Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 28.09.2006; Aktenzeichen 13 E 1041/06) |
VG Köln (Beschluss vom 21.08.2006; Aktenzeichen 1 K 6817/05) |
VG Köln (Beschluss vom 04.04.2006; Aktenzeichen 1 L 2056/05) |
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 20.03.2006; Aktenzeichen 13 E 181/06) |
VG Köln (Beschluss vom 04.01.2006; Aktenzeichen 1 L 2056/05) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerden werfen die Frage auf, unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf rechtliches Gehör Dritten ein Recht auf Beteiligung an einem Gerichtsverfahren vermittelt. Die Beschwerdeführerin wendet sich dagegen, dass sie zu zwei verwaltungsgerichtlichen Verfahren um eine telekommunikationsrechtliche Entgeltgenehmigung nicht beigeladen wurde.
I.
1. Die Beschwerdeführerin betreibt ein Telekommunikationsnetz für breitbandigen Internetverkehr, der insbesondere über so genannte DSL-Anschlüsse geführt wird. Die Deutsche Telekom ist aufgrund einer 2003 ergangenen Zusammenschaltungsanordnung der damaligen Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post zur Zusammenschaltung ihres T-DSL-Anschlussnetzes mit dem Breitbandnetz der Beschwerdeführerin verpflichtet.
Die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (im Folgenden: Bundesnetzagentur) genehmigte die für die Zusammenschaltung maßgeblichen Entgelte für den Zeitraum vom 1. November 2005 bis 30. November 2007.
2. Das Ausgangsverfahren in der Sache 1 BvR 675/06 betraf die prozessuale Stellung der Beschwerdeführerin in dem regulierungsrechtlichen Eilverfahren zwischen der Deutschen Telekom und der Bundesnetzagentur über die Höhe des genehmigten Entgelts.
Die Deutsche Telekom beantragte nach § 123 VwGO in Verbindung mit § 35 Abs. 5 Satz 2 TKG, vorläufig ein höheres Entgelt anzuordnen. Als die Beschwerdeführerin von diesem Verfahren Kenntnis erhielt, stellte sie einen Antrag auf Beiladung.
a) Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag ab. Ein Fall notwendiger Beiladung nach § 65 Abs. 2 VwGO liege nicht vor. § 35 Abs. 5 Satz 2 TKG sei so auszulegen, dass das Gericht nicht selbst eine Zahlung anordnen dürfe, sondern lediglich die Bundesnetzagentur zur Erteilung einer vorläufigen höheren Entgeltgenehmigung verpflichten könne. Aufgrund dessen würden Rechte der Beschwerdeführerin im Fall einer stattgebenden Entscheidung nicht unmittelbar gestaltet oder bestätigt, da die Entscheidung noch von der Bundesnetzagentur umgesetzt werden müsse. Gegen eine Genehmigung der Bundesnetzagentur könnten die Wettbewerber der Antragstellerin sodann um Rechtsschutz nachsuchen, da die gerichtliche Entscheidung im vorliegenden Verfahren für sie keine Bindungswirkung habe. Auch für die in § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG angeordnete Rückwirkung einer Entscheidung in der Hauptsache komme es auf die behördliche vorläufige Entgeltgenehmigung und nicht auf die gerichtliche Entscheidung nach § 123 VwGO in Verbindung mit § 35 Abs. 5 Satz 2 TKG an.
Eine Beiladung im Ermessenswege nach § 65 Abs. 1 VwGO lehnte das Verwaltungsgericht unter Verweis auf die prozessökonomische Erwägung ab, den Prozessstoff überschaubar zu halten. Würde dem Beiladungsantrag der Beschwerdeführerin stattgegeben, ließen sich entsprechende Begehren anderer Bewerber nicht mehr ablehnen.
b) Die Beschwerdeführerin legte gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Beschwerde ein, die das Oberverwaltungsgericht unter Verweis auf § 137 Abs. 3 Satz 1 TKG als unzulässig verwarf.
c) Das Verwaltungsgericht verpflichtete die Bundesnetzagentur mit dem gleichfalls angegriffenen Beschluss vom 4. April 2006 zur vorläufigen Genehmigung eines höheren Entgelts. Die Bundesnetzagentur erließ nach Anhörung der Beschwerdeführerin eine entsprechende vorläufige Entgeltgenehmigung. Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin Anfechtungsklage, über die bislang nicht entschieden worden ist.
