Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 06.09.2006; Aktenzeichen 15 A 3365/06.A) |
VG Düsseldorf (Urteil vom 18.07.2006; Aktenzeichen 26 K 1744/06.A) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 18. Juli 2006 – 26 K 1744/06.A – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 16a Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
Damit wird der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. September 2006 – 15 A 3365/06.A – gegenstandslos.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen – auch für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung – zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Feststellung und Beurteilung des Charakters staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen als politische Verfolgung.
1. Der Beschwerdeführer ist ein 33 Jahre alter türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er gibt an, im März 2003 von Istanbul nach Düsseldorf geflogen zu sein. Er stellte einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter.
2. Aus einer vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, im Folgenden: Bundesamt) beim Auswärtigen Amt eingeholten amtlichen Auskunft ergibt sich folgendes: Der Beschwerdeführer wurde im