Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung der Terminsgebühr des Klägervertreters bei kurzfristiger Tilgung durch den Beklagten. Möglichkeit der Erledigungserklärung. Gebührenrechtlich relevante Streitwertänderung durch schriftsätzliche Ankündigung einer Klageänderung
Leitsatz (amtlich)
Tilgt der Beklagte die zu titulierende Verbindlichkeit erst kurz vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung, bemisst sich die Terminsgebühr des Klägervertreters nach den bis dahin entstandenen Kosten und nicht nach dem Streitwert der Hauptsache, wenn es trotz der Kürze der Zeit noch möglich gewesen wäre, vor Aufruf der Sache einen die Erledigung der Hauptsache erklärenden Schriftsatz beim Prozessgericht einzureichen.
Normenkette
ZPO § 91a; RVG VV Nr. 3104
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 13.03.2009; Aktenzeichen 6 W 693/09) |
LG München I (Beschluss vom 13.11.2008; Aktenzeichen 7 O 10241/08) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 6. Zivilsenats des OLG München vom 13.3.2009 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 432 EUR festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
I. Der Kläger hat im Hauptsacheverfahren mit seiner Klage vom 17.6.2008 die Beklagte aus einem Vergleich auf Zahlung von Lizenzgebühren i.H.v. 48.720 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.6.2008 in Anspruch genommen. Das LG bestimmte den Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 10.9.2008. Die Klage und die Ladung zum Termin wurden der Beklagten am 29.7.2008 zugestellt. Am Abend des 8.9.2008 sandte die - anwaltlich nicht vertretene - Beklagte an den Kläger und das LG jeweils per Fax ein Schreiben, in dem sie mitteilte, dass sie am 8.9.2008 einen "Betrag von 48.720 EUR inkl. Verzugszins 5 %" an den Kläger überwiesen habe und die Gutschrift bei ihm nach Auskunft ihrer Bank am 9.9.2008 eintreffen solle. Entsprechende Bankbelege über die Buchung fügte die Beklagte ihren Fax-Schreiben vom 8.9.2008 bei. Weiter kündigte sie an, bei der Verhandlung vom 10.9.2008 nicht anwesend zu sein.
Rz. 2
Im Termin vom 10.9.2008 war die Beklagte nicht vertreten. Nach Feststellung der Ladungsformalien und Bekanntgabe der schriftlichen Erklärung der Beklagten über die von ihr veranlasste Zahlung erörterte das LG mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers die Schlüssigkeit der Klage. Auf Nachfrage des Gerichts bestätigte der Prozessbevollmächtigte des Klägers, dass bei dem Kläger ein Betrag i.H.v. 49.176,65 EUR eingegangen sei, der allerdings zu niedrig sei, da bei den Zinsen nur 5 % und nicht fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz gezahlt worden seien. Nach weiterer Erörterung, ob eine Änderung des Klageantrags in der Säumnislage trotz der Regelung des § 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO möglich sei, erklärte der Klägervertreter die Hauptsache über 48.720 EUR vollen Umfangs und die Zinsforderung in Höhe eines Teils von 465,65 EUR für erledigt. Er beantragte insoweit im Weg des Versäumnisurteils Feststellung der teilweisen Erledigung und im Übrigen Verurteilung zur Zinszahlung über 505,33 EUR. Das LG hat antragsgemäß erkannt.
Rz. 3
Im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren hat der Klägervertreter u.a. beantragt, für die Wahrnehmung des Termins, in dem das Versäumnisurteil ergangen war, eine 1,2-fache Terminsgebühr nach Nr. 3104 RVG-VV festzusetzen. Mit seinem Kostenfestsetzungsantrag vom 19.9.2008 hat er insoweit unter Zugrundlegung eines Streitwerts von 48.720 EUR eine Gebühr i.H.v. 1.255,20 EUR geltend gemacht.
Rz. 4
Durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 13.11.2008 hat die Rechtspflegerin beim LG die dem Kläger zu erstattenden Kosten (einschließlich Gerichtskosten) auf 3.571 EUR festgesetzt und dabei die 1,2-fache Terminsgebühr lediglich aus dem halben Hauptsachestreitwert mit einem Betrag von 823,20 EUR angesetzt unter Berufung auf eine Kostenrechtsprechung des OLG München, wonach der Streitwert der einseitigen Erledigungserklärung 50 % des Werts der ursprünglichen Leistungsklage betrage. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Festsetzung einer 1,2-fachen Terminsgebühr aus dem vollen Hauptsachestreitwert weiter.
Rz. 5
II. Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund ihrer Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Sie ist jedoch nicht begründet.
