Leitsatz (amtlich)
Zur Haftung der Gemeinde für eine durch den Überlauf eines offenen Regenrückhaltebeckens entstandene Überschwemmung.
Normenkette
HPflG § 2 Abs. 1; GG Art. 14
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Grundurteil des 7. Zivilsenats des OLG Köln v. 21.8.2003 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer der Wohn- und Geschäftshäuser W. 2, 4 und 6 in B. . Die Grundstücke liegen am Fuße eines Hanges. Hangaufwärts befinden sich innerhalb eines Wohngebiets zwei Regenrückhaltebecken der beklagten Stadt, die die im Einzugsbereich anfallenden Niederschlagsmengen aus der städtischen Kanalisation aufnehmen und sie gedrosselt an den weiterführenden Regenwasserkanal abgeben. An das erste, geschlossene Regenrückhaltebecken schließt sich über einen Notüberlauf ein größeres offenes Erdbecken an.
Am 4.7.2000 kam es in B. zu heftigen Regenfällen mit einem Wassereinbruch in die Häuser des Klägers. Ursache des Schadens war nach dem Klagevorbringen, dass das offene Rückhaltebecken überlief, Wassermassen von dort den Hang herabstürzten und die benachbarten Grundstücke überschwemmten. Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger Ersatz seines auf 34.330,34 EUR bezifferten Schadens.
Das LG hat die Klage abgewiesen, das OLG hat sie dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat im Ergebnis keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in VersR 2004, 69 abgedr. ist, stellt als Schadensursache entsprechend der Behauptung des Klägers einen Überlauf des offenen Regenrückhaltebeckens fest; für die von der Beklagten nur sehr pauschal behauptete Überflutung der angrenzenden Grundstücke durch nicht gefasstes Oberflächenwasser fänden sich keine Anhaltspunkte. Die hiergegen erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 564 ZPO). Somit ist auch für das Revisionsverfahren davon auszugehen, dass das zweite Regenrückhaltebecken überstaut wurde und das ausströmende Wasser die Häuser des Klägers überschwemmt hat.
II.
1. Das Berufungsgericht bejaht auf dieser Grundlage eine Gefährdungshaftung nach § 2 Abs. 1 S. 1 HPflG (Wirkungshaftung). Das Regenrückhaltebecken sei Teil der von der Beklagten betriebenen Abwasseranlage. Dass es sich insoweit um einen relativ großen offenen Bereich des Kanalsystems gehandelt habe, sei unerheblich, da der notwendige Zusammenhang mit der Funktion der Anlage gewahrt sei. Mit dem Wiederaustritt des Wassers im Bereich des Rückhaltebeckens und der anschließenden Überflutung habe sich gerade die mit dem konzentrierten Transport des Wassers in einer Rohrleitung typischerweise verbundene besondere Betriebsgefahr verwirklicht, die den gesetzgeberischen Grund für die Einführung der strengeren Haftung gebildet habe. Das Wasser habe die Kanalisation zu keinem Zeitpunkt verlassen und sei damit i. S. d. § 2 Abs. 1 S. 1 HPflG "von" einer Rohrleitungsanlage ausgegangen. In Übereinstimmung mit dem OLG Rostock (OLG Rostock v. 31.1.2002 - 1 U 113/00, OLGReport Rostock 2003, 10 = VersR 2003, 909; ebenso Kunschert in Geigel/Schlegelmilch, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl. 2004, Kap. 22 Rz. 61) entspreche es gerade dem Schutzzweck der Norm, derartige offen liegende Teile des Kanalsystems wie ein Rückhaltebecken im Falle ihres Versagens ebenfalls in die Haftung einzubeziehen.
Auf höhere Gewalt gem. § 2 Abs. 3 Nr. 3 HPflG könne sich die Beklagte ebenso wenig berufen. Einen ganz ungewöhnlichen Katastrophenregen habe die Beklagte nicht nachgewiesen. Vielmehr sei eine Wiederkehrhäufigkeit von nur 1,5 bis 7, höchstens 14 Jahren, belegt.
2. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Richtig ist, dass die gemeindliche Abwasserkanalisation zu den in § 2 Abs. 1 S. 1 HPflG genannten Rohrleitungsanlagen gehört. Das entspricht ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats (BGH v. 5.10.1989 - III ZR 66/88, BGHZ 109, 8 [12] = MDR 1990, 316 m. w. N.; v. 11.7.1991 - III ZR 177/90, BGHZ 115, 141 [142] = MDR 1991, 945; Urt. v. 26.4.2001 - III ZR 102/00, MDR 2001, 1058 = BGHReport 2001, 598 = DVBl. 2001, 1272 = VersR 2002, 444). Dem Berufungsgericht ist auch zuzugeben, dass über die räumliche Verbindung hinaus ein enger Funktionszusammenhang zwischen der Kanalisation und dem ihrer Entlastung dienenden Regenrückhaltebecken besteht. Das genügt jedoch nicht. Im Gesetzgebungsverfahren wurde ausdrücklich hervorgehoben, dass die neu geordnete und erweiterte Gefährdungshaftung nach § 2 Abs. 1 HPflG ausschließlich verrohrte Anlagen erfasst, während es hinsichtlich nicht eingefasster offener Gräben und Kanäle bei den allgemeinen Risiken und Haftungsnormen verbleiben sollte (BT-Drucks. 7/4825, 13 = BT-Drucks. 8/108, 12; vgl. dazu BGH, Urt. v. 14.7.1988 - III ZR 225/87, MDR 1989, 46 = VersR 1988, 1041 [1042] = NJW 1989, 104 f.; und v. 13.6.1996 - III ZR 40/95, MDR 1996, 1016 = NJW 1996, 3208). Ist deshalb eine Anlage teils verrohrt, teils offen, so ist - ungeachtet dessen, dass es in beiden Fallgestaltungen um vergleichbare Gefahrenpotenziale aus dem konzentrierten Transport von Flüssigkeiten geht - nach der bindenden gesetzgeberischen Wertung grundsätzlich maßgebend, an welcher Stelle die schadensstiftenden Flüssigkeiten ausgetreten sind (Filthaut, HPflG, 6. Aufl. 2003, § 2 Rz. 10). Der Senat hat zwar in seinem Urteil v. 14.7.1988 (BGH, Urt. v. 14.7.1988 - III ZR 225/87, MDR 1989, 46 = VersR 1988, 1041 [1042] = NJW 1989, 104 f.) dem Umstand, dass die Rohrleitungsanlage dort durch eine offene Betonwanne von 1,50m Länge geringfügig unterbrochen war, keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen. Er hat aber später in ausdrücklicher Abgrenzung zu dieser Entscheidung einen sich an die Verrohrung anschließenden offenen Straßengraben, in dem das Wasser nach etwa 35m versickert war, nicht mehr als lediglich unbedeutende Unterbrechung eines ansonsten zusammenhängenden Rohrleitungssystems angesehen (BGH, Urt. v. 13.6.1996 - III ZR 40/95, MDR 1996, 1016 = NJW 1996, 3208). So verhält es sich auch im Streitfall. Das offene Regenrückhaltebecken, dessen Grundfläche zwar nicht festgestellt ist, das aber vom Berufungsgericht als "relativ groß" bezeichnet wird und das auch nach den vorgelegten Lichtbildern jedenfalls beträchtliche Ausmaße besitzt, unterbricht schon von seiner Größe her das übrige geschlossene Leitungssystem. Infolgedessen sind die von dem Erdbecken zunächst aufgenommenen und schließlich seine Ränder überflutenden Wassermassen nicht i. S. d. § 2 Abs. 1 S. 1 HPflG "von" der verrohrten Leitungsanlage ausgegangen.
III.
