Leitsatz (amtlich)
Eine turnusmäßige oder anlassbezogene Geschäftsprüfung verletzt die richterliche Unabhängigkeit erst dann, wenn sie einen unzulässigen Erledigungsdruck ausübt oder auf eine direkte oder indirekte Weisung oder psychische Einflussnahme hinausläuft, wie der Richter künftig verfahren oder entscheiden soll. Das gilt auch für die Art und Weise, wie der Richter seine Leitungsfunktion als Vorsitzender eines Spruchkörpers ausübt. Maßgebend ist dabei der objektive Eindruck, den die Maßnahme erweckt (Anschluss an BGH, Urteil vom 7. September 2017 - RiZ(R) 3/15, juris).
Normenkette
DRiG § 26 Abs. 3
Verfahrensgang
BGH (Beschluss vom 15.02.2022; Aktenzeichen RiZ (R) 1/19) |
LG Leipzig (Entscheidung vom 21.01.2019; Aktenzeichen 66 DG 3/17) |
LG Leipzig (Entscheidung vom 21.01.2019; Aktenzeichen 66 DG 2/13) |
Tenor
Die Revisionen des Antragstellers gegen die Urteile des Dienstgerichts für Richter beim Landgericht Leipzig vom 21. Januar 2019 - 66 DG 2/13 und 66 DG 3/17 - werden zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Antragsteller ist Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht im Dienst des Antragsgegners. Er wendet sich gegen die Anordnung und Durchführung zweier außerordentlicher richterlicher Geschäftsprüfungen in den Zeiträumen vom 20. März bis zum 17. Mai 2013 sowie vom 28. Oktober bis zum 11. Dezember 2013 in der von ihm geführten 6. Kammer des Verwaltungsgerichts L.
Rz. 2
Im September 2012 hörte der damalige Präsident des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts eine Richterin am Verwaltungsgericht L (künftig: Verwaltungsgericht) in einem gegen sie anhängigen Disziplinarverfahren an. Diese Richterin war zuvor der vom Antragsteller geleiteten Kammer des Verwaltungsgerichts zugeordnet gewesen. Aus den Äußerungen dieser Richterin entstand beim Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts der Verdacht, dass der Antragsteller nachträglich Änderungen an dem Text eines Urteils dieser Richterin, das diese als Einzelrichterin im Jahr 2009 erlassen hatte, vorgenommen habe. Auf Anregung des Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts leitete das für Justiz zuständige Staatsministerium im Januar 2013 ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller ein wegen des Verdachts der Vornahme nachträglicher Änderungen am Text einer Entscheidung einer Einzelrichterin.
Rz. 3
Im Dezember 2012 wies die Präsidentin des Verwaltungsgerichts den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts darauf hin, dass die Geschäftsverteilung der 6. Kammer nicht durch Beschluss aller Kammermitglieder, sondern durch Anordnung nur des Vorsitzenden - des Antragstellers - erfolgt sei; im Februar 2013 legte sie ihm hierzu Unterlagen vor. Mit Schreiben vom 25. Februar 2013 teilte der Präsident des Oberverwaltungsgerichts der Präsidentin des Verwaltungsgerichts seine Auffassung mit, dass die Geschäftsverteilung teilweise unter Verstoß gegen § 21g GVG geregelt worden sei und es deshalb wie auch aufgrund des zum Gegenstand des Disziplinarverfahrens gemachten Vorfalls nunmehr erforderlich sei, eine außerordentliche Geschäftsprüfung in der 6. Kammer durchzuführen.
Rz. 4
Mit Schreiben vom 19. März 2013 teilte die Präsidentin des Verwaltungsgerichts unter Beifügung der vorgenannten Zuschrift dem Antrag-steller und den übrigen Mitgliedern der 6. Kammer "unter Bezugnahme auf die mit beigefügtem Schreiben des Präsidenten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts getroffene Anweisung" mit, dass sie in den nächsten Wochen eine außerordentliche richterliche Geschäftsprüfung in der 6. Kammer durchführen werde. Die Geschäftsprüfung werde zunächst Akten von erledigten Verfahren der letzten fünf Jahre aller Kammermitglieder sowie auch laufender Verfahren umfassen. Diese Geschäftsprüfung fand - stichprobenartig - im Zeitraum vom 20. März bis 17. Mai 2013 statt ("erste außerordentliche richterliche Geschäftsprüfung").
