Verfahrensgang
LG Leipzig (Entscheidung vom 17.10.2019; Aktenzeichen 66 DG 5/16) |
Tenor
Die Revision des Antragstellers gegen das Urteil des Dienstgerichts für Richter bei dem Landgericht Leipzig vom 17. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Antragsteller ist Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht im Dienst des Antragsgegners. Er beanstandet, dass in seiner beim Sächsischen Staatsministerium der Justiz (künftig: Staatsministerium) geführten Personalakte eine über ihn erstellte Anlassbeurteilung aus dem Juli 2005 ohne Streichung einer Textpassage zu einer Erkrankung sowie hierauf bezogene weitere Dokumente enthalten sind.
Rz. 2
Anlässlich seiner Bewerbung um die Stelle eines Vorsitzenden Richters bei dem Verwaltungsgericht Chemnitz erstellte die Präsidentin des Verwaltungsgerichts Leipzig am 18. Juli 2005 eine Anlassbeurteilung über den Antragsteller. Auf eine von ihm hierzu mit Schreiben vom 25. Juli 2005 abgegebene Stellungnahme teilte die Präsidentin dem Antragsteller am selben Tage schriftlich mit, die von ihr als Gegendarstellung gewertete Stellungnahme gebe zur Änderung der Anlassbeurteilung keine Veranlassung; auf einen von ihr beigefügten, ebenfalls vom 25. Juli 2005 datierenden Vermerk nehme sie Bezug. Mit Schreiben vom 15. August 2005 wandte der Antragsteller sich mit der Bitte um Berichtigung der Anlassbeurteilung an das Staatsministerium; seine Stellungnahme sei missverständlich als Gegendarstellung behandelt worden. Das Staatsministerium sah darin einen Widerspruch gegen die Anlassbeurteilung vom 18. Juli 2005, den es dem Präsidenten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vorlegte. Nachdem die Präsidentin des Verwaltungsgerichts Leipzig, die vom Präsidenten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts zu einer Entscheidung über die Abhilfe des Widerspruchs aufgefordert worden war, unter dem 11. Oktober 2005 Stellung genommen hatte, wies der Präsident des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts mit Bescheid vom 2. November 2005 an den Antragsteller "den mit Schreiben vom 15. August 2005 eingelegten Widerspruch" zurück.
Rz. 3
Im Mai 2016 leitete der Antragsteller, der bei dem Staatsministerium erfolglos die Bereinigung seiner Personalakte erstrebt hatte, beim Dienstgericht für Richter ein Prüfungsverfahren ein, in dem er die Feststellung beantragte, dass die Aufnahme des Widerspruchsbescheids des Präsidenten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom November 2005 und des Nichtabhilfeschreibens der Präsidentin des Verwaltungsgerichts Leipzig vom Oktober 2005 in die Personalakte sowie das Belassen der dienstlichen Beurteilung vom Juli 2005 und eines Vermerks vom Juli 2005 in der Personalakte ohne Streichung von ihm bezeichneter krankheitsbezogener Textstellen unzulässig sind.