Das Berufungsurteil stellt sich indessen aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Feststellungen dazu, ob der Beklagten Fehler bei der Planung, dem Bau oder dem Betrieb des Regenrückhaltebeckens oder sonstiger Teile ihrer Abwasserkanalisation anzulasten sind, hat das Berufungsgericht zwar - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht getroffen. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand lassen sich daher weder Amtshaftungsansprüche (§ 839 BGB, Art. 34 GG) noch Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff (dazu etwa BGH, Urt. v. 27.1.1983 - III ZR 70/81, MDR 1996, 1016 = LM BGB § 839 Nr. 74; v. 27.1.1983 - III ZR 70/81, MDR 1983, 733 = DVBl. 1983, 1055 [1057]; und v. 2.2.1984 - III ZR 13/83, MDR 1984, 649 = NJW 1985, 496 f.) bejahen. Die Beklagte ist dem Kläger für den entstandenen Schaden aber jedenfalls aus dem Gesichtspunkt des enteignenden Eingriffs verantwortlich. Dass ein solcher Anspruch nicht auf vollen Schadensausgleich, sondern lediglich auf Entschädigung nach Enteignungsgrundsätzen gerichtet ist (vgl. nur BGH v. 10.12.1998 - III ZR 233/97, BGHZ 140, 200 [201] = MDR 1999, 411; Staudinger/Wurm, BGB, 13. Bearb. 2002, § 839 Rz. 450, 478), steht einer Bestätigung des angefochtenen Grundurteils nicht entgegen, da die vom Kläger geltend gemachten Schadenspositionen (Sachschäden, Mietausfall, Vermittlungskosten) sämtlich auch auf dieser Grundlage ersatzfähig sind.
1. Ansprüche aus enteignendem Eingriff kommen in Betracht, wenn an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahmen bei einem Betroffenen unmittelbar zu - meist atypischen und unvorhergesehenen - Nachteilen führen, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen (st. Rspr.; vgl. BGH v. 29.3.1984 - III ZR 11/83, BGHZ 91, 20 [21 f., 26f.] = MDR 1984, 739; v. 8.11.1990 - III ZR 251/89, BGHZ 112, 392 [399] = MDR 1991, 950; v. 16.3.1995 - III ZR 166/93, BGHZ 129, 124 [125 f.] = MDR 1995, 477; v. 21.1.1998 - III ZR 168/97, BGHZ 140, 285 [298]; s. ferner Staudinger/Wurm, BGB, 13. Bearb. 2002, § 839 Rz. 450, 478). Entschädigungsansprüche solcher Art hat der Senat etwa wegen Immissionen von hoher Hand zugebilligt, soweit diese unter privaten Nachbarn nach § 906 BGB nicht ohne Ausgleich hinzunehmen wären (Verkehrs- oder Fluglärmimmissionen: BGH BGHZ 59, 378 [379]; BGHZ 64, 220 [222]; v. 6.2.1986 - III ZR 96/84, BGHZ 97, 114 [116] = MDR 1986, 477; v. 17.4.1986 - III ZR 202/84, BGHZ 97, 361 [362 f.] = MDR 1986, 827; v. 25.3.1993 - III ZR 60/91, BGHZ 122, 76 f. = MDR 1993, 1185; v. 16.3.1995 - III ZR 166/93, BGHZ 129, 124 [125 f.] = MDR 1995, 477; s. auch v. 21.1.1998 - III ZR 168/97, BGHZ 140, 285 [298]; Geruchsimmissionen: v. 29.3.1984 - III ZR 11/83, BGHZ 91, 20 [21 f.] = MDR 1984, 739; Staubimmissionen: BGHZ 48, 98 [101 f.]; Anlocken von Vögeln durch eine Mülldeponie: Urt. v. 13.12.1979 - III ZR 95/78, NJW 1980, 770). Insofern ist der Anspruch aus enteignendem Eingriff das öffentlich-rechtliche Gegenstück zum zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch unter Nachbarn nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB (BGH v. 29.3.1984 - III ZR 11/83, BGHZ 91, 20 [27] = MDR 1984, 739; Beschl. v. 30.1.1986 - III ZR 34/85, MDR 1984, 739 = NJW 1986, 2423 [2424]). Bei der Überschwemmung von Grundstücken hat der Senat eine Haftung der öffentlichen Hand aus enteignendem Eingriff bisher in Fällen angenommen, in denen der Schaden durch Hochwasserschutzmaßnahmen entstanden war (Erhöhung von Seedeichen: BGH v. 5.3.1981 - III ZR 9/80, BGHZ 80, 111 [113 ff.] = MDR 1981, 734; Beschl. v. 25.2.1988 - III ZR 258/86, BGHR GG vor Art. 1/enteignender Eingriff Hochwasserschutz 1; Absperrung eines Entwässerungsgrabens: v. 20.2.1992 - III ZR 188/90, BGHZ 117, 240 [252 ff.] = MDR 1992, 874; Aufstau einer Talsperre: Urt. v. 22.2.1971 - III ZR 221/67, NJW 1971, 750). Demgegenüber hat er beim Bruch einer gemeindlichen Wasserleitung eine unmittelbare Beeinträchtigung des überschwemmten Grundstücks wegen des Hinzutretens weiterer Umstände verneint (BGH BGHZ 55, 229 [230 ff.]; s. auch v. 27.1.1994 - III ZR 158/91, BGHZ 125, 19 [21] = MDR 1994, 1091; und ferner Urt. v. 30.5.2003 - V ZR 37/02, MDR 2003, 1225 = BGHReport 2003, 932 = NJW 2003, 2377 [2378 f.]; für v. 30.5.2003 - V ZR 37/02, MDR 2003, 1225 = BGHReport 2003, 932 bestimmt).