Rz. 5
Den unmittelbar nach Bekanntgabe der bevorstehenden außerordentlichen Geschäftsprüfung vom Antragsteller hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Präsident des Oberverwaltungsgerichts mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2013 zurück.
Rz. 6
Das Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller wurde am 29. Juli 2013 eingestellt.
Rz. 7
Auf der Grundlage des Abschlussberichts der Präsidentin des Verwaltungsgerichts zur ersten außerordentlichen richterlichen Geschäftsprüfung regte der Präsident des Oberverwaltungsgerichts gegenüber der Präsidentin des Verwaltungsgerichts im August 2013 an, im Hinblick auf in dem Bericht angesprochene acht Verfahren, in denen der Vorsitzende Korrekturen an Einzelrichterentscheidungen vorgenommen habe, zur Vervollständigung der Prüfung alle Einzelrichterentscheidungen der 6. Kammer aus den Jahren 2008 bis 2012 auf weitere Änderungen zu überprüfen.
Rz. 8
Mit Schreiben vom 28. Oktober 2013 ordnete die Präsidentin des Verwaltungsgerichts L die weitere außerordentliche richterliche Geschäftsprüfung an und führte diese in der Zeit vom 28. Oktober bis zum 11. Dezember 2013 durch ("zweite außerordentliche richterliche Geschäftsprüfung"). Den hiergegen vom Antragsteller eingelegten Widerspruch wies der Präsident des Oberverwaltungsgerichts mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 2017 zurück.
Rz. 9
Beim Dienstgericht für Richter beim Landgericht Leipzig hat der Antragsteller in dem die erste außerordentliche richterliche Geschäftsprüfung betreffenden Prüfungsverfahren 66 DG 2/13 beantragt,
nach § 34 Nr. 1 SächsRiG, § 78 Nr. 1 DRiG festzustellen, dass die außerordentliche Geschäftsprüfung in der 6. Kammer des Verwaltungsgerichts L entsprechend der Verfügung des Präsidenten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Februar 2013 und des Widerspruchsbescheids des Präsidenten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. Juli 2013 rechtswidrig war,
hilfsweise,
nach § 34 Nr. 4 Buchst. f) SächsRiG, § 78 Nr. 4 Buchst. e) DRiG die außerordentliche Geschäftsprüfung in der 6. Kammer des Verwaltungsgerichts L entsprechend der Verfügung des Präsidenten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Februar 2013 und des Widerspruchsbescheids des Präsidenten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. Juli 2013 für unzulässig zu erklären.
Rz. 10
In dem die zweite außerordentliche richterliche Geschäftsprüfung betreffenden Prüfungsverfahren 66 DG 3/17 hat der Antragsteller beim Dienstgericht für Richter beim Landgericht Leipzig beantragt,
nach § 34 Nr. 1 SächsRiG, § 78 Nr. 1 DRiG festzustellen, dass die außerordentliche Geschäftsprüfung in der 6. Kammer des Verwaltungsgerichts L entsprechend der Verfügung des Präsidenten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. August 2013 und des Widerspruchsbescheids des Präsidenten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. August 2017 rechtswidrig war,
hilfsweise,
nach § 34 Nr. 4 Buchst. f) SächsRiG, § 78 Nr. 4 Buchst. e) DRiG die außerordentliche Geschäftsprüfung in der 6. Kammer des Verwaltungsgerichts L entsprechend der Verfügung des Präsidenten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. August 2013 und des Widerspruchsbescheids des Präsidenten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. August 2017 für unzulässig zu erklären.
Rz. 11
Der Antragsgegner hat in den beiden Prüfungsverfahren jeweils beantragt, die Anträge zurückzuweisen.
