Verfahrensgang

OLG Dresden (Urteil vom 21.10.2021; Aktenzeichen 11a U 986/21)

LG Görlitz (Entscheidung vom 30.04.2021; Aktenzeichen 1 O 417/20)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 11a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 21. Oktober 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.

Rz. 2

Der Kläger erwarb im Jahr 2014 bei einem Vertragshändler der Beklagten ein Neufahrzeug des Typs VW Tiguan Sport & Style 4Motion 2.0 TDI. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Die verwendete Motorsteuerungssoftware erkannte das Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und bewirkte für diesen Fall einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten.

Rz. 3

Im November 2020 hat der Kläger Stufenklage erhoben und auf der ersten Stufe beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm Auskunft darüber zu erteilen, welchen Händlereinkaufspreis sie für das von ihm erworbene Fahrzeug erlangt und welche Nutzungen sie daraus gezogen habe. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch aus § 852 BGB nicht zustehe.

Rz. 4

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt. In der Berufungsinstanz hat er zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 20.535,15 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgewähr des Fahrzeugs und zur Erstattung außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten zu verurteilen sowie den Annahmeverzug der Beklagten festzustellen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels verurteilt, an den Kläger unter Zug-um-Zug-Vorbehalt 17.380,73 € nebst Zinsen zu zahlen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 5

Die unbeschränkt zugelassene (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 16 ff.) und auch im Übrigen zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg.

I.

Rz. 6

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (OLG Dresden, Urteil vom 21. Oktober 2021 - 11a U 986/21, NJW-RR 2022, 311), soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

Rz. 7

Der Kläger habe einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus § 826 BGB. Die Höhe des zu ersetzenden Schadens ergebe sich, Zug um Zug gegen Rückübertragung des Fahrzeugs, aus dem vom Kläger gezahlten Kaufpreis, wobei der Kläger sich hierauf im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihm gezogenen Nutzungsvorteile anrechnen lassen müsse. Es verbleibe danach ein Betrag von 17.380,73 €.

Rz. 8

Der Anspruch aus § 826 BGB sei bei Klageerhebung im Jahr 2020 verjährt gewesen. Der Kläger, der bereits erstinstanzlich seinen Anspruch ausdrücklich auf § 852 BGB gestützt und sich zum umfassenden Vortrag der Beklagten, wonach ihm weder der "Dieselskandal" als solcher noch die Betroffenheit seines eigenen Fahrzeugs habe entgehen können, nicht geäußert habe, habe seinen ursprünglich in der Berufungsbegründung gehaltenen Vortrag, wonach die Beklagten nicht hinreichend zu seinem Kenntnisstand vorgetragen habe, auf Nachfrage des Senats ausdrücklich nicht aufrechterhalten. Zuletzt habe er nicht mehr in Abrede gestellt, dass er 2015 Klage habe erheben können.

Rz. 9

Der Kläger habe jedoch einen Anspruch aus § 852 BGB gegen die Beklagte, der sich im Streitfall der Höhe nach nicht von dem verjährten Anspruch aus § 826 BGB unterscheide.

II.

Rz. 10

Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

Rz. 11

1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des von ihm für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs habe, dem die Beklagte allerdings die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten könne (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 24 ff. mwN). Dies wird von den Parteien im Revisionsverfahren auch nicht in Zweifel gezogen.

Rz. 12

2. Zutreffend ist das Berufungsgericht von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 852 Satz 1 BGB in den Fällen des sogenannten "Dieselskandals" ausgegangen. Insbesondere steht die normative Prägung des Schadens, den der Kläger mit dem "ungewollten" Fahrzeugkauf erlitten hat, der Anwendung von § 852 Satz 1 BGB nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 54 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 12).