2. Der Streitfall weist, auch wenn es hier nicht um den Schutz vor Hochwasser, sondern um Schäden aus der Überschwemmung durch gesammeltes Niederschlagswasser geht, Parallelen zu den Senatsurteilen (BGH v. 20.2.1992 - III ZR 188/90, BGHZ 117, 240 = MDR 1992, 874; und v. 27.1.1994 - III ZR 158/91, BGHZ 125, 19 = MDR 1994, 1091; sowie Urt. v. 22.2.1971 - III ZR 221/67, NJW 1971, 750) auf. Die Beseitigung von Regen- und Abwasser stellt einen Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge dar und ist damit der so genannten schlicht-hoheitlichen Verwaltung zuzuordnen; das gilt auch für ein in das Kanalsystem der Gemeinde eingegliedertes Regenrückhaltebecken. Durch dessen Überlauf ist der Schaden am Eigentum des Klägers adäquat verursacht worden. An der notwendigen Unmittelbarkeit des Eingriffs lässt sich unter diesen Umständen ebenso wenig zweifeln, ungeachtet dessen, dass es dazu erst auf Grund der starken Regenfälle v. 4.7.2000 kommen konnte (vgl. hierzu BGH v. 27.1.1983 - III ZR 70/81, MDR 1983, 733 = LM BGB § 839 [Fe] Nr. 74; v. 27.1.1983 - III ZR 70/81, MDR 1983, 733 = DVBl. 1983, 1055 [1057]). Diese Umstände liegen nicht außerhalb der von hoher Hand geschaffenen und in dem Bauwerk selbst angelegten Gefahrenlage, vielmehr realisiert sich bei einem Überstau allein die ständige latente Gefährdung der Anliegergrundstücke. Etwas anderes ließe sich bei wertender Betrachtung (BGH v. 27.1.1994 - III ZR 158/91, BGHZ 125, 19 [21] = MDR 1994, 1091) allenfalls für einen ganz ungewöhnlichen und seltenen Starkregen (Katastrophenregen) annehmen, auf den die Gemeinde ihr Kanalsystem auch unter dem Gesichtspunkt der besonderen Gefährdung benachbarter Grundstücke möglicherweise nicht auslegen muss. Einen solchen Katastrophenregen hat das Berufungsgericht hier jedoch rechtsfehlerfrei verneint. Die auch in diesem Punkt gegen die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz von der Revision erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch; von einer näheren Begründung sieht der Senat gem. § 564 ZPO gleichfalls ab.
Fundstellen
Haufe-Index 1141270 |
BGHZ 2005, 263 |
NJW 2004, 3118 |
NWB 2004, 1728 |
BGHR 2004, 937 |
BauR 2004, 1049 |
BauR 2004, 1272 |
EBE/BGH 2004, 141 |
EBE/BGH 2004, 2 |
NVwZ 2004, 1018 |
WM 2005, 615 |
ZAP 2004, 525 |
DÖV 2004, 751 |
JA 2004, 872 |
MDR 2004, 1059 |
NuR 2005, 66 |
VersR 2004, 1605 |
WuM 2004, 300 |
BayVBl. 2005, 90 |
DVBl. 2004, 945 |
GK/BW 2004, 237 |
GV/RP 2004, 673 |
GuT 2004, 103 |
Info M 2005, 48 |
RÜ 2004, 558 |
RdW 2004, 437 |
UPR 2004, 308 |
ZfW 2005, 40 |
ZfW 2005, 68 |
FSt 2004, 688 |
FuBW 2004, 702 |
FuHe 2004, 605 |
FuNds 2004, 583 |
GK 2004, 252 |
JT 2005, 146 |