Rz. 12
Das Dienstgericht für Richter beim Landgericht Leipzig hat mit Urteilen vom 21. Januar 2019 (66 DG 2/13 und 66 DG 3/17) jeweils beide Anträge zurückgewiesen. Es hat jeweils den Hauptantrag als unstatthaft und damit als unzulässig angesehen; insoweit sind diese Entscheidungen inzwischen rechtskräftig. Den Hilfsantrag hat es jeweils als unbegründet angesehen, weil die Anordnung und Durchführung der außerordentlichen Geschäftsprüfungen als Maßnahmen der Dienstaufsicht den Antragsteller nicht in seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigten. Insbesondere seien die außerordentlichen Geschäftsprüfungen durch einen sachlichen Grund und einen konkreten Anlass gerechtfertigt gewesen. Dieser habe in der seinerzeit gebotenen Überprüfung gelegen, ob der Antragsteller als Kammervorsitzender in Einzelrichterurteilen seiner beisitzenden Richter ohne deren Wissen und Einverständnis Änderungen vorgenommen habe; ob auch die Überprüfung der Ordnungsgemäßheit des Zustandekommens der kammerinternen Geschäftsverteilungspläne ein rechtfertigender Anlass gewesen sei, könne dahinstehen. Hinsichtlich des Hilfsantrags hat das Dienstgericht für Richter beim Landgericht Leipzig jeweils die Revision zugelassen.
Rz. 13
Der Antragsteller hat gegen beide Entscheidungen die Revision mit am 19. Februar 2019 beim Dienstgericht des Bundes eingegangenem Schriftsatz vom 14. Februar 2019 im Umfang der Zulassung eingelegt. Er ist der Ansicht, der Präsident des Oberverwaltungsgerichts sei für die Anordnung der Geschäftsprüfungen seiner Kammer nicht zuständig gewesen. Die Geschäftsprüfungen verletzten seine richterliche Unabhängigkeit, weil es für sie keinen Anlass gegeben habe. Die Änderungen der Geschäftsverteilungspläne seien als lediglich vorläufige Regelungen mit den Kammermitgliedern abgesprochen gewesen und diesen umgehend zur Genehmigung vorgelegt worden; diese Praxis sei der Präsidentin des Verwaltungsgerichts auch bekannt gewesen und nie von ihr beanstandet worden. Der Vorwurf der Fälschung von Urteilen sei von vornherein haltlos gewesen und hätte nicht dienstrechtlich - und damit nicht mittels einer Geschäftsprüfung -, sondern nur disziplinarrechtlich untersucht werden dürfen; er werde hierdurch in seiner richterlichen Unabhängigkeit verletzt.
Rz. 14
Der Antragsteller beantragt im Prüfungsverfahren RiZ(R) 1/19 (66 DG 2/13),
das Urteil des Landgerichts Leipzig - Dienstgericht für Richter - vom 21. Januar 2019 aufzuheben und die außerordentliche Geschäftsprüfung in der 6. Kammer des Verwaltungsgerichts L entsprechend der Verfügung des Präsidenten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Februar 2013 - E 1403 - und des Widerspruchsbescheids des Prä-sidenten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. Juli 2013 - PA/B, A - für unzulässig zu erklären.
Rz. 15
Der Antragsteller beantragt im Prüfungsverfahren RiZ(R) 2/19 (66 DG 3/17),
das Urteil des Landgerichts Leipzig - Dienstgericht für Richter - vom 21. Januar 2019 aufzuheben und die außerordent-liche Geschäftsprüfung in der 6. Kammer des Verwaltungs-gerichts L entsprechend der Verfügung des Präsidenten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. August 2013 - E 1401 - und des Widerspruchsbescheids des Prä-sidenten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. August 2017 - E 1401-1/17(003) - für unzulässig zu erklären.
Rz. 16
Der Antragsgegner beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
Rz. 17
Der Senat hat beide Revisionen durch Beschluss vom 16. Mai 2023 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden, § 93 Satz 1 VwGO.
Entscheidungsgründe
A.
Rz. 18
Die Vertretung des Antragsgegners durch die Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts folgt aus der im richterdienstgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1 der Sächsischen Vertretungsverordnung (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2022 - RiZ(B) 1/21, juris Rn. 1).
B.
