Verfahrensgang
OLG Dresden (Beschluss vom 17.11.2006; Aktenzeichen 1 Ws 197/06) |
LG Bautzen (Urteil vom 24.02.2006; Aktenzeichen 2 Ns 160 Js 17897/03) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
I.
Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landgerichts wendet, ist sie unzulässig, weil sie nicht ausreichend begründet ist.
1. Der Verfassungsbeschwerdeschrift war als Anlage 6 lediglich die erste Seite der Revisionsbegründung beigefügt. Diese Seite enthält im Wesentlichen nur den Revisionsantrag und den Vortrag, es würden Verletzungen sowohl materiellen als auch formellen Rechts gerügt.
Für eine ausreichende Begründung der Verfassungsbeschwerde im Sinne der §§ 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, 92 BVerfGG ist die vollständige Vorlage der Revisionsrechtfertigung erforderlich. Ohne Kenntnis der vollständigen Revisionsrechtfertigung ist eine verlässliche Überprüfung, ob der Beschwerdeführer seinen Rügeobliegenheiten im fachgerichtlichen Verfahren nachgekommen ist und die Verfassungsbeschwerde deshalb den Grundsatz der Subsidiarität wahrt, grundsätzlich nicht möglich (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar 1997 – 2 BvR 191/97 –, juris, Abs.-Nr. 3–4; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 1998 – 2 BvR 327/98 –, juris, Abs.-Nr. 8; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Januar 1999 – 2 BvR 2237/98 –, juris, Abs.-Nr. 4).
Der Grundsatz der Subsidiarität verlangt vom Beschwerdeführer, über das Erfordernis einer Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus alle ihm zumutbaren, nach Lage der Dinge zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um Rechtsschutz bereits durch die Fachgerichte zu erreichen (BVerfGE 107, 257 ≪267≫ m.w.N.; 110, 1 ≪12≫; stRspr). Dazu gehört, dass er bereits im fachgerichtlichen Verfahren die geschehene oder drohende Grundrechtsverletzung nicht nur als Rechtsverletzung, sondern spezifisch als Verfassungsverletzung zu beanstanden hat (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. März 2004 – 2 BvR 1394/00 –, juris, Abs.-Nr. 11; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. November 2000 – 1 BvR 479/00 –, juris, Abs.-Nr. 3; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Februar 2000 – 2 BvR 2033/98 –, juris, Abs.-Nr. 6).
Ob der Beschwerdeführer seinen Rügeobliegenheiten im Revisionsverfahren nachgekommen ist, lässt sich anhand der mitgeteilten ersten Seite der Revisionsbegründung nicht beurteilen.
II.
Auch soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts richtet, ist sie unzulässig.
1. Soweit er mit der Begründung angegriffen wird, er habe die Grundrechtsverletzungen des Landgerichts nicht behoben, folgt dies aus den eben dargelegten Gründen.
2. Soweit er wegen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angegriffen wird, fehlt es an der Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung.
a) Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht dargetan.
Das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter garantiert, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. BVerfGE 95, 322 ≪327≫; BVerfGK 5, 269 ≪279≫). Dieses Ziel setzen die strafprozessualen Vorschriften der §§ 24 ff. StPO um. Sie sichern durch ein Ablehnungsrecht des Angeklagten, dass Entscheidungen im Strafverfahren nicht unter Mitwirkung eines voreingenommenen Richters zustande kommen (vgl. BVerfGE 46, 34 ≪37≫; BVerfGK 5, 269 ≪280≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Juli 2005 – 2 BvR 497/03 –, juris, Abs.-Nr. 74). Die Ausgestaltung des Ablehnungsrechts im Einzelnen ist Sache des Gesetzgebers. Ob auch eine großzügigere Regelung des Ablehnungsrechts möglich wäre oder den Anforderungen des Strafverfahrens gar besser entsprochen hätte, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. September 1987 – 2 BvR 814/87 –, NJW 1988, S. 477).
Gemessen hieran ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Ablehnungsrecht jedenfalls mit Erlass der Entscheidung erlischt. Für die Hauptverhandlung folgt dies unmittelbar aus der verfassungsrechtlich unbedenklichen (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. September 1987 – 2 BvR 814/87 –, NJW 1988, S. 477) Regelung in § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO, die eine Ablehnung nach dem letzten Wort des Angeklagten als unzulässig erklärt. Für Verfahren, in denen – wie im Fall des § 349 Abs. 2 StPO – die abschließende Entscheidung außerhalb einer Hauptverhandlung ergeht, ist eine großzügigere Handhabung, die ein Ablehnungsrecht auch nach Erlass der Entscheidung einräumte, von Verfassungs wegen nicht geboten.
