Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatz unfallbedingten materiellen Schadens. Abfindungsvergleich. Nicht erforderlicher Behinderten gerechter Umbau eines Motorrads nach Umbau des Pkw mangels maßgeblicher Vorteile als Fortbewegungsmittel
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Geschädigter, der infolge eines Verkehrsunfalls querschnittgelähmt ist und von dem Schädiger Ersatz der Kosten für den behindertengerechten Umbau seines PKW erhalten hat, auch Ersatz der Kosten für den Umbau seines Motorrades beanspruchen kann.
Normenkette
BGB §§ 249, 251, 843; ZPO § 287
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Urteil vom 13.12.2002) |
LG Mannheim |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 10. Zivilsenats des OLG Karlsruhe v. 13.12.2002 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger wurde am 20.7.1988 als Motorradfahrer bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt und ist seitdem querschnittgelähmt. Er hat ein Schmerzensgeld von 400.000 DM erhalten. Durch Urteil vom 20.3.1996 ist rechtskräftig festgestellt worden, dass die Beklagte ihm allen künftigen unfallbedingten materiellen Schaden zu ersetzen hat. Der Kläger hat vor dem Unfall abwechselnd sowohl seinen Pkw als auch sein Motorrad benutzt. Sein Pkw ist nach dem Unfall auf Kosten der Beklagten behindertengerecht umgebaut worden. Der Kläger begehrt nunmehr Ersatz der Kosten für den behindertengerechten Umbau seines Motorrades i. H. v. 23.605,32 Euro. Seine Klage hatte in beiden Tatsacheninstanzen keinen Erfolg. Mit der vom OLG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, das Begehren des Klägers sei auf Ersatz eines Vermögensschadens gerichtet. Diesem Anspruch stehe der Abfindungsvergleich v. 11.6.1997 über die damals streitgegenständlichen materiellen Schadensersatzansprüche nicht entgegen, denn bei Abschluss dieses Vergleichs sei es noch nicht möglich gewesen, ein Motorrad behindertengerecht umzubauen. Diese Möglichkeit bestehe erst seit dem Jahr 2001. Grundlage der Leistungspflicht der Beklagten sei das im Vorprozess ergangene Feststellungsurteil. Die Umbaumöglichkeit sei das Ergebnis einer zwischenzeitlich eingetretenen technischen Entwicklung. Eine Ersatzpflicht der Beklagten ergebe sich nicht aus § 249 S. 2 BGB, denn der beabsichtigte Umbau des Motorrades diene weder der Wiederherstellung des bei dem Unfall zerstörten Krades noch der Wiederherstellung der Gesundheit des Klägers. Vielmehr seien die Umbaukosten der Schadensgruppe der vermehrten Bedürfnisse i. S. v. § 843 Abs. 1 BGB zuzurechnen. Dass es sich nicht um ständig wiederkehrende Mehraufwendungen handele, stehe dem nicht entgegen, denn in besonders gelagerten Fällen könne ein Mehrbedarf auch durch einen nach den §§ 249, 251 BGB einmalig zu leistenden Schadensersatzbetrag abzugelten sein. Der Anspruch des Klägers sei aber deshalb unbegründet, weil die Beklagte bereits die Kosten für den behindertengerechten Umbau seines Pkw getragen habe. Ein zusätzlicher Umbau auch des Motorrades sei nicht erforderlich, weil damit keine maßgeblichen Vorteile als Fortbewegungsmittel verbunden seien. Deshalb komme es auch nicht darauf an, ob der Kläger ausgesprochen Freude am Motorradfahren habe und vor dem Unfall sowohl einen Pkw als auch ein Motorrad genutzt habe.
II.
Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
1. Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass der Kläger mit seinem Begehren auf Ersatz der Kosten für den behindertengerechten Umbau seines Motorrades einen Vermögensschaden unter dem Gesichtspunkt unfallbedingt vermehrter Bedürfnisse i. S. v. § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB geltend macht. Der Begriff der "Vermehrung der Bedürfnisse" umfasst nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats alle unfallbedingten Mehraufwendungen, die den Zweck haben, diejenigen Nachteile auszugleichen, die dem Verletzten infolge dauernder Beeinträchtigung seines körperlichen Wohlbefindens entstehen (BGH, Urt. v. 20.5.1958 - VI ZR 130/57, VersR 1958, 454; Urt. v. 30.6.1970 - VI ZR 5/69, VersR 1970, 899; Urt. v. 25.9.1973 - VI ZR 49/72, VersR 1974, 162; Urt. v. 19.5.1981 - VI ZR 108/79, MDR 1982, 569 = VersR 1982, 238). Es muss sich demnach grundsätzlich um Mehraufwendungen handeln, die dauernd und regelmäßig erforderlich sind und die zudem nicht - wie etwa Heilungskosten - der Wiederherstellung der Gesundheit dienen (vgl. BGH, Urt. v. 19.11.1955 - VI ZR 134/54, VersR 1956, 22 [23]; Urt. v. 19.5.1981 - VI ZR 108/79, MDR 1982, 569 = VersR 1982, 238). Zudem umfasst der Begriff "vermehrte Bedürfnisse" in § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB nur solche Mehraufwendungen, die dem Geschädigten im Vergleich zu einem gesunden Menschen erwachsen und sich daher von den allgemeinen Lebenshaltungskosten unterscheiden, welche in gleicher Weise vor und nach einem Unfall anfallen (BGH, Urt. v. 11.2.1992 - VI ZR 103/91, VersR 1992, 1235 [1236]). So kommen als ersatzpflichtige Kosten zum Beispiel erhöhte Ausgaben für Verpflegung und Ernährung (Diät), Aufwendungen für Kuren und orthopädische Hilfsmittel sowie Pflegekosten und Kosten für Haushaltshilfen in Betracht (vgl. Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 8. Aufl., Rz. 264; Drees, VersR 1988, 784 ff., jeweils m. w. N.).
Neben diesen wiederkehrenden Aufwendungen können aber auch einmalige Kosten zu ersetzen sein. So kann in besonders gelagerten Fällen ein Schaden nach §§ 249, 251 BGB auszugleichen sein, wenn durch die einmalige Anschaffung eines Hilfsmittels für den Verletzten dessen erhöhtes Bedürfnis für die Zukunft in ausreichendem Maße befriedigt werden kann. Diese Voraussetzung kann etwa bei der Anschaffung eines Rollstuhls für einen Gehunfähigen oder einer elektronischen Schreibhilfe für einen Querschnittgelähmten erfüllt sein (BGH, Urt. v. 19.5.1981 - VI ZR 108/79, MDR 1982, 569 = VersR 1982, 238). Im Einzelfall können auch die Aufwendungen für den Bau oder Ausbau eines der Behinderung angepassten Eigenheims (BGH, Urt. v. 19.5.1981 - VI ZR 108/79, MDR 1982, 569 = VersR 1982, 238; OLG Frankfurt v. 22.2.1989 - 13 U 291/87, VersR 1990, 912; OLG Düsseldorf v. 9.5.1994 - 1 U 87/93, VersR 1995, 1449; OLG Stuttgart v. 30.1.1997 - 14 U 45/95, VersR 1998, 366) oder die Kosten für die Anschaffung eines Kraftfahrzeugs ersatzpflichtig sein, nämlich dann, wenn der Verletzte dadurch überhaupt erst in die Lage versetzt wird, seinen Arbeitsplatz aufzusuchen (BGH, Urt. v. 30.6.1970 - VI ZR 5/69, VersR 1970, 899; OLG München v. 10.11.1983 - 24 U 243/83, VersR 1984, 245).
Zu den typischen Aufwendungen, die in § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB unter dem Begriff "Vermehrung der Bedürfnisse" zusammengefasst sind, können auch verletzungsbedingt erforderliche Mehraufwendungen für Kraftfahrzeuge gehören, z. B. die Kosten für den Einbau von Sonderausrüstungen oder die Ausstattung mit einem automatischen Getriebe (BGH, Urt. v. 18.2.1992 - VI ZR 367/90, MDR 1992, 1129 = VersR 1992, 618 [619]). Ob derartige Aufwendungen im Einzelfall vom Schädiger zu ersetzen sind, ist eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität, die gem. § 287 ZPO der tatrichterlichen Würdigung unterliegt (vgl. BGH, Urt. v. 18.2.1992 - VI ZR 367/90, MDR 1992, 1129 = VersR 1992, 618 [619]).
2. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die vom Kläger geltend gemachten Kosten für den behindertengerechten Umbau seines Motorrades seien keine "vermehrten Bedürfnisse" und deshalb nicht ersatzpflichtig, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
Mehraufwendungen des Verletzten sind nur dann vom Schädiger zu ersetzen, wenn die Schädigung zu gesteigerten Bedürfnissen des Geschädigten geführt hat. Die Ersatzpflicht setzt mithin einen verletzungsbedingten Bedarf voraus. Dieser kann verschiedene Ursachen haben. Er kann - wie etwa bei Mehraufwendungen für Verpflegung oder bei der Anschaffung orthopädischer Hilfsmittel - eine unmittelbare Folge der Verletzung sein, er kann sich aber auch durch Hinzutreten weiterer Umstände ergeben, etwa dadurch, dass der Verletzte unfallbedingt auf einen Pkw angewiesen ist, um seinen Arbeitsplatz erreichen zu können. In diesem Fall beruhen die vermehrten Bedürfnisse auf dem Mobilitätsbedürfnis des Geschädigten. Dieser Gesichtspunkt kommt im Streitfall deshalb nicht zum Tragen, weil der Kläger bereits über einen behindertengerecht ausgerüsteten Pkw verfügt und ihm die Möglichkeit, daneben auch ein Motorrad zu benutzen, nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts keinen maßgeblichen Mobilitätsvorteil verschaffen würde.
Der Wunsch des Klägers, wieder nach Belieben - wie vor dem Unfall - zwischen Pkw und Motorrad wählen zu können, beruht nicht auf seinem Bedürfnis nach Wiederherstellung seiner früheren Mobilität, sondern entspricht seinem verständlichen und grundsätzlich auch berechtigten Bestreben nach möglichst weit gehender Wiederherstellung der ursprünglichen Lebensqualität. Zutreffend weist die Revision darauf hin, dass der Geschädigte im Grundsatz so zu stellen ist, wie er ohne das schadenstiftende Ereignis stehen würde. Der Schadensersatzbetrag soll soweit wie möglich einen dem früheren möglichst gleichwertigen Zustand herstellen. Da dies bei irreversiblen körperlichen Beeinträchtigungen nicht möglich ist, hat der Schädiger dafür zu sorgen, dass die materielle Lebensqualität des Geschädigten nicht unter den früheren Standard sinkt (OLG Köln v. 17.9.1987 - 7 U 76/87, MDR 1989, 160 = VersR 1988, 61 [62]; Stein in MünchKomm/BGB, 3. Aufl., § 843 Rz. 39). Dieser Gesichtspunkt vermag im Streitfall jedoch keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten auch für den behindertengerechten Umbau des Motorrades zu begründen, zumal die mit der Querschnittlähmung verbundenen Beeinträchtigungen und Benachteiligungen, zu denen auch die entgangene Freude am Motorradfahren zählt, schon bei der Bemessung des an den Kläger gezahlten Schmerzensgeldes berücksichtigt worden sind.
3. Entgegen der Auffassung der Revision gibt der Vortrag des Klägers dazu, weshalb Motorradfahren für ihn gesundheitsfördernd sei, keinen Anlass zur Einholung eines Sachverständigengutachtens. Sein Vorbringen erschöpft sich in allgemeinen Ausführungen, mit denen sich das Berufungsgericht bereits befasst hat. Dessen Überlegungen sind aus revisionsrechtlicher Sicht (§ 287 ZPO) nicht zu beanstanden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1118752 |
BGHR 2004, 660 |
EBE/BGH 2004, 2 |
EBE/BGH 2004, 84 |
NJW-RR 2004, 671 |
DAR 2004, 267 |
MDR 2004, 684 |
NZV 2004, 195 |
VersR 2004, 483 |
ZfS 2004, 258 |
IVH 2004, 69 |
RÜ 2004, 309 |