Rz. 19
Die Revisionen haben keinen Erfolg.
Rz. 20
I. Zutreffend ist das Dienstgericht für Richter jeweils davon ausgegangen, dass der Antragsteller hinsichtlich der ersten und der zweiten außerordentlichen richterlichen Geschäftsprüfung einen zulässigen Prüfungsantrag nach § 34 Nr. 4 Buchst. f) SächsRiG i.V.m. § 26 Abs. 3 DRiG gestellt hat.
Rz. 21
1. Eine Maßnahme der Dienstaufsicht liegt jeweils vor. Der Begriff der Maßnahme der Dienstaufsicht ist entsprechend dem auf einen umfassenden Rechtsschutz der richterlichen Unabhängigkeit gerichteten Zweck des § 26 Abs. 3 DRiG weit auszulegen. Es genügt bereits eine Einflussnahme, die sich lediglich mittelbar auf die rechtsprechende Tätigkeit des Richters auswirkt oder darauf abzielt. Die "Maßnahme" besteht in einem Verhalten einer dienstaufsichtführenden Stelle gegenüber einem Richter. Erforderlich ist, dass sich das Verhalten einer dienstaufsichtführenden Stelle bei objektiver Betrachtung gegen einen bestimmten Richter oder eine bestimmte Gruppe von Richtern wendet, es also zu einem konkreten Konfliktfall zwischen der Justizverwaltung und dem Richter oder bestimmten Richtern gekommen ist bzw. ein konkreter Bezug zur Tätigkeit eines Richters besteht. Dazu zählt auch die Anordnung und Durchführung einer (Sonder-)Geschäftsprüfung (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 7. September 2017 - RiZ(R) 3/15, juris Rn. 13 f. m.w.N.).
Rz. 22
2. Die vom Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts veranlassten und von der Präsidentin des Verwaltungsgerichts getroffenen Anordnungen der außerordentlichen richterlichen Geschäftsprüfung können isoliert angefochten werden. Dabei kann dahinstehen, ob es sich lediglich um vorbereitende Verfahrenshandlungen zur Abklärung handelt, ob eine Maßnahme der Dienstaufsicht getroffen werden soll. Das Prüfungsverfahren findet nämlich auch gegen solche vorbereitenden Verfahrenshandlungen statt, die eine selbständige, im Verhältnis zur abschließenden Sachentscheidung andersartige Beschwer enthalten. Das ist bei einer außerordentlichen richterlichen Geschäftsprüfung der Fall (BGH, Urteil vom 7. September 2017 - RiZ(R) 3/15, juris Rn. 14).
Rz. 23
a) Entsprechend § 44a Satz 1 VwGO können Rechtsbehelfe gegen Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Als Ausnahme davon unterliegen Verfahrenshandlungen entsprechend § 44a Satz 2 VwGO einer isolierten Anfechtung, wenn sie in Rechtspositionen eingreifen und dadurch eine selbständige, im Verhältnis zur abschließenden Sachentscheidung andersartige Beschwer enthalten. Die darin liegende Beschwer ist mit der Umsetzung auch endgültig eingetreten und kann durch einen späteren Bescheid, auch wenn darin von einer Dienstaufsichtsmaßnahme abgesehen wird, nicht mehr rückgängig gemacht werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 7. September 2017 - RiZ(R) 3/15, juris Rn. 15 f. m.w.N.).
Rz. 24
b) Der Antragsteller ist auch antragsbefugt, weil jeweils ein konkreter Bezug zu seiner Tätigkeit besteht. Für die Zulässigkeit des Antrags genügt die nachvollziehbare Behauptung, dass eine Maßnahme die richterliche Unabhängigkeit des Antragstellers beeinträchtigt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 7. September 2017 - RiZ(R) 3/15, juris Rn. 17 m.w.N.). Der diesbezügliche Vortrag des Antragstellers im vorliegenden Fall ist nachvollziehbar. Die außerordentlichen richterlichen Geschäftsprüfungen dienten der Überprüfung der Ordnungsgemäßheit seiner richterlichen Aufgabenwahrnehmung als Vorsitzender der 6. Kammer des Verwaltungsgerichts.
