette
ZPO § 281 Abs. 2 S. 4
Verfahrensgang
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das LG Fulda bestimmt.
Gründe
I.
[1] Die Klägerin, die ihren Sitz im Landgerichtsbezirk Fulda hat, nimmt die Beklagte auf Zahlung von Werklohn in Anspruch. Auf Antrag der Klägerin hat das AG Hünfeld einen Mahnbescheid erlassen. Nach Widerspruch der Beklagten ist der Rechtsstreit an das LG Heilbronn, in dessen Bezirk die Beklagte ihren Sitz hat, abgegeben worden. Dieses Gericht hatte die Klägerin in dem Mahnantrag als für ein streitiges Verfahren zuständig angegeben.
[2] Die Klägerin hat in ihrem anspruchsbegründenden Schriftsatz an das LG Heilbronn beantragt, den Rechtsstreit an das LG Fulda zu verweisen, und zur Begründung darauf hingewiesen, in § 15 des Werkvertrages sei der Sitz des Aufragnehmers als Gerichtsstand vereinbart. Diesen Schriftsatz hat das LG Heilbronn der Beklagten zugestellt. In ihrer Stellungnahme hat die Beklagte bestätigt, dass vertraglich der Gerichtsstand des LG Fulda vereinbart sei, und dem Verweisungsantrag der Klägerin zugestimmt. Daraufhin hat sich das LG Heilbronn für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit unter Hinweis auf den Antrag der Klägerin und die Zustimmung der Beklagten gem. § 38 Abs. 1 ZPO an das LG Fulda verwiesen.
[3] Das LG Fulda hat die Verweisung für sachlich unrichtig und nicht bindend gehalten, sich ebenfalls für unzuständig erklärt, die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und die Sache dem OLG Stuttgart vorgelegt. Dieses möchte das LG Heilbronn als zuständiges Gericht bestimmen. Es verneint eine Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des LG Heilbronn, weil die Verweisung willkürlich erfolgt sei. Der Verweisungsbeschluss lasse jede Begründung der eigenen Zuständigkeit vermissen. Das LG Heilbronn sei als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands der Beklagten nach §§ 12, 17 Abs. 1 ZPO zuständig. Ein ausschließlicher Gerichtsstand sei in § 15 des Werkvertrages nicht vereinbart worden. Indem die Klägerin im Mahnantrag das LG Heilbronn als zuständiges Gericht angegeben habe, habe sie das ihr zustehende Wahlrecht zwischen allgemeinem und vertraglich vereinbartem Gerichtsstand bindend ausgeübt. Eine nachträgliche Prorogation sei wegen des Grundsatzes der perpetuatio fori (§ 261 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) entgegen einer vereinzelt vertretenen Auffassung unzulässig, der Verweisungsbeschluss deshalb rechtsfehlerhaft. Zwar werde von einer Mindermeinung die Auffassung vertreten, ein Gericht könne im Falle nachträglicher Prorogation auch bei zunächst gegebener eigener Zuständigkeit den Rechtsstreit bei ausdrücklich erklärtem Einverständnis der Parteien mit jedenfalls vertretbarer Begründung an ein anderes Gericht verweisen. Die Behandlung eines solchen Beschlusses als fehlerhaft, aber nicht willkürlich setze jedoch voraus, dass das verweisende Gericht sich mit der aufgeworfenen Rechtsfrage befasst und begründet Position bezogen habe. Lasse man mit einem Teil der Literatur die bloße Möglichkeit, die eigene Unzuständigkeit vertretbar zu begründen, in Verbindung mit dem Einverständnis der Parteien genügen, eine Verweisung als nicht willkürlich anzusehen, könne bei Einvernehmen der Parteien stets begründungslos und gleichwohl bindend verwiesen werden.
[4] An einer entsprechenden Entscheidung sieht sich das vorlegende OLG durch die Beschlüsse der OLG Koblenz (OLGReport Koblenz 1997, 74) und Schleswig (MDR 2005, 233) und durch den Senatsbeschluss vom 10.6.2003 (X ARZ 92/03, NJW 2003, 3201) gehindert. Es hat die Sache deshalb dem BGH zur Entscheidung vorgelegt.
