Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss der Betroffenen von Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage von verwaltungsgerichtlicher Rehabilitierung
Verfahrensgang
VG Dresden (Entscheidung vom 14.12.1999; Aktenzeichen 2 K 1726/99) |
VG Dresden (Entscheidung vom 14.12.1999; Aktenzeichen 2 K 804/98) |
Tenor
Die Vorlagen sind unzulässig.
Tatbestand
Die Richtervorlagen betreffen die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses der Betroffenen von Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage von der verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung.
I.
1. Die Kläger der Ausgangsverfahren begehren die Rehabilitierung nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Juli 1997 (BGBl I S. 1620) im Hinblick darauf, dass ihnen oder ihren Rechtsvorgängern in der sowjetischen Besatzungszone Vermögenswerte im Rahmen der so genannten demokratischen Bodenreform und der Industriereform entschädigungslos entzogen wurden. Die zuständigen Behörden lehnten die Anträge unter Hinweis auf § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwRehaG ab. Danach findet das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz auf die in § 1 Abs. 8 des Vermögensgesetzes (VermG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Dezember 1998 (BGBl I S. 4026) erwähnten Fallgruppen keine Anwendung.
2. Das Verwaltungsgericht, bei dem die Kläger ihr Begehren weiter verfolgen, hat die Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage eingeholt, ob § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwRehaG mit dem Grundgesetz vereinbar ist (vgl. VIZ 2000, S. 476; ZOV 2000, S. 280).
a) Das vorlegende Gericht hält die Vereinbarkeit von § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwRehaG mit dem Grundgesetz in den Ausgangsverfahren für entscheidungserheblich. Bei Verfassungsmäßigkeit der Regelung finde das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz keine Anwendung, weil die streitgegenständlichen Maßnahmen Enteignungen auf besatzungshoheitlicher Grundlage im Sinne des § 1 Abs. 8 Buchstabe a VermG seien. Daher müssten die Klagen abgewiesen werden. Dagegen hätten diese bei Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwRehaG Erfolg, weil die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG vorlägen. Die Bodenreform- und Industrieenteignungen seien mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats schlechthin unvereinbar, weil sie die Menschenwürde der Betroffenen verletzt und deren politischer Verfolgung gedient hätten. Die Folgen dieser Enteignungen wirkten auch noch schwer und unzumutbar fort.
b) Die entscheidungserhebliche Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwRehaG verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
aa) Bei der Wiedergutmachung von Unrecht, das nicht die dem Grundgesetz verpflichtete Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland zu verantworten habe, habe der Gesetzgeber einen besonders weiten Gestaltungsspielraum. Die Wiedergutmachung genüge daher dem allgemeinen Gleichheitssatz, wenn sie wenigstens in ihrer grundsätzlichen Ausgestaltung dem Gerechtigkeitsgebot entspreche und Differenzierungen nicht willkürlich ohne jeden nachvollziehbaren Grund vorgenommen würden.
bb) Dies sei bei dem Ausschluss der Betroffenen der Bodenreform- und Industrieenteignungen von jeder, insbesondere auch moralischen, Rehabilitierung nicht der Fall.
Die Opfer solcher Enteignungen könnten Wiedergutmachung allein nach dem Ausgleichsleistungsgesetz vom 27. September 1994 (BGBl I S. 2624, 2628) erlangen. Dieses sehe für sie eine moralische Genugtuung nicht vor. Sie würden damit anders behandelt als Betroffene von Verwaltungsentscheidungen nach 1949, die die Aufhebung dieser Maßnahmen (§ 1 VwRehaG) oder die Feststellung ihrer Rechtsstaatswidrigkeit (§ 1 a VwRehaG) verlangen könnten. Insbesondere in § 1 a VwRehaG manifestiere sich der Wille des Gesetzgebers, ungeachtet materieller Folgen von Unrechtsakten deren immateriellen, ethischen und moralischen Gehalt nicht bestehen zu lassen, sondern einer Rehabilitierung zugänglich zu machen, um so für eine politisch-moralische Genugtuung zu sorgen.