Rz. 25
II. Die Prüfungsanträge sind aber nicht begründet. Rechtsfehlerfrei hat das Dienstgericht für Richter angenommen, dass die Anordnung und Durchführung der beiden außerordentlichen richterlichen Geschäftsprüfungen die richterliche Unabhängigkeit des Antragstellers nicht verletzt haben.
Rz. 26
1. Eine Maßnahme der Dienstaufsicht ist wegen Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit unzulässig, wenn sie auf eine direkte oder indirekte Weisung hinausläuft, wie der Richter entscheiden oder verfahren soll; insoweit muss sich die Dienstaufsicht auch jeder psychologischen Einflussnahme enthalten (BVerfG, NVwZ 2016, 764 Rn. 76; BGH, Urteil vom 31. Januar 1984 - RiZ(R) 3/83, BGHZ 90, 41, 43 f.).
Rz. 27
Eine turnusmäßige oder anlassbezogene Prüfung läuft nicht auf eine solche verbotene Einflussnahme hinaus. Die Beobachtungsfunktion gehört zum Wesen einer zulässigen Dienstaufsicht. Die dienstaufsichtführenden Stellen sind im Rahmen der ihnen auch gegenüber Richtern zustehenden Beobachtungsfunktion befugt, sich durch - turnusmäßige oder aus besonderem Anlass erfolgende - Geschäftsprüfungen Klarheit darüber zu verschaffen, ob organisatorische Entlastungsmaßnahmen oder gezieltere dienstaufsichtliche Maßnahmen angezeigt sind. Eine Prüfung verletzt die richterliche Unabhängigkeit daher erst dann, wenn sie einen unzulässigen Erledigungsdruck ausübt oder auf eine direkte oder indirekte Weisung oder psychische Einflussnahme hinausläuft, wie der Richter künftig verfahren oder entscheiden soll. Das gilt auch für die Art und Weise, wie der Antragsteller seine Leitungsfunktion als Vorsitzender der 6. Kammer des Verwaltungsgerichts ausübt. Maßgebend ist dabei der objektive Eindruck, den die Maßnahme erweckt (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 7. September 2017 - RiZ(R) 3/15, juris Rn. 21 m.w.N.). Das Dienstgericht für Richter hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die streitgegenständlichen außerordentlichen richterlichen Geschäftsprüfungen nicht auf eine direkte oder indirekte Weisung an den Antragsteller oder auf seine psychische Einflussnahme, wie er künftig verfahren sollte, hinausliefen. Bei objektiver Betrachtung laufen die in Rede stehenden außerordentlichen richterlichen Geschäftsprüfungen nicht darauf hinaus, dem Antragsteller vorzugeben, wie er innerhalb der von Rechts wegen zu beachtenden Grenzen als Kammervorsitzender auf die Güte und Stetigkeit der Rechtsprechung des von ihm geleiteten Spruchkörpers hinwirkt. Das Revisionsvorbringen gibt zu einer hiervon abweichenden Bewertung keine Veranlassung.
Rz. 28
2. Dahinstehen kann, ob eine außerordentliche richterliche Geschäftsprüfung ohne Anlass die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt oder ob ihr Anlass eine Frage der allgemeinen Rechtmäßigkeit der Maßnahme ist, die von den Verwaltungsgerichten zu überprüfen ist (vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 1984 - RiZ(R) 3/83, BGHZ 90, 41, 48 ff.). Das Dienstgericht für Richter hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass ein objektiver Anlass für die Geschäftsprüfungen bestand. Es hat dazu ausgeführt, dass die Geschäftsprüfungen die Untersuchung bezweckten, ob und inwieweit der Antragsteller als Kammervorsitzender ohne Einverständnis der beisitzenden Richter Änderungen in von diesen als Einzelrichtern abgefassten Urteilen vorgenommen hat, und dies zutreffend als objektiven Anlass für die Geschäftsprüfungen gewertet.