Rz. 4
Das Dienstgericht für Richter hat mit am 7. Dezember 2019 zugestelltem Urteil vom 17. Oktober 2019 den Antrag des Antragstellers zurückgewiesen. Er sei unbegründet, weil es an einer Maßnahme der Dienstaufsicht im Sinne von § 26 Abs. 3 DRiG fehle. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, bei der bloßen Aufnahme von Schriftstücken in die Personalakte des Antragstellers handele es sich nicht um jeweils eigenständige Maßnahmen der Dienstaufsicht. Mit der Übernahme der Schriftstücke in die Personalakte bringe der Dienstherr keine eigenständige Bewertung des Verhaltens des Antragstellers zum Ausdruck, der gegenüber der Anlassbeurteilung und dem nachfolgenden Widerspruchsbescheid eine eigenständige Bedeutung zukommen könnte. Zudem seien sowohl der Vermerk der Präsidentin des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 25. Juli 2005 als auch deren Nichtabhilfeschreiben vom 11. Oktober 2005 dem Beurteilungs- und Widerspruchsvorgang zuzurechnen. Mit einem Antrag nach § 26 Abs. 3 DRiG könne ein Anspruch auf Entfernung der Widerspruchsakte selbst zu einer rechtskräftig für unzulässig erklärten dienstlichen Beurteilung nicht mehr erstritten werden. Erst recht könne der Antragsteller mit diesem Antrag nicht die nachträgliche Feststellung erstreiten, die Aufnahme der Anlassbeurteilung, gegen die er keinen Widerspruch erhoben haben wolle, und des bestandskräftigen Widerspruchsbescheids in die Personalakte seien unzulässig. Hierdurch werde der Antragsteller - insbesondere im Hinblick auf eine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit - nicht rechtlos gestellt. Ihm sei es unbenommen gewesen, unmittelbar gegen die Anlassbeurteilung in der Fassung des Widerspruchsbescheids vorzugehen und diese bei dem Richterdienstgericht und den im Übrigen zuständigen Verwaltungsgerichten einer rechtlichen Prüfung unterziehen zu lassen. Dagegen könne er sich nicht mehr gleichsam isoliert gegen deren ungekürzte Aufnahme in die beim Staatsministerium geführte Personalakte wenden.
Rz. 5
Mit seiner am 27. Dezember 2019 eingelegten Revision verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter. Er vertritt die Auffassung, in seinem Antrag komme zum Ausdruck, dass er sich gegen den unzulässigen Widerspruchsbescheid vom 2. November 2005, gegen die unzulässige Nichtabhilfeentscheidung vom 11. Oktober 2005 und ihre Aufnahme in die Personalakte sowie gegen die zu Teilen unzulässige Anlassbeurteilung vom 18. Juli 2005 und den zu Teilen unzulässigen Vermerk vom 25. Juli 2005 und deren Belassen in der Personalakte wende. Der Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Aufnahme eines Dokuments in die bzw. das Belassen des Dokuments in der Personalakte umfasse auch den Antrag, die Unzulässigkeit des jeweiligen Dokuments - im Sinne eines Eingriffs in seine, des Antragstellers, richterliche Unabhängigkeit - festzustellen. Der Streit um die Anlassbeurteilung sei lediglich im Rahmen des Verfahrens zur Personalaktenbereinigung geführt worden. Durch den "nichtigen" Widerspruchsbescheid vom 2. November 2005 und die "unwirksame" Nichtabhilfeentscheidung vom 11. Oktober 2005 werde er, der Antragsteller, jeweils persönlich schwerwiegend herabgesetzt. Die richterliche Unabhängigkeit verletzten insbesondere unsachliche Formulierungen, die die gesamte Richterpersönlichkeit über das Gebotene hinaus abwerteten. Tatsächlich habe er, der Antragsteller, keinen Widerspruch eingelegt, sondern die oberste Dienstbehörde lediglich ersucht, die Anlassbeurteilung vom 18. Juli 2005 noch einmal zu überprüfen; dies stelle offensichtlich keinen Widerspruch dar. Das Staatsministerium mache sich den nichtigen Widerspruchsbescheid und die unwirksame Nichtabhilfeentscheidung zu eigen und beeinträchtige dadurch seinen - des Antragstellers - beruflichen Leumund und seine richterliche Unabhängigkeit.
Rz. 6
Der Antragsteller beantragt,
das Urteil des Landgerichts Leipzig - Dienstgericht für Richter - vom 17. Oktober 2019 aufzuheben und festzustellen, dass die Aufnahme des Widerspruchsbescheids vom 2. November 2005 mit dem Nichtabhilfeschreiben vom 11. Oktober 2005 in die Personalakte, das Belassen der Beurteilung vom 18. Juli 2005 in der Personalakte ohne Streichung der benannten Textstellen und das Belassen des Vermerks vom 25. Juli 2005 in der Personalakte ohne Streichung der benannten Textstellen unzulässig ist.