Die zur Prüfung gestellte Regelung werde vom Gesetzgeber und der Verwaltungsrechtsprechung mit der Haltung der Sowjetunion begründet, nach der die unter ihrer Besatzungshoheit durchgeführten Enteignungsmaßnahmen völkerrechtlich nicht zur Disposition der beiden deutschen Staaten stehen dürften und als solche unangetastet bleiben müssten. Auch das vorlegende Gericht gehe davon aus, dass sowohl § 1 Abs. 8 Buchstabe a VermG als auch § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwRehaG der Umsetzung von Art. 41 Abs. 1 des Einigungsvertrags vom 31. August 1990 (BGBl II S. 889; im Folgenden: EV) und der Gemeinsamen Erklärung beider deutscher Regierungen zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 (BGBl II S. 1237; im Folgenden: GemErkl) dienten. Während dies im Fall des § 1 Abs. 8 Buchstabe a VermG im Hinblick auf die insoweit gebotenen anderen Wiedergutmachungsregelungen nach der Rechtsprechung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, sei der Gesetzgeber bei § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG „übers Ziel hinausgeschossen” und habe nicht nur die Restitution, sondern auch die moralische Rehabilitierung durch Aufhebung der Unrechtsakte ausgeschlossen. Dies lasse sich nicht mit der Notwendigkeit des Rückübertragungsausschlusses zur Ermöglichung der deutschen Einheit begründen, weil nach Art. 41 EV in der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht nur die Rückgabe in Natur, nicht aber jede andere Form der Wiedergutmachung habe ausgeschlossen werden sollen.
Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass die Rehabilitierung deshalb auszuschließen gewesen sei, weil sie notwendig zur (untersagten) Rückgabe der enteigneten Grundstücke führen würde. Zwar habe gegenwärtig die Aufhebung der Unrechtsmaßnahme oder die Feststellung ihrer Rechtsstaatswidrigkeit stets die Restitution zur Folge. Diese Regelung sei jedoch nicht die einzig mögliche. Dem Gesetzgeber habe es frei gestanden, die Rehabilitierung zu gewähren und nur die Folgeansprüche differenziert zu regeln, etwa durch einen Verweis auf das Ausgleichsleistungsgesetz oder durch eine entsprechende Ausgestaltung des § 7 VwRehaG. Der stattdessen vorgesehene „Totalausschluss” verletze das Übermaßverbot, weil er den Betroffenen die Rehabilitierung gänzlich vorenthalte, obwohl dies zur Umsetzung des vom Gesetzgeber verfolgten Ziels nicht erforderlich gewesen sei. Der überschießende Ausschluss jeder, auch der moralischen, Rehabilitierung sei vom angegebenen Grund nicht gedeckt. Andere rechtfertigende Gründe seien nicht erkennbar.
c) Eine verfassungskonforme Auslegung der zur Prüfung vorgelegten Regelung sei nicht möglich. § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwRehaG schließe eine Anwendung des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes auf Fälle der vorliegenden Art eindeutig aus. Da darin der Verfassungsverstoß liege, wäre eine verfassungsmäßige Auslegung nur dadurch möglich, dass die genannte Regelung als im Ergebnis nicht existent betrachtet würde; dies sei aber nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
II.
Die zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Vorlagen sind unzulässig.