Rz. 13

3. Als frei von Rechtsfehlern erweist sich die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Beklagte aus dem Fahrzeugkauf des Klägers im Sinne des § 852 Satz 1 BGB "etwas erlangt" habe, nämlich den von ihrem Vertragshändler an sie entrichteten Händlereinkaufspreis. Der dafür erforderliche Zurechnungszusammenhang ist gegeben. Den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts zufolge bestellte der Kläger das Neufahrzeug bei dem Vertragshändler der Beklagten, der selbst kein Absatzrisiko trug. Die Fahrzeugbestellung des Klägers führte demnach dazu, dass die Beklagte nach entsprechender Bestellung ihres Vertragshändlers einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erhielt. Nach Erfüllung dieses Anspruchs hat sich die Bereicherung der Beklagten gemäß § 818 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB an dem von ihrem Vertragshändler gezahlten Entgelt fortgesetzt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 13 f. mwN; Urteil vom 1. August 2022 - VIa ZR 24/22, juris Rn. 13).

Rz. 14

4. Durchgreifenden Bedenken begegnen indessen die rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts zur Höhe des Restschadensersatzanspruchs des Klägers.

Rz. 15

a) Entgegen der Ansicht der Revision ist der Restschadensersatzanspruch zwar - wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat - nicht auf den von der Beklagten mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs erzielten Gewinn beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 86 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 17; Urteil vom 14. Juli 2022 - VII ZR 422/21, WM 2022, 1743 Rn. 35). Der Anspruch des geschädigten Fahrzeugkäufers aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB unterliegt wie der ursprünglich bestehende Schadensersatzanspruch jedoch der Vorteilsausgleichung (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, aaO, Rn. 83 f.; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, aaO, Rn. 16). Dabei erschöpft sich die Bedeutung des ursprünglich geschuldeten Schadensersatzes nicht in einer bloßen Vergleichsbetrachtung und einer einfachen Limitierung durch den ursprünglichen Zahlbetrag. Vielmehr hat die Rechtsnatur des in § 852 Satz 1 BGB geregelten Restschadensersatzanspruchs eine dreifache Limitierung zur Folge: Zunächst ist der seitens des Fahrzeughändlers vom Geschädigten vereinnahmte Kaufpreis um die Händlermarge zu reduzieren. Anschließend ist von dem so ermittelten Händlereinkaufspreis der Wert der vom Geschädigten gezogenen Nutzungen in Abzug zu bringen. Und schließlich schuldet der Fahrzeughersteller als Schädiger Restschadensersatz nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, aaO).

Rz. 16

b) Abweichend davon hat das Berufungsgericht den Nutzungsvorteil (18.919,27 €) vom Endkaufpreis (36.300 €) abgezogen und den so ermittelten, verjährten Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB in Höhe von 17.380,73 € im Sinne einer Vergleichsbetrachtung dem von der Beklagten erlangten Händlereinkaufspreis gegenübergestellt. Den Händlereinkaufspreis hat es dabei nicht konkret festgestellt, sondern lediglich ausgeführt, die Beklagte sei der Unterstellung des Klägers, dass der Händlereinkaufspreis nicht weniger als 17.380,73 € betragen könne, nicht entgegengetreten. Nach dem Gesagten sind zur Ermittlung des Restschadensersatzanspruchs indes sowohl der von der Beklagten erlangte Händlereinkaufspreis als auch der davon abzuziehende Nutzungsvorteil konkret festzustellen.

III.

Rz. 17

Das Berufungsurteil ist aufzuheben, soweit darin zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif im Sinne von § 563 Abs. 3 ZPO, da die erforderliche Feststellung des von der Beklagten erlangten Händlereinkaufspreises Sache des Tatrichters ist. Davon abgesehen wird das Berufungsgericht dem Kläger zunächst Gelegenheit zu geben haben, zur Höhe des von der Beklagten erlangten Händlereinkaufspreises weiter vorzutragen (vgl. BGH, Urteil vom 12. September 2022 - VIa ZR 122/22, zVb).

Menges     

Möhring     

Krüger

Wille     

Liepin     

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15404308

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