Leitsatz (amtlich)
Hat das Berufungsgericht den Beschwerdewert nach §§ 2, 3 ZPO mit nicht mehr als 1.500 DM festgesetzt und die Berufung deshalb als unzulässig verworfen, so kann eine sofortige Beschwerde nach § 519 b Abs. 2 ZPO auf neue Tatsachen, die für die Festsetzung des Beschwerdewertes von Bedeutung sind, nur gestützt werden, wenn dem Berufungsgericht ein Ermessensfehler zur Last fällt.
Normenkette
ZPO §§ 3, 511a, 519b Abs. 2
Verfahrensgang
AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg |
KG Berlin |
Tenor
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 13. Zivilsenats des Kammergerichts vom 16. Mai 2000 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: bis 600 DM.
Gründe
I.
Die Parteien sind getrennt lebende Eheleute. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Erteilung von Auskunft über ihre Brutto- und Nettoeinkünfte sowie auf Vorlage der Einnahmenüberschußrechnung unter anderem für die Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1999 in Anspruch.
Das Amtsgericht – Familiengericht – hat der Klage entsprochen. Hiergegen hat die Beklagte rechtzeitig Berufung eingelegt und zugleich beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Urteil einstweilen einzustellen. In der Berufungsschrift wird ausgeführt, daß sich der Wert der Beschwer der Beklagten nach dem Auskunftsinteresse des Klägers bestimme; dieses Interesse sei mit einem Betrag zwischen 5.000 DM und 10.000 DM anzusetzen und die Berufung deshalb statthaft.
Das Kammergericht hat mit Beschluß vom 20. April 2000, der Beklagten zugegangen am 4. Mai 2000, deren Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung zurückgewiesen, weil die Berufung nach dem bisherigen Vorbringen keine Erfolgsaussichten biete, vielmehr mangels Erreichens der Berufungssumme unzulässig sein dürfte. Maßgeblich für den Wert der Beschwer der Beklagten sei die Ersparnis der Kosten, die mit dem Aufwand der Auskunftserteilung verbunden seien. Es sei weder dargetan noch ersichtlich, daß die Auskunft, zu der die Beklagte verurteilt sei, Kosten von mehr als 1.500 DM verursachen könne.
Mit Beschluß vom 16. Mai 2000 hat das Kammergericht die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der sofortigen Beschwerde.
II.
Die Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Das Kammergericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß für den Wert des Beschwerdegegenstandes, den ein Gericht bei einem Rechtsstreit wegen der Erteilung einer Auskunft gemäß §§ 2 und 3 ZPO nach freiem Ermessen festzusetzen hat, das Interesse des Rechtsmittelklägers maßgebend ist. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ – GSZ – 128, 85, 87 f.) hat es dargelegt, daß sich der Beschwerdewert bei der Berufung einer zur Auskunft verurteilten Person nach deren Interesse richtet, die Auskunft nicht erteilen zu müssen, und daß es für die Bewertung dieses Abwehrinteresses in der Regel auf die Kosten ankommt, die mit dem Aufwand der Auskunftserteilung verbunden sind. Die Beklagte habe nicht dargetan, daß die Auskunft, zu deren Erteilung sie verurteilt sei, Kosten von mehr als 1.500 DM verursachen könnte.
2. Mit der sofortigen Beschwerde macht die Beklagte demgegenüber geltend, ihre Steuererklärung für 1999 sei noch nicht in Angriff genommen. Die Erstellung einer Einnahmenüberschußrechnung mit Auskunft über die Brutto-/Nettobezüge für die Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1999 erfordere ein Steuerberater-Honorar in Höhe von 3.869,76 DM. Es kann dahinstehen, ob dieser Vortrag geeignet wäre, die Bemessung des Beschwerdewertes durch das Kammergericht in Zweifel zu ziehen; denn mit dieser – erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebrachten – Behauptung kann die Beklagte aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr gehört werden.
a) Zwar kann eine Beschwerde gemäß § 570 ZPO auf neue Tatsachen und Beweise gestützt werden. Das gilt auch für die sofortige Beschwerde nach § 519 b ZPO. Deshalb ist das Beschwerdegericht nicht darauf beschränkt, die Zulässigkeit der Berufung anhand des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts zu überprüfen; es muß in die Zulässigkeitsprüfung vielmehr auch solche Tatsachen einbeziehen, die vom Beschwerdeführer erstmals im Verfahren der sofortigen Beschwerde geltend gemacht werden. Etwas anderes gilt – wie der Senat bereits wiederholt erkannt hat (Senatsbeschlüsse vom 6. Dezember 1989 – IVb ZB 90/89 – BGHR ZPO § 3 Beschwerdewert 1 und ZPO § 519 b Abs. 2 Neue Tatsachen 2 sowie vom 10. Juli 1996 – XII ZB 15/96 – FamRZ 1996, 1543, 1544) – aber in Fällen, in denen die mit der sofortigen Beschwerde geltend gemachte Zulässigkeit einer Berufung vom Wert des Beschwerdegegenstands abhängt und das Berufungsgericht diesen Wert zulässigerweise in Anwendung der §§ 2 und 3 ZPO nach freiem Ermessen festgesetzt hat. Ist die Beurteilung einer Zulässigkeitsvoraussetzung solchermaßen in das Ermessen des Berufungsgerichts gestellt, so beschränkt sich die Überprüfung durch das Beschwerdegericht auf die Frage, ob das Berufungsgericht von dem ihm eingeräumten Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht hat (a.A. Zöller/Gummer ZPO 22. Aufl., § 570 ZPO Rdn. 6; Schneider/Herget Streitwertkommentar 11. Aufl., Rdn. 1552; vgl. auch Musielak/Ball ZPO 2. Aufl., § 570 ZPO Rdn. 2); denn der Sinn des dem Berufungsgericht eingeräumten Ermessens würde verfehlt, wenn das Beschwerdegericht berechtigt und verpflichtet wäre, ein vom Berufungsgericht fehlerfrei ausgeübtes Ermessen durch eine eigene Ermessensentscheidung zu ersetzen. Diese Beschränkung begrenzt auch die Möglichkeit des Beschwerdegerichts, Tatsachen zu berücksichtigen, die erstmals im Verfahren der sofortigen Beschwerde geltend gemacht werden. Auch hier eröffnet § 570 ZPO zwar im Grundsatz die Berücksichtigung neuer Tatsachen durch das Beschwerdegericht; solche Tatsachen sind jedoch nur beachtlich, wenn das Berufungsgericht von dem ihm obliegenden Ermessen einen ungesetzlichen Gebrauch gemacht hat. Das könnte namentlich dann der Fall sein, wenn das Berufungsgericht für die Ermessensausübung maßgebliche Tatsachen verfahrensfehlerhaft nicht ermittelt hat. Zeigt der Beschwerdeführer einen solchen Verfahrensfehler unter Vortrag neuer Tatsachen auf, dann können in diesem Rahmen – bei der Kontrolle der Ermessenausübung des Gerichts – auch die neuen Tatsachen Beachtung finden. Die Verfahrensrechtslage ist insoweit – im Ergebnis – nicht anders zu beurteilen als in Fällen, in denen das Berufungsgericht die Berufung durch Urteil verworfen hat und der Bundesgerichtshof demzufolge nicht über eine sofortige Beschwerde nach § 519 b ZPO, sondern über eine Revision nach § 547 ZPO zu entscheiden hätte. Daß eine sofortige Beschwerde weitergehenden Rechtsschutz ermöglichen sollte als eine Revision unter vergleichbaren Verhältnissen, kann nicht angenommen werden (Stein/Jonas/Grunsky ZPO 21. Aufl., § 570 Rdn. 5; a.A. Musielak/Ball aaO); eine solche Annahme wird auch durch § 570 ZPO nicht nahegelegt.
b) Das Kammergericht hat den Wert der Beschwer der Beklagten gemäß §§ 2 und 3 ZPO nach freiem Ermessen festgesetzt und mit bis 600 DM beziffert. Diese Bewertung des Rechtsmittelinteresses kann vom Senat nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht die gesetzlichen Grenzen des ihm gemäß § 3 ZPO eingeräumten Ermessens überschritten oder sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat (Senatsbeschlüsse aaO) Das könnte hier nur dann der Fall sein, wenn das Kammergericht bei seiner Ermessensprüfung erhebliche Tatsachen unter Verstoß gegen die Aufklärungspflicht nach § 139 ZPO nicht festgestellt oder das rechtliche Gehör verletzt hätte. Einen solchen Verstoß hat die sofortige Beschwerde nicht aufgezeigt.
Nach § 139 ZPO war das Kammergericht zwar gehalten, die Beklagte auf die Bedenken gegen die Zulässigkeit ihrer Berufung hinzuweisen. Diese Pflicht entfiel nicht deshalb, weil die Beklagte anwaltlich vertreten und die für die Zulässigkeit ihrer Berufung hier allein maßgebende Rechtsfrage bereits seit längerem durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt war. Die Hinweispflicht aus § 139 ZPO besteht grundsätzlich auch gegenüber einer anwaltlich vertretenen Partei. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Anwalt die Rechtslage falsch beurteilt (vgl. BGH Urteil vom 27. November 1996 – VIII ZR 311/95 – NJW-RR 1997, 441). Das war hier der Fall; denn der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten hat sich in der Berufungsschrift zwar ausführlich zur Statthaftigkeit des Rechtsmittels geäußert, seinen Ausführungen aber erkennbar einen falschen rechtlichen Ansatz zugrunde gelegt. Das Kammergericht hat der ihm danach obliegenden Hinweispflicht jedoch mit seinem Beschluß vom 20. April 2000 Genüge getan. In diesem Beschluß, durch den der Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Urteil zurückgewiesen wird, zeigt das Gericht die maßgebenden Grundlagen für die Ermittlung des Rechtsmittelstreitwertes auf und weist darauf hin, daß danach die Berufungssumme unter Zugrundelegung des bisherigen Vorbringens der Beklagten nicht erreicht sein dürfte. Einer weitergehenden rechtlichen Aufklärung der anwaltlich vertretenen Beklagten bedurfte es nicht.
Ein richterlicher Hinweis macht allerdings nur dann Sinn, wenn der Partei zugleich Gelegenheit gegeben wird, auf den Hinweis zu reagieren und den ihr mitgeteilten Bedenken durch eine Ergänzung ihres Sachvortrags und gegebenenfalls durch Beibringung geeigneter Unterlagen Rechnung zu tragen (BGH Urteil vom 27. November 1996 aaO). Diesen Zweck hat das Kammergericht indes nicht verfehlt. Der Beschluß vom 20. April 2000 ist der Beklagten zwar erst am 4. Mai 2000 zugegangen. Das Kammergericht hat die Berufung jedoch erst am 16. Mai 2000 verworfen – mithin nach Ablauf eines Zeitraums, welcher der Beklagten und ihrem Prozeßbevollmächtigten hinreichende Möglichkeit bot, entweder unverzüglich Tatsachen nachzutragen, aus denen sich eine von der Beurteilung des Kammergerichts abweichende Bestimmung des Rechtsmittelstreitwerts ergeben würde, oder doch den unverzüglichen Nachtrag solcher Tatsachen anzukündigen. Dazu bestand für die Beklagte um so mehr Veranlassung, als auch der Kläger mit einem Schriftsatz vom 25. April 2000 unter Darlegung der maßgebenden rechtlichen Gesichtspunkte darauf hingewiesen hatte, daß der Rechtsmittelstreitwert die Berufungssumme nicht erreiche. Nachdem die Beklagte binnen einer angemessenen Zeitspanne keine dieser Möglichkeiten genutzt hatte, konnte das Kammergericht ohne Verfahrensfehler davon ausgehen, daß mit einem weiteren Vortrag zur Statthaftigkeit des Rechtsmittels nicht zu rechnen und die Sache entscheidungsreif sei. Der Umstand, daß der Beschluß des Kammergerichts ebenso wie der die Zulässigkeit der Berufung in Zweifel ziehende Schriftsatz des Klägers der Beklagten erst am 4. Mai 2000 und damit – für das Kammergericht erkennbar – erst nach Fertigstellung der Berufungsbegründung (am 3. Mai 2000) zugestellt worden ist, ändert daran nichts. Er zwingt insbesondere nicht zu der Annahme, das Kammergericht habe die Berufung nicht verwerfen dürfen, ohne zuvor – in Abweichung von § 519 b Abs. 2 Satz 1 1. Halbs. ZPO – über die Zulässigkeit der Berufung mündlich zu verhandeln, die Beklagte auf diese – naheliegende – Möglichkeit hinzuweisen oder doch der Beklagten unter Fristsetzung eine Ergänzung ihres Sachvortrags aufzugeben. Das Kammergericht durfte vielmehr erwarten, daß die anwaltlich vertretene Beklagte seinen ausführlichen rechtlichen Hinweisen nachgehen und – falls möglich – ihren Vortrag unverzüglich und von sich aus nach Maßgabe dieser Hinweise ergänzen oder doch eine solche Ergänzung in Aussicht stellen würde. Daß die Beklagte bei Erhalt der richterlichen Hinweise ihre Berufungsbegründung bereits erkennbar fertiggestellt hatte, hindert die Berechtigung dieser Erwartung nicht.
Unterschriften
Blumenröhr, Bundesrichterin Dr. Krohn ist im Urlaub und verhindert zu unterschreiben. Blumenröhr, Hahne, Gerber, Wagenitz
Fundstellen
Haufe-Index 547520 |
NJW 2001, 1652 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 2001, 709 |
MittRKKöln 2001, 266 |