Nach allgemeiner Ansicht erlischt das Ablehnungsrecht auch hier spätestens mit Erlass der Entscheidung (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 24. Oktober 2005 – 5 StR 269/05 –, juris, Abs.-Nr. 2; Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 1. Februar 2005 – 4 StR 486/04 –, NStZ-RR 2005, S. 174; Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 11. Juli 2001 – 3 StR 462/01 –, NStZ-RR 2001, S. 333; Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 24. Januar 2001 – 3 StR 389/00 –, beck-online, BeckRS 2001 30157191; Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 6. August 1997 – 3 StR 337/96 –, NStZ-RR 1998, S. 51; Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 6. August 1993 – 3 StR 277/93 –, NStZ 1993, S. 600; Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 7. Dezember 1988 – 4 StR 545/88 –, BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 1; Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 5. September 1988 – 1 Ws 861, 862/88 –, NStZ 1989, S. 86; Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 12. Juni 2001 – 4 Ss 98/01 –, juris, Abs.-Nr. 2–3; Beschluss des Thüringischen Oberlandesgerichts vom 17. Juni 1997 – 1 Ws 123, 124/97 –, NStZ 1997, S. 510; Bockemühl, in: KMR, StPO, Stand: Juli 2006, § 25 Rn. 12; Lemke, in: Heidelberger Kommentar, StPO, 2. Aufl., § 25 Rn. 6; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 25 Rn. 11; ders., Anmerkung zum Beschluss des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 18. Juni 1974 – Ws 62/74 –, NJW 1975, S. 1179 f.; Pfeiffer, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 25 Rn. 5; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 25 Rn. 12; Wendisch, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 25 Rn. 14; a.A. [für Antragsteller im Klageerzwingungsverfahren] Beschluss des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 18. Juni 1974 – Ws 62/74 –, NJW 1975, S. 399 ≪400≫).
Diese Ansicht ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie beruht auf einer nachvollziehbaren und deshalb willkürfreien funktionsbezogenen Betrachtung der Ablehnungsvorschriften, deren Zweck darauf gerichtet ist, eine Entscheidung unter Mitwirkung eines voreingenommenen Richters zu verhindern, was mit deren Erlass nicht mehr möglich wäre (vgl. Beschluss des Thüringischen Oberlandesgerichts vom 17. Juni 1997 – 1 Ws 123, 124/97 –, NStZ 1997, S. 510; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 25 Rn. 12; Wendisch, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 25 Rn. 14). In verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entnimmt sie der für die Hauptverhandlung konzipierten (vgl. BTDrucks IV/178 S. 34–35) Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO die gesetzgeberische Entscheidung, dass jedenfalls mit Erlass der Entscheidung das Ablehnungsrecht erlischt (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 6. August 1993 – 3 StR 277/93 –, NStZ 1993, S. 600).
Eine Privilegierung von Verfahren ohne Hauptverhandlung hinsichtlich der Dauer des Ablehnungsrechts ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Die Erwägung des Beschwerdeführers, es könne Fälle geben, in denen sich eine mögliche Befangenheit erst in der Entscheidung manifestiere, gilt gleichermaßen für Verfahren, in denen eine Hauptverhandlung stattfindet. Hier können nach dem letzten Wort wie in der Entscheidung selbst Umstände zutage treten, die eine Befangenheit des Richters nahe legen (vgl. Bockemühl, in: KMR, StPO, Stand: Juli 2001, § 25 Rn. 11; Lemke, in: Heidelberger Kommentar, StPO, 2. Aufl., § 25 Rn. 17). Dennoch ist hier die Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO – nicht zuletzt im Blick auf die Notwendigkeit einer Straffung des Verfahrens (vgl. BTDrucks IV/178 S. 34) – vertretbar und deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. September 1987 – 2 BvR 814/87 –, NJW 1988, S. 477). Wenn vorliegend, wie der Beschwerdeführer meint, die Befangenheit erst in der sich in der Beschlussfassung nach § 349 Abs. 2 StPO manifestierenden Verfahrensweise zu Tage trete, rechtfertigt dies deshalb keine andere Beurteilung. Der Fall liegt nicht anders als derjenige, in dem der Betroffene aus Tenor oder Begründung eines Urteils nach durchgeführter Hauptverhandlung Anzeichen für eine – zuvor nicht wahrgenommene – Unvoreingenommenheit der Richter zu erkennen glaubt. Nach Erlass der Entscheidung ist der Betroffene auf die Rechtsbehelfe zu verweisen, welche die Prozessordnung zur Überprüfung der Entscheidung auf ihre Richtigkeit bereitstellt.