3. Das Ausgangsverfahren in der Sache 1 BvR 2699/06 hatte die prozessuale Stellung der Beschwerdeführerin in dem Hauptsacheverfahren zwischen der Deutschen Telekom und der Bundesnetzagentur zum Gegenstand.
Die Deutsche Telekom erhob gegen die Bundesnetzagentur Verpflichtungsklage auf Verurteilung zur Genehmigung eines höheren Entgelts. In diesem Verfahren stellte die Beschwerdeführerin erneut einen Antrag auf Beiladung.
Das Verwaltungsgericht lehnte eine Beiladung der Beschwerdeführerin auch im Hauptsacheverfahren ab. Das Oberverwaltungsgericht verwarf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wiederum als unzulässig.
4. Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügt die Beschwerdeführerin jeweils eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 103 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs.3 und Art. 19 Abs. 4 GG. Das Verwaltungsgericht habe ihr prozessuale Rechte in den Verfahren der Deutschen Telekom gegen die Bundesnetzagentur versagt, obwohl sie durch die Entscheidungen in diesen Verfahren in ihren Rechten betroffen werde. Gegen die darin liegende Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör müsse ihr von Verfassungs wegen ein Rechtsbehelf eröffnet sein.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, da Annahmegründe nach § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
1. Gegenstand der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht ist das einfache Recht in der Auslegung, die es durch die dazu in erster Linie berufenen Fachgerichte erfahren hat. Das Bundesverfassungsgericht kann nicht eine andere, von ihm für vorzugswürdig gehaltene Auslegung an die Stelle des Normenverständnisses eines Fachgerichts setzen, solange die fachgerichtliche Interpretation keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (vgl. BVerfGE 113, 63 ≪80 f.≫).
2. Solche Bedenken bestehen ungeachtet der in der Literatur (Scherer, NJW 2006, S. 2016 ≪2019≫) geäußerten Zweifel an der Richtigkeit der fachgerichtlichen Auslegung von § 35 Abs. 5 Satz 2 TKG nicht. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht darin, dass das Verwaltungsgericht § 35 Abs. 5 Satz 2 TKG dahingehend liest, das Gericht sei nicht kompetent, die Zahlung des höheren Entgelts anzuordnen, sondern lediglich dazu, eine Verpflichtung der Bundesnetzagentur zur vorläufigen Genehmigung eines höheren Entgelts auszusprechen.
Auch gebietet der aus Art. 103 Abs. 1 GG folgende Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör weder im Eil- noch im Hauptsacheverfahren der Deutschen Telekom gegen die Bundesnetzagentur eine Beiladung der Beschwerdeführerin.
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör steht nicht nur demjenigen zu, der bereits als Partei oder in ähnlicher Stellung an einem gerichtlichen Verfahren beteiligt ist. Anzuhören ist auch derjenige, dem gegenüber die gerichtliche Entscheidung materiell-rechtlich wirkt und der deshalb von dem Verfahren unmittelbar rechtlich betroffen wird (vgl. BVerfGE 7, 95 ≪98≫; 21, 132 ≪137≫; 60, 7 ≪12 f.≫; 65, 227 ≪233≫; 75, 201 ≪215≫; 89, 381 ≪390 f.≫; 92, 158 ≪183≫; 101, 397 ≪404≫). Dagegen hat Art. 103 Abs. 1 GG nicht zum Ziel, jeden an einem Gerichtsverfahren zu beteiligen, dessen Interessen durch die Entscheidung berührt werden können.