II.
[5] Auf die zulässige Vorlage ist als zuständiges Gericht das LG Fulda zu bestimmen, da es an den Verweisungsbeschluss des LG Heilbronn gebunden ist (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO).
[6] 1. Verweisungsbeschlüsse nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO sind im Interesse der Prozessökonomie sowie zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bewirkter Verzögerungen und Verteuerungen in der Gewährung effektiven Rechtsschutzes unanfechtbar und gem. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht erlassenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGHZ 102, 388 [340]; BGH, Beschl. v. 13.12.2005 - X ARZ 223/05, NJW 2006, 383m.N.). Einem Verweisungsbeschluss kann daher die gesetzlich vorgesehene bindende Wirkung nur dann abgesprochen werden, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (Senat, Beschl. v. 13.12.2005, a.a.O., m.N.). Hierfür genügt es aber nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BGH, Beschl. v. 10.6.2003 - X ARZ 92/03, NJW 2003, 3201).
[7] 2. Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist der Verweisungsbeschluss des LG Heilbronn vom 14.11.2007 nicht willkürlich.
[8] a) Eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten liegt nicht vor, da der Verweisungsbeschluss durch das im Mahnantrag als zuständig angegebene LG Heilbronn ergangen ist, nachdem dieses die Beklagte zu der von der Klägerin als Grundlage ihres Verweisungsantrags angegebenen Gerichtsstandsvereinbarung angehört hat.
[9] b) Der Verweisungsbeschluss des LG Heilbronn entbehrt auch nicht jeder gesetzlichen Grundlage, so dass er deshalb als offensichtlich unhaltbar betrachtet werden müsste.
[10] Gibt das Mahngericht den Rechtsstreit an das im Mahngericht als zuständig bezeichnete Empfangsgericht ab und ist dieses - ggf. neben anderen Gerichten - zur Entscheidung des Rechtsstreits zuständig, so wird, wie der Senat bereits entschieden hat, die im Mahnantrag getroffene Wahl des Gerichtsstandes unwiderruflich und verbindlich (BGH, Beschl. v. 19.1.1993 - X ARZ 845/92, NJW 1993, 1237; BGH, Beschl. v. 10.9.2002 - X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634). Der Senat hat darüber hinaus bereits entschieden, dass trotz einer im Mahnantrag anders getroffenen Wahl des Gerichtsstandes eine nach Anhörung des Gegners erfolgte Verweisung nicht willkürlich ist, wenn das verweisende Gericht in möglicher Auslegung des dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Vertrages annehmen konnte, dass eine ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts gegeben ist, an das verwiesen worden ist (BGH, Beschl. v. 22.6.1993 - X ARZ 340/93, NJW 1993, 2810 [2811]). Ein vergleichbarer Fall ist hier gegeben, weil beide Parteien sich auf die Gerichtsstandsvereinbarung im Vertrag berufen und deshalb die Verweisung an das LG Fulda beantragt oder ihr zugestimmt haben. Hieraus konnte ohne Willkür der Schluss auf eine Vereinbarung ausschließlicher Zuständigkeit dieses Gerichts gezogen werden. Angesichts des übereinstimmenden Verweisungsbegehrens der Parteien schadet auch nicht, dass der Verweisungsbeschluss nicht näher begründet worden ist. Denn ersichtlich war dies durch die Übereinstimmung der Parteien und die sich daraus möglicherweise ergebende ausschließliche Zuständigkeit des LG Fulda verursacht.
[11] Auf die vom vorlegenden OLG erörtere Frage, ob die Parteien im Falle eines vorausgegangenen Mahnverfahrens nach Eintritt der Rechtshängigkeit die Zuständigkeit des im Mahnantrag als zuständig bezeichneten Gerichts noch prorogieren können, kommt es im Streitfall nicht an, weil sich beide Parteien zur Begründung ihres Verweisungsbegehrens auf die bereits im Werkvertrag getroffene Gerichtsstandsvereinbarung berufen haben.
Fundstellen