1. Ein Gericht kann eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Vorschrift nach Art. 100 Abs. 1 GG nur einholen, wenn es zuvor sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat (vgl. BVerfGE 86, 71 ≪76≫). Dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügt ein Vorlagebeschluss daher nur, wenn die Ausführungen des vorlegenden Gerichts erkennen lassen, dass dieses eine solche Prüfung vorgenommen hat. Dem Beschluss muss mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sein, dass und aus welchen Gründen das Gericht bei Gültigkeit der Vorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Fall ihrer Ungültigkeit. Das Gericht muss sich mit der Rechtslage auseinander setzen, die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen berücksichtigen und auf unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten eingehen, soweit diese für die Entscheidungserheblichkeit von Bedeutung sein können (vgl. BVerfGE 79, 245 ≪249≫; 86, 71 ≪77≫; 97, 49 ≪60≫). Bei der Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit legt das Bundesverfassungsgericht, soweit es sich nicht um verfassungsrechtliche Vorfragen handelt, die Rechtsansicht des vorlegenden Gerichts zugrunde, es sei denn, sie ist offensichtlich unhaltbar oder nicht nachvollziehbar (vgl. BVerfGE 79, 245 ≪249≫ m.w.N.; 82, 198 ≪205≫). Die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab nennen und die für die Überzeugung des Gerichts maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar darstellen (vgl. BVerfGE 86, 71 ≪77 f.≫). Dabei muss sich das Gericht jedenfalls mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten auseinander setzen (vgl. BVerfGE 86, 52 ≪57≫; 86, 71 ≪78≫; 94, 315 ≪325≫). Insbesondere kann es erforderlich sein, die Gründe zu erörtern, die im Gesetzgebungsverfahren als für die gesetzgeberische Entscheidung maßgebend genannt worden sind (vgl. BVerfGE 86, 71 ≪78≫). Auch ist auszuführen, weshalb das Gericht von der Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung überzeugt ist (vgl. BVerfGE 76, 100 ≪105≫; 90, 145 ≪170≫).
2. Diesen Anforderungen werden die Vorlagebeschlüsse des Verwaltungsgerichts nicht gerecht.
a) Das vorlegende Gericht hat allerdings die Entscheidungserheblichkeit des zur Prüfung gestellten § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwRehaG hinreichend begründet. Es hat nachvollziehbar dargelegt, dass die durch deutsche behördliche Stellen nach dem 8. Mai 1945 durchgeführten Bodenreform- und Industrieenteignungen zu Eingriffen in Vermögenswerte der Kläger oder ihrer Rechtsvorgänger geführt hätten und mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats schlechthin unvereinbar seien und dass ihre Folgen noch schwer und unzumutbar fortwirkten. Daraus ergibt sich, dass nach Auffassung des Verwaltungsgerichts im Fall der Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwRehaG und damit bei Anwendbarkeit des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes die Voraussetzungen für eine Aufhebung der in Rede stehenden Enteignungsmaßnahmen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG vorlägen und den Klagen daher stattzugeben wäre. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ist es andererseits zu dem Ergebnis gekommen, dass die genannten Enteignungen auf besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgt sind und deshalb das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz bei Verfassungsmäßigkeit seines § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwRehaG nach dessen eindeutigem Wortlaut nicht anwendbar sei.
b) Damit hat das vorlegende Gericht in vertretbarer Weise auch die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung verneint. Diese Beurteilung ist im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung vom Bundesverfassungsgericht hinzunehmen (vgl. BVerfGE 85, 337 ≪345≫; 96, 315 ≪325≫).
c) Im Rahmen der Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwRehaG hat das Verwaltungsgericht zwar den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab eingehend und zutreffend herausgearbeitet. Es hat sich aber nicht mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten auseinander gesetzt.
aa) Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Gesetzgeber bei der Wiedergutmachung von Unrecht, das eine nicht dem Grundgesetz verpflichtete Staatsgewalt zu verantworten hat, einen besonders weiten Gestaltungsspielraum hat und es daher im Hinblick auf die Gleichheitsbindung ausreicht, wenn die Wiedergutmachung wenigstens in ihrer grundsätzlichen Ausgestaltung dem Gerechtigkeitsgebot entspricht und Differenzierungen nicht willkürlich ohne jeden nachvollziehbaren Grund vorgenommen werden. Dieser Maßstab stimmt mit den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Grundsätzen überein, wie dessen Urteil vom 22. November 2000 – 1 BvR 2307/94 und andere – zum Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz zeigt (vgl. EuGRZ 2000, S. 573 ≪586≫ m.w.N.).
bb) Das Verwaltungsgericht hat aber nahe liegende tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte nicht erörtert.