Rz. 7
Der Antragsgegner beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Rz. 8
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
Entscheidungsgründe
Rz. 9
Die gemäß § 45 Abs. 2 SächsRiG, § 80 Abs. 2 DRiG zulässige Revision des Antragstellers ist unbegründet.
I.
Rz. 10
Das Dienstgericht für Richter ist zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei der Aufnahme des Widerspruchsbescheids mit dem Nichtabhilfeschreiben in die Personalakte und dem Belassen der dienstlichen Beurteilung sowie des Vermerks in der Personalakte jeweils ohne Streichung der vom Antragsteller benannten Textstellen nicht um Maßnahmen der Dienstaufsicht im Sinne von § 26 Abs. 3 DRiG handelt. Das Revisionsvorbringen gibt zu einer abweichenden Bewertung keine Veranlassung.
Rz. 11
1. Nach § 26 Abs. 3 DRiG entscheidet auf Antrag des Richters ein Gericht, wenn dieser behauptet, dass eine Maßnahme der Dienstaufsicht seine Unabhängigkeit beeinträchtigt.
Rz. 12
Danach setzt ein Antrag nach § 26 Abs. 3 DRiG voraus, dass eine Maßnahme der Dienstaufsicht tatsächlich vorliegt. Die Beeinträchtigung seiner richterlichen Unabhängigkeit muss der Richter nachvollziehbar darlegen (BGH, Urteile vom 14. Februar 2013 - RiZ 3/12, NJW-RR 2013, 1215 Rn. 16, vom 3. Dezember 2014 - RiZ(R) 2/14, NJW 2015, 1250 Rn. 23 und vom 12. Oktober 2016 - RiZ(R) 6/13, NJW-RR 2017, 763 Rn. 13).
Rz. 13
Die Überprüfung einer Maßnahme der Dienstaufsicht ist nach § 26 Abs. 3 DRiG darauf beschränkt, ob sie in die richterliche Unabhängigkeit aus Art. 97 Abs. 1 GG eingreift. Die Richterdienstgerichte befinden nach § 26 Abs. 3 DRiG nicht darüber, ob eine Maßnahme aus anderen Gründen rechtswidrig und damit unzulässig ist (BGH, Urteile vom 14. April 1997 - RiZ(R) 1/96, DRiZ 1997, 467, 468 und vom 12. Oktober 2016 - RiZ(R) 6/13, NJW-RR 2017, 763 Rn. 14).
Rz. 14
Der Begriff der Maßnahme der Dienstaufsicht ist entsprechend dem auf einen umfassenden Rechtsschutz der richterlichen Unabhängigkeit gerichteten Zweck des § 26 Abs. 3 DRiG weit auszulegen. Erforderlich, zugleich aber ausreichend ist, dass sich das Verhalten einer dienstaufsichtführenden Stelle bei objektiver Betrachtung gegen einen bestimmten Richter oder eine bestimmte Gruppe von Richtern wendet, es also zu einem konkreten Konfliktfall zwischen der Justizverwaltung und dem Richter oder bestimmten Richtern gekommen ist bzw. ein konkreter Bezug zur Tätigkeit eines Richters besteht. Eine Maßnahme der Dienstaufsicht muss sich in irgendeiner Weise kritisch mit dem dienstlichen Verhalten eines oder mehrerer Richter befassen oder geeignet sein, sich auf das künftige Verhalten dieser Richter in bestimmter Richtung auszuwirken (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 14. Februar 2013 - RiZ 3/12, NJW-RR 2013, 1215 Rn. 17, vom 13. Februar 2014 - RiZ(R) 5/13, NJW-RR 2014, 702 Rn. 20, vom 3. Dezember 2014 - RiZ(R) 2/14, NJW 2015, 1250 Rn. 23, vom 4. März 2015 - RiZ(R) 4/14, NVwZ-RR 2015, 826 Rn. 14 und vom 12. Oktober 2016 - RiZ(R) 6/13, NJW-RR 2017, 763 Rn. 16).
