Entscheidungsstichwort (Thema)

Gebrauchtwagenkaufvertrag: Schadenersatzanspruch aufgrund des Verbaus eines Thermofensters und weiterer behaupteter unzulässiger Abschalteinrichtungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für Fahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 6 ist allein der NEFZ-Prüfzyklus maßgeblich, der viele reale Bedingungen im Straßenverkehr (u.a. Drehzahl, Beladung, Außentemperatur, Höhenunterschiede) nicht abbildet. (Rn. 25)

2. Eine Fahrkurvenerkennung stellt nicht per se eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, sondern nur dann, wenn sie dazu benutzt wird, die Funktion eines Teils des Emissionskontrollsystems so zu verändern, dass deren Wirksamkeit im normalen Fahrbetrieb verringert wird (vgl. u.a. OLG Frankfurt, Urteil vom 26. August 2021, 22 U 105/20). (Rn. 27)

3. Dass die Abgasrückführung durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei geringeren Außentemperaturen reduziert und möglicherweise ganz abgeschaltet wird, reicht für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für den Hersteller handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. (Rn. 35)

4. Wenn feststeht, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB - vorliegend i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV- aus (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, VIa ZR 335/21). (Rn. 44)

 

Normenkette

BGB §§ 31, 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; EGV 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2; VwVfG § 24 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 18.01.2023; Aktenzeichen 13 O 111/22)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 18.01.2023 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az. 13 O 111/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Hierzu besteht für den Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

 

Gründe

I. Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten "Dieselskandal" geltend.

Er erwarb mit Kaufvertrag vom 09.09.2020 von einem Kfz-Händler einen gebrauchten Volkswagen Golf Variant 2.0 TDI, Erstzulassung 16.05.2017, zu einem Kaufpreis von 17.300,00 EUR. Der Kaufpreis wurde durch ein Darlehen der ... Bank finanziert. Das Fahrzeug wies zum damaligen Zeitpunkt einen Kilometerstand von 91.337 km auf. In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Motor des Typs EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) verbaut. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes (im folgenden: KBA) betroffen.

Der Kläger hat behauptet, in dem Fahrzeug kämen mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen i.S. des Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 zum Einsatz. So verfüge das Fahrzeug über eine Abgasrückführung in Form eines sog. "Thermofensters". Ferner verfüge es über eine Motorsteuerungssoftware, die anhand von Lenkeinschlägen und der Fahrzeugneigung erkenne, ob das Fahrzeug einer Abgasprüfung auf dem Prüfstand unterzogen werde, und in diesem Fall den Abgasausstoß reduziere, so dass die Euro 6-Grenzwerte im Testbetrieb eingehalten würden, im realen Fahrbetrieb jedoch um ein Vielfaches überschritten würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dem Kläger stünden die geltend gemachten Schadensersatzansprüche aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe verwiesen.

Der Kläger hat gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 24.01.2023 zugestellte Urteil mit einem am 23.02.2023 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der auf rechtzeitig eingegangenen Antrag bis zum 21.04.2023 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit einem am 19.04.2023 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Er verfolgt mit der Berufung seine geltend gemachten Ansprüche unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags weiter. Rechtsirrig sei das Landgericht davon ausgegangen, dass er nicht ausreichend zum Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen vorgetragen habe. Das Fahrzeug sei mit einer sog. Zykluserkennung versehen, die erkenne, ob ein Abgastest durchgeführt werde oder sich das Fahrzeug im normalen Straßenverkehr befinde, wodurch die gesetzlich definierten Grenzwerte nur im Prüfmodus eingehalten würden. Sie könne daher verwendet werden, um Abgaswerte auf den jeweiligen Test hin zu optimieren. Die Beklagte habe in einem Verfahren vor dem Landgericht Duisburg zugestanden, das beim EA 288-Motor eine Zykluserkennung verwendet werde. Dies werde auch durch das interne Dokument der Beklagten "Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA 288" aus November 2015 belegt. Eine weitere unzulässige Abschalteinrichtung stelle das On-Board-Diagnosesystem (OBD-System) dar. Unabhä...

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