Es bejaht einen Verstoß des § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwRehaG gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor allem deshalb, weil den Opfern von besatzungshoheitlichen Enteignungen im Vergleich zu anderen von rechtsstaatswidrigen Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet Betroffenen auch jegliche moralische Rehabilitierung vorenthalten werde. Dies sei durch die Haltung der Sowjetunion, nach der die während ihrer Besatzungsherrschaft durchgeführten Enteignungsmaßnahmen völkerrechtlich nicht zur Disposition der beiden deutschen Staaten stehen dürften und als solche unangetastet bleiben müssten, nicht veranlasst gewesen. Die mit diesem Vorbehalt verbundenen Aspekte sind damit nicht hinreichend gewürdigt.
Die Position der Sowjetunion zur Enteignungsfrage bei den Verhandlungen, die zur Wiedervereinigung Deutschlands geführt haben, war durch zwei Forderungen gekennzeichnet: Das vereinigte Deutschland müsse – erstens – die Gesetzlichkeit, Rechtmäßigkeit oder Legitimität der von 1945 bis 1949 in der sowjetischen Besatzungszone durchgeführten Enteignungsmaßnahmen anerkennen. Die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse dürfe – zweitens – nicht revidiert werden (vgl. BVerfGE 94, 12 ≪40≫). Damit sollte verhindert werden, dass deutsche Gerichte oder andere staatliche Stellen gegenüber den unter der sowjetischen Besatzungshoheit durchgeführten Enteignungen nachträglich einen Unrechtsvorwurf zum Ausdruck bringen (vgl. BVerfGE 94, 12 ≪41≫). Das Verwaltungsgericht hätte sich angesichts dieser Verhandlungsziele mit der Frage auseinander setzen müssen, ob eine förmliche moralische Rehabilitierung der Opfer besatzungshoheitlicher Enteignungen, wie sie das vorlegende Gericht offenkundig im Auge hat, nicht zwangsläufig einen solchen Unrechtsvorwurf einschließen würde. Derartige Erwägungen hätten auch deshalb besonders nahe gelegen, weil § 1 a VwRehaG, der für vom Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz erfasste Verwaltungsentscheidungen ohne Folgeschäden eine moralische Rehabilitierung ermöglicht (vgl. dazu BTDrucks 13/7491, S. 12 f.), ausdrücklich die Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit der betreffenden Maßnahme vorsieht. Es wäre daher zu prüfen gewesen, ob der Ausschluss der besatzungshoheitlichen Enteignungen aus dem Anwendungsbereich des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes deshalb sachlich gerechtfertigt ist, weil die Bundesregierung und der Gesetzgeber davon ausgehen durften, auch mit einer förmlichen moralischen Rehabilitierung der Betroffenen werde entgegen den im Zusammenhang mit der Herbeiführung der Wiedervereinigung getroffenen Vereinbarungen gegenüber der Sowjetunion nachträglich ein Unrechtsvorwurf erhoben.
Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass es zu dieser Frage zweiseitige förmliche Absprachen mit der Sowjetunion nicht gibt. Der so genannte Zweiplus-Vier-Vertrag, der die außenpolitischen Bedingungen für die Herstellung der deutschen Einheit geschaffen hat (vgl. BVerfGE 84, 90 ≪95≫), enthält keine Aussage über die Behandlung der besatzungsrechtlichen und besatzungshoheitlichen Enteignungen. Dies beruht aber darauf, dass im September 1990 der nach der Einschätzung der Bundesregierung von der Sowjetunion erstrebte Restitutionsausschluss im Einigungsvertrag bereits vereinbart war (vgl. Art. 41 Abs. 1 EV i.V.m. Nr. 1 GemErkl) und sich diese deshalb mit einer einseitigen förmlichen Mitteilung dieser Regelung in Gestalt eines Gemeinsamen Briefes der Außenminister der beiden deutschen Staaten an die Außenminister der vier Mächte (vgl. BVerfGE 84, 90 ≪95 f.≫) zufrieden geben konnte. Die Bundesregierung durfte das Einverständnis der Sowjetunion mit dieser Verfahrensweise damit erklären, dass der sowjetischen Position zur Enteignungsfrage schon im Rahmen der Verhandlungen über den Einigungsvertrag materiell Rechnung getragen war (vgl. BVerfGE 94, 12 ≪42≫).