b) Dass Auslegung und Anwendung des Kriteriums der Offensichtlichkeit durch das Oberlandesgericht gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG verstießen, legt der Beschwerdeführer nicht dar.
Dem Bundesverfassungsgericht ist hier eine Prüfung, ob die Entscheidung des Revisionsgerichts, nach § 349 Abs. 2 StPO zu verfahren, willkürlich war, nicht möglich. Der Beschwerdeführer legt die Antragsschrift der Staatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO nicht vor. Ohne Vorlage der Antragsschrift lässt sich eine willkürliche Auslegung und Anwendung des Kriteriums der Offensichtlichkeit jedenfalls dann nicht überprüfen, wenn das Gericht – wie hier – die Revision ohne Angabe von Gründen verwirft (vgl. [für Fälle ausdrücklicher Bezugnahme im Verwerfungsbeschluss auf den Antrag des Generalbundesanwalts] Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. September 2000 – 2 BvR 1419/00 –, juris, Abs.-Nr. 5; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998 – 2 BvR 1957/98 –, juris, Abs.-Nr. 5). Denn dann ergeben sich die für die Verwerfung der Revision wesentlichen Gründe aus dem Inhalt des Verwerfungsantrags der Staatsanwaltschaft in Verbindung mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – Vorprüfungsausschuss – vom 22. Januar 1982 – 2 BvR 1506/81 –, NJW 1982, S. 925; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Januar 2002 – 2 BvR 1225/01 –, NStZ 2002, S. 487 ≪489≫; Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 15. Februar 1994 – 5 StR 15/92 –, NStZ 1994, S. 353).
Im Übrigen lässt der Beschwerdeführer außer Acht, dass den Revisionsgerichten bei der Beurteilung der Frage der Offensichtlichkeit ein Entscheidungsspielraum zuzugestehen ist (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Januar 2002 – 2 BvR 1225/01 –, NStZ 2002, S. 487 ≪489≫). Der Hinweis auf die Länge der Bearbeitungsdauer ist nicht geeignet, eine willkürliche Handhabung der Vorschrift des § 349 Abs. 2 StPO darzulegen (ablehnend zur Aussagekraft der Bearbeitungsdauer für die Beurteilung der Offensichtlichkeit: Meyer-Goßner, 49. Aufl., StPO, § 349 Rn. 10). Im Übrigen ist der diesbezügliche Vortrag des Beschwerdeführers unsubstantiiert. Die Revisionsbegründung mag vom 22. Mai 2006 stammen und am gleichen Tag per Fax beim Landgericht eingegangen sein. Für die Bearbeitungsdauer wäre aber selbst nach der vom Beschwerdeführer zitierten Entscheidung der Eingang der Akten beim Revisionsgericht entscheidend (vgl. Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 2. Juni 1999 – 2 Ss 1002/98 –, StV 2001, S. 221 ≪222≫). Wann die Staatsanwaltschaft die Akten mit Revisionsbegründung und eigener Antragsschrift an das Oberlandesgericht weitergeleitet hat, ist nicht vorgetragen.
c) Auch ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ist nicht dargelegt. Das Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 67, 43 ≪58≫; vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Januar 2002 – 2 BvR 1225/01 –, NStZ 2002, S. 487 ≪488≫; stRspr) gebietet es nicht, Ablehnungsgesuche noch nach Erlass der Entscheidung zu ermöglichen. Selbst nach dem spezielleren Grundrecht des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist dies nicht geboten. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet auch keinen Anspruch auf eine Revisionshauptverhandlung, nachdem nicht einmal der insoweit vorrangige Art. 103 Abs. 1 GG eine solche gebietet (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Januar 2002 – 2 BvR 1225/01 –, NStZ 2002, S. 487 ≪488≫).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 1768185 |
NStZ 2007, 709 |