Rz. 6
1. Das OLG hat angenommen, dass bei Beginn der mündlichen Verhandlung das für den Gegenstandswert maßgebliche Interesse des Klägers nur noch in Höhe der Prozesskosten und des noch nicht getilgten Zinsbetrags von 505,33 EUR habe bestehen können, nachdem die Klageforderung durch Erfüllung erloschen und dies dem Kläger und seinem Prozessbevollmächtigten vor dem Termin auch bekannt gewesen sei. Der Kläger habe gewusst, dass seine Klage daher ohne Erledigungserklärung weitestgehend abweisungsreif gewesen sei. Es erscheine mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar, es ins Belieben einer Partei zu stellen, ob sie bei der hier gegebenen Sachlage sogleich zu Beginn der Verhandlung die (Teil-)Erledigung erkläre oder erst noch Überlegungen über die ursprüngliche Schlüssigkeit anstelle.
Rz. 7
2. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde im Ergebnis stand.
Rz. 8
Zutreffend ist das OLG zunächst davon ausgegangen, dass sich bei einer einseitigen Erledigungserklärung des Klägers der Streitwert regelmäßig auf die bis dahin entstandenen Kosten reduziert. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BGH (BGHZ 57, 301 [303]; 106, 359, 366; BGH, Beschl. v. 9.5.1996 - VII ZB 143/94, NJW-RR 1996, 1210; Beschl. v. 13.7.2005 - VII ZR 295/02, NJW-RR 2005, 1728; Beschl. v. 15.11.2007 - V ZB 72/07, WuM 2008, 35) sowie der ganz überwiegenden Meinung in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. mit jeweils umfassenden Nachw. KG, Beschl. v. 3.7.2003 - 12 W 128/03, MDR 2004, 116; OLG Köln, Beschl. v. 11.10.2004 - 8 W 24/04, OLGR 2005, 19; OLG Hamm, Beschl. v. 12.5.2005 - 24 U 7/05) und Literatur (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 91a Rz. 48; Musielak/Wolst, ZPO, 7. Aufl., § 91a Rz. 47; Hausherr, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 91a Rz. 61; Müller-Rabe/Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., Teil G Rz. 128). Nach der vorgenannten ständigen Rechtsprechung des BGH und der herrschenden Auffassung tritt eine Streitwertreduzierung jedoch nicht schon mit Eintritt des erledigenden Ereignisses, sondern erst ein, wenn der Kläger im Wege einseitiger Prozesshandlung den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Daran ist entgegen einer vereinzelt im Schrifttum vertretenen Ansicht (vgl. Müller-Rabe/Mayer, a.a.O., Rz. 131), der sich für die Bemessung der Höhe einer Terminsgebühr bei einem Erledigungsgespräch im Sinne von Vorbemerkung 3 Abs. 3 Fall 1 RVG-VV auch das OLG München angeschlossen hat (Beschl. v. 22.5.2007 - 11 W 1387/07, OLGR 2007, 917; a.A. KG, Beschl. v. 21.2.2007 - 5 W 24/06, AnwBl. 2007, 384), festzuhalten. Die Tatsache einer durch Zahlung bewirkten Erfüllung der mit der Leistungsklage geltend gemachten Hauptforderung vermag für sich den Streitwert nicht zu beeinflussen, weil dieser wesentlich von dem Klageantrag abhängt, über den zu disponieren dem Beklagten nicht zusteht. Bis zur Erledigungserklärung des Klägers bleibt danach der Streitwert der Hauptsache maßgeblich (vgl. auch BGH, Beschl. v. 18.7.2001 - IX ZR 46/01; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.1.2007 - 18 W 38/06, OLGR 2007, 321 m.w.N.; Riedel/Sußbauer/Keller, RVG, 9. Aufl., VV Teil 3 Vorbem. 3 Rz. 33 m.w.N.).
Rz. 9
Entgegen der Auffassung des OLG kam es für die Höhe der Terminsgebühr allerdings nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt in der mündlichen Verhandlung die Erledigungserklärung des Klägers abgegeben worden ist. Nach § 2 Abs. 2 RVG i.V.m. Abs. 3 der Vorbemerkung 3 zum Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses entsteht die Terminsgebühr u.a. für die Vertretung in einem Verhandlungs- oder Erörterungstermin. Hierfür genügt nach allgemeiner Ansicht allein die Terminswahrnehmung durch den Rechtsanwalt, der in dem Termin lediglich vertretungsbereit anwesend sein muss, ohne dass es darauf ankommt, ob tatsächlich Anträge gestellt werden oder eine Erörterung stattfindet (vgl. auch OLG Zweibrücken, Beschl. v. 6.2.2007 - 4 W 13/07, BeckRS 2007, 04335; OLG Köln, Beschl. v. 16.2.2006 - 17 W 28/06, OLGR 2006, 884; Beschl. v. 8.3.2007 - 17 W 37/07, BeckRS 15438; Bischof, RVG, 3. Aufl., Nr. 3104 VV Rz. 20, 22; Mayer, in: Mayer/Kroiß, RVG, 4. Aufl., Vorbem. 3 VV Rz. 28, 31; Müller-Rabe/Mayer, a.a.O., Vorbem. 3 VV Rz. 29, 61; Onderka/Schneider, in: Schneider/Wolf, RVG, 5. Aufl., Vorbem. 3 VV Rz. 99). Danach wäre bei Abgabe der Erledigungserklärung im Termin vom 10.9.2008 die Terminsgebühr grundsätzlich bereits in voller Höhe aus dem ursprünglichen Streitwert angefallen und bliebe gem. § 15 Abs. 4 RVG erhalten, nachdem die Verhandlung mit dem Aufruf der Sache begonnen hatte, § 220 Abs. 1 ZPO (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 16.2.2006 - 17 W 28/06, OLGR 2006, 884; OLG Koblenz, Beschl. v. 19.1.2009 - 14 W 30/09, OLGR 2009, 504; Riedel/Sußbauer/Keller, a.a.O., Rz. 51; Onderka/Schneider, a.a.O., Rz. 181; Enders, JurBüro 2005, 113 f.).