In Nr. 1 Satz 4 GemErkl wurde in diesem Zusammenhang ausdrücklich vereinbart, dass einem künftigen gesamtdeutschen Parlament eine abschließende Entscheidung über etwaige staatliche Ausgleichsleistungen vorbehalten bleiben muss. Von diesem Vorbehalt hat der gesamtdeutsche Gesetzgeber mit dem Ausgleichsleistungsgesetz Gebrauch gemacht. Dies legt die Annahme nahe, dass nach der maßgeblichen Einschätzung der Bundesregierung (vgl. dazu BVerfGE 84, 90 ≪128≫; 94, 12 ≪35≫) eine Wiedergutmachung für die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage im Verhältnis zur Sowjetunion wie gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik nur in diesem Gesetz in Betracht kommen kann. Auch eine bloß moralische Rehabilitierung der Enteignungsbetroffenen nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz wäre danach ausgeschlossen. Auch darauf hätte das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung, ob für die Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwRehaG ein sachlich rechtfertigender Grund gegeben ist, eingehen müssen.
Stattdessen begnügen sich die Vorlagen insoweit mit der Feststellung, dass die Betroffenen Wiedergutmachung allein nach dem Ausgleichsleistungsgesetz erlangen könnten, und der nicht näher begründeten Behauptung, dieses lasse ihnen keine moralische Genugtuung zuteil werden. Dabei hätte sich schon nach der eigenen Auffassung des Verwaltungsgerichts eine Auseinandersetzung auch mit der Frage aufdrängen müssen, ob in der – verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden (vgl. das erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. November 2000, a.a.O., S. 592 ff.) – Gewährung von Ausgleichsleistungen mittelbar nicht zugleich zum Ausdruck kommt, dass die Bundesrepublik Deutschland die besatzungsrechtlichen und besatzungshoheitlichen Enteignungen als großes Unrecht und daher als missbilligenswert ansieht. Das vorlegende Gericht hat ausführlich dargelegt, dass die Bodenreform- und Industrieenteignungen der politischen Verfolgung der Betroffenen gedient und deren Menschenwürde verletzt hätten und deshalb mit den tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats unvereinbar seien. Diese Ansicht deckt sich der Sache nach mit der Bewertung dieser Maßnahmen durch das Bundesverfassungsgericht, das in seiner Rechtsprechung wiederholt zu erkennen gegeben hat, dass es die genannten Enteignungen für ein großes Unrecht hält, das im Hinblick auf das mit den Wertvorstellungen des Grundgesetzes unvereinbare Zustandekommen und die Begleiterscheinungen sowie Tragweite der eingetretenen Vermögensverluste im Rahmen des Ausgleichsleistungsgesetzes wieder gutzumachen ist (vgl. BVerfGE 84, 90 ≪126, 129≫; Urteil vom 22. November 2000, a.a.O., S. 585, 593). Vor diesem Hintergrund hätte das Verwaltungsgericht auch darlegen und begründen müssen, warum in der Gewährung von Ausgleichsleistungen nach diesem Gesetz nicht zugleich die Würdigung und Anerkennung des den Betroffenen zugefügten Unrechts und Leids seitens der Bundesrepublik Deutschland und damit eine Form moralischer Rehabilitierung erblickt werden kann.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 565218 |
VIZ 2001, 228 |