Zielt ein gerichtliches Verfahren auf eine Verpflichtung einer Behörde ab, deren Umsetzung den Rechtskreis eines Dritten berührt, so ist der Dritte grundsätzlich dann nicht unmittelbar rechtlich von ihm betroffen, wenn er seinerseits gegen den behördlichen Umsetzungsakt gerichtlich vorgehen kann. In einem derartigen Fall wird den Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG regelmäßig dadurch genügt, dass der Dritte in dem von ihm anzustrengenden gerichtlichen Verfahren angehört wird. Dagegen ist der Dritte in dem auf die Verpflichtung gerichteten Verfahren dann anzuhören, wenn seine Rechte durch die Entscheidung in diesem Verfahren unmittelbar verkürzt werden.
b) Nach diesem Maßstab war eine Beiladung der Beschwerdeführerin in den Gerichtsverfahren der Deutschen Telekom gegen die Bundesnetzagentur nicht aufgrund von Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geboten.
aa) Das Verwaltungsgericht hat unter Zustimmung des Oberverwaltungsgerichts ausgeführt, die Beschwerdeführerin könne gegen Entgeltgenehmigungen, die aufgrund von gerichtlichen Entscheidungen in diesen Verfahren ergingen, im Wege der Anfechtungsklage vorgehen. Der Ausgang der Anfechtungsprozesse werde nicht durch die vorherigen Verpflichtungsentscheidungen präjudiziert, da diese Verpflichtungsentscheidungen keine Rechtskraftwirkung gegenüber der Beschwerdeführerin entfalteten.
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, der Beschwerdeführerin eine Beiladung in den Verpflichtungsverfahren zu versagen, führt daher nicht dazu, dass ein subjektives Recht der Beschwerdeführerin verkürzt werden kann, ohne dass sie Gelegenheit zur Stellungnahme erhielte. Die Beschwerdeführerin kann im Rahmen der gegebenenfalls von ihr anzustrengenden Anfechtungsprozesse alle ihr in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht wesentlich erscheinenden Gesichtspunkte vortragen, um so die Entscheidungen des erkennenden Gerichts zu beeinflussen.
bb) Die Beschwerdeführerin erleidet durch die Versagung der Beiladung in dem Eilverfahren auch keinen sonstigen auf ihre Rechte bezogenen rechtlichen Nachteil.
Das Verwaltungsgericht hat klargestellt, dass es für die Frage der Rückwirkung einer endgültigen Entgeltgenehmigung nach § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG nicht die gerichtliche Anordnung in dem Verfahren nach § 123 VwGO in Verbindung mit § 35 Abs. 5 Satz 2 TKG für maßgeblich hält, sondern die aufgrund dieser Anordnung ergehende vorläufige Entgeltgenehmigung. Die Beschwerdeführerin hat die Möglichkeit, diese vorläufige Genehmigung anzufechten und so eine Rückwirkung der endgültigen Genehmigung abzuwenden.
Wenn das Verwaltungsgericht weiter für die Prüfung der Begründetheit der Anfechtungsklage gegen die vorläufige Entgeltgenehmigung § 35 Abs. 5 Satz 2 TKG zugrunde legt, erleidet die Beschwerdeführerin auch insoweit keinen rechtlichen Nachteil dadurch, dass sie auf die Anfechtungsklage verwiesen wurde.
cc) Das Bundesverfassungsgericht hat nicht zu entscheiden, ob die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die Beschwerdeführerin in den Ausgangsverfahren nicht beizuladen, einfachrechtlich deshalb zu beanstanden ist, weil sie mit dem Gedanken der Prozessökonomie nicht in Einklang steht. Die Prozessökonomie ist ein Normzweck des § 65 VwGO, der neben dem Interesse des Beizuladenden an der Gewährung rechtlichen Gehörs steht und mit diesem sogar in Widerstreit geraten kann (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Bearbeitungsstand 1988, Art. 103 Abs. 1 Rn. 43; Bier, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Bearbeitungsstand 2006, § 65 Rn. 6). Dieser Normzweck wird von der Gewährleistung des Art. 103 Abs. 1 GG nach ihrem Schutzgehalt nicht erfasst.
Das gleiche gilt für den weiteren Normzweck des § 65 VwGO, den Streitstoff umfassend zu klären (vgl. dazu Czybulka, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., 2006, § 65 Rn. 21).
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 1644011 |
CR 2007, 300 |
ITRB 2007, 108 |
www.judicialis.de 2006 |