Rz. 15
Der Begriff der Maßnahme der Dienstaufsicht umfasst nicht nur unmittelbare Eingriffe, sondern auch alle Einflussnahmen einer für die Dienstaufsicht in Betracht kommenden Stelle, die sich auf die Tätigkeit des Richters nur mittelbar auswirken oder darauf abzielen (BGH, Urteile vom 16. November 1990 - RiZ 2/90, BGHZ 113, 36, 38, vom 20. Januar 2011 - RiZ(R) 1/10, NJW-RR 2011, 700 Rn. 14, vom 12. Mai 2011 - RiZ(R) 4/09, juris Rn. 19 und vom 12. Oktober 2016 - RiZ(R) 6/13, NJW-RR 2017, 763 Rn. 17).
Rz. 16
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen sind weder die Aufnahme des Widerspruchsbescheids mit dem Nichtabhilfeschreiben in die Personalakte noch das Belassen der dienstlichen Beurteilung in der Personalakte ohne Streichung der vom Antragsteller benannten Textstellen und das Belassen des Vermerks in der Personalakte ohne Streichung der benannten Textstellen Maßnahmen der Dienstaufsicht im Sinne von § 26 Abs. 3 DRiG.
Rz. 17
Bei den tatsächlichen Vorgängen der Aufnahme sowie des Belassens der in Rede stehenden Schriftstücke in die Personalakte als solchen handelt es sich, wie das Dienstgericht zutreffend erkannt hat, nicht um Stellungnahmen zu einem in der Vergangenheit liegenden Verhalten des Antragstellers und es fehlt auch an einer Eignung, auf dessen künftige Tätigkeit Einfluss zu nehmen. Mit der Aufnahme und dem unveränderten Belassen von Dokumenten in der Personalakte als solchem bringt der Dienstherr keine Bewertung des Verhaltens des Antragstellers zum Ausdruck. Die in Rede stehenden Verhaltensweisen der Aufnahme bzw. des Belassens befassen sich weder selbst kritisch mit dem Verhalten des Antragstellers noch sind sie geeignet, auf seine künftige richterliche Tätigkeit Einfluss zu nehmen.
Rz. 18
Soweit das Dienstgericht des Bundes in einem Prüfungsverfahren angenommen hat, dass der Richter einen Anspruch auf Entfernung der Widerspruchsakte zu einer rechtskräftig für unzulässig erklärten dienstlichen Beurteilung aus seinen Personalakten hat (BGH, Urteil vom 23. August 1985 - RiZ(R) 10/84, BGHZ 95, 313, 324), beruht dies auf einem weitergehenden, inzwischen aufgegebenen Verständnis des Begriffs der Maßnahme der Dienstaufsicht im Sinne von § 26 Abs. 3 DRiG (BGH, Urteil vom 12. Oktober 2016 - RiZ(R) 6/13, NJW-RR 2017, 763 Rn. 21).
II.
Rz. 19
Entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers erfasst sein in der mündlichen Verhandlung beim Dienstgericht für Richter gestellter Antrag nicht auch die Feststellung der Unzulässigkeit der Anlassbeurteilung, des Vermerks hierzu, des Nichtabhilfeschreibens und des Widerspruchsschreibens. Der im Tatbestand des Urteils der Vorinstanz zutreffend referierte Antrag ("festzustellen, dass die Aufnahme des…in die Personalakte durch den Antragsgegner unzulässig ist sowie das Belassen der…in der Personalakte…unzulässig ist sowie das Belassen des…in der Personalakte…unzulässig ist") ist eindeutig auf die Feststellung der Unzulässigkeit der Aufnahme und des Belassens der genannten Dokumente in die Personalakte beschränkt und einer erweiternden Auslegung weder bedürftig noch zugänglich. Eine Änderung des Streitgegenstandes im Revisionsverfahren wäre unzulässig.
III.
Rz. 20
Die Kostenentscheidung beruht auf § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Pamp |
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Prof. Dr. Karczewski |
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Dr. Menges |
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Richter am BVerwG Dr. von der Weiden ist krankheitsbedingt verhindert, seine Unterschrift beizufügen |
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Dr. Eppelt |
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Pamp |
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Fundstellen