Rz. 29
3. Schließlich kann dahinstehen, ob willkürliches Handeln des Dienstvorgesetzten die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen könnte, was das Dienstgericht des Bundes bisher offengelassen hat (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2006 - RiZ(R) 2/05, NJW-RR 2007, 281 Rn. 26). Denn selbst wenn man annimmt, dass sich aus besonderen Umständen der Anordnung oder Durchführung einer Geschäftsprüfung - insbesondere bei Willkür - Beeinträchtigungen der richterlichen Unabhängigkeit ergeben können, führt dies zu keinem anderen Ergebnis, denn im vorliegenden Fall gibt es solche besonderen Umstände entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht.
Rz. 30
Zum einen sind Maßnahmen der Dienstaufsicht unabhängig davon zulässig, ob auch disziplinarrechtlich relevante Vorwürfe im Raum stehen. Disziplinarrecht und Dienstaufsichtsrecht stehen insoweit nebeneinander und haben unterschiedliche Funktionen; es gibt keine Sperrwirkung des Disziplinarrechts für dienstaufsichtliche Maßnahmen. Dem Dienstherrn stehen die Befugnisse der Dienstaufsicht nach § 26 DRiG neben seinen disziplinarrechtlichen Befugnissen zur Verfügung. Erst wenn er im Zuge seiner dienstaufsichtlichen Prüfung zu der Einschätzung gelangt, dass die dienstaufsichtlichen Maßnahmen des Vorhalts und der Ermahnung gemäß § 26 Abs. 2 DRiG nicht genügen, ist er auf das Disziplinarrecht mit den dort zu beachtenden Verfahrensvorschriften verwiesen (BGH, Urteil vom 3. Januar 1969 - RiZ(R) 6/68, BGHZ 51, 280, 286).
Rz. 31
Zum zweiten können mögliche eigenmächtige Abänderungen von Einzelrichterentscheidungen beisitzender Richter nach entsprechendem "Anfangsverdacht" als Grund für die außerordentlichen Geschäftsprüfungen nicht als willkürlich qualifiziert werden. Mit dieser Zielrichtung bestand ein objektiver Anlass für die außerordentlichen Geschäftsprüfungen (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 2017 - RiZ(R) 3/15, juris Rn. 24). Unabhängig davon, ob die außerordentlichen Geschäftsprüfungen zur Ermittlung des Sachverhaltes ein zweckmäßiges Mittel waren, tangierten sie nicht die richterliche Unabhängigkeit des Antragstellers und erreichten auch nicht die Willkürschwelle.
Rz. 32
Im Rahmen des richterdienstgerichtlichen Prüfungsverfahrens kommt es nicht darauf an, ob diese Zwecke möglicherweise auch und gegebenenfalls besser durch Befragen der im Beobachtungszeitraum kammerangehörigen Richterinnen und Richter hätten erreicht werden können. Einwendungen gegen die Erforderlichkeit der Geschäftsprüfung sind im richterdienstgerichtlichen Verfahren nicht zu überprüfen, weil das richterdienstgerichtliche Verfahren hinsichtlich des Anfechtungsgrundes auf eine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit beschränkt ist (BGH, Urteil vom 7. September 2017 - RiZ(R) 3/15, juris Rn. 25 m.w.N.). Die beschränkte Prüfungsbefugnis unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfG, NVwZ 2016, 764 Rn. 93).
Rz. 33
4. Auf die vom Dienstgericht offengelassene Frage, ob die beiden außerordentlichen richterlichen Geschäftsprüfungen auch durch die Annahme veranlasst waren, die Geschäftsverteilung in der vom Antragsteller geleiteten 6. Kammer des Verwaltungsgerichts könne teilweise unter Verstoß gegen § 21g GVG geregelt worden sein, kommt es hiernach nicht an.
Rz. 34
5. Die für die Entscheidung des Senats als Revisionsgericht maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen des Dienstgerichts für Richter beim Landgericht Leipzig hat der Antragsteller nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen. Für die von ihm beantragte Beiziehung weiterer Akten durch den Senat war von vorneherein kein Raum.
Rz. 35
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Pamp |
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Harsdorf-Gebhardt |
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Menges |
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von der Weiden |
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Eppelt |
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Fundstellen
Dokument-Index HI15737007 |