Rz. 10
Im vorliegenden Fall hat das entsprechende Festsetzungsverlangen des Klägers jedoch gegen Treu und Glauben verstoßen. Als Ausfluss dieses auch das gesamte Kostenrecht beherrschenden Grundsatzes ist die Verpflichtung jeder Prozesspartei allgemein anerkannt, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle ihres Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt (vgl. BGH, Beschl. v. 2.5.2007 - XII ZB 156/06, NJW 2007, 2257 m.w.N.; Beschl. v. 10.5.2010 - II ZB 3/09, WM 2010, 1323; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 6.11.2006 - 24 W 79/06, OLGR 2007, 326; OLG Köln, Beschl. v. 5.2.2009 - 17 W 28/09, OLGR 2009, 779; Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., § 91 Rz. 12 m.w.N.).
Rz. 11
Nach diesem Maßstab ist es nicht als sachlich veranlasst, sondern als treuwidrig anzusehen, dass der Kläger erst im Termin vom 10.9.2008 und nicht schon zuvor schriftsätzlich eine einseitige Erledigungserklärung abgegeben hat, obgleich er bereits vor dem Termin wusste, dass seine Klageforderung in der Hauptsache erloschen war und seine Klage daher ohne eine Erledigungserklärung insoweit abzuweisen gewesen wäre. Das nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bewertende Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Rechtsstreits hatte sich bereits auf die verbliebene Zinsforderung und die Kosten reduziert.
Rz. 12
Zwar hätte für den Kläger angesichts der Kurzfristigkeit, mit der die Beklagte geleistet und darüber informiert hatte, keine Gelegenheit mehr bestanden, eine prozessual wirksame Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache durch übereinstimmende Erledigungserklärungen vor dem Verhandlungstermin herbeizuführen. Denn ein entsprechender Schriftsatz des Klägers hätte der Beklagten aus Zeitgründen bereits nicht mehr rechtzeitig zugestellt werden können.
Rz. 13
Nach der Regelung des § 40 GKG, nach der sich gem. § 23 Abs. 1 RVG auch der für die Rechtsanwaltsvergütung zugrunde zu legende Gegenstandswert bemisst, bewirkt aber grundsätzlich bereits die schriftsätzliche Ankündigung einer Klageänderung eine entsprechende gebührenrelevante Streitwertänderung, wobei es allein auf den Eingang des Schriftsatzes bei Gericht ankommt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.11.1999 - 10 W 124/99, NJW-RR 2000, 1594; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.1.2009 - 24 W 87/08, OLGR 2009, 338; Dörndorfer, in: Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG, 2. Aufl., § 40 Rz. 3). Eine einseitige schriftsätzliche Erklärung der Erledigung in einem vorbereitenden Schriftsatz, durch die schon eine Änderung des Streitwerts eingetreten wäre (vgl. auch BGH, Beschl. v. 15.11.2007 - V ZB 72/07, WuM 2008, 35; OLG Koblenz, a.a.O.; ebenso für den Fall einer Klageerweiterung OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.1.2009 - 24 W 87/08, a.a.O.), vor Aufruf der Sache beim Prozessgericht einzureichen wäre dem Kläger hier zur Vermeidung unnötiger Mehrkosten seiner Prozessführung ohne Weiteres möglich und nach Treu und Glauben zuzumuten gewesen. Berechtigte Interessen des Klägers, die einer solchen rechtzeitigen Erklärung hätten entgegenstehen können, sind nicht erkennbar.
Rz. 14
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO
Fundstellen
Haufe-Index 2422685 |
NJW 2011, 529 |
EBE/BGH 2010 |
FamRZ 2010, 1900 |
JurBüro 2010, 651 |
ZAP 2010, 1160 |
AnwBl 2011, 226 |
MDR 2010, 1342 |
Rpfleger 2011, 116 |
AGS 2010, 561 |
NJW-Spezial 2011, 138 |
RÜ 2010, 695 |
RENOpraxis 2011, 7 |
RVGreport 2010, 427 |
Rafa-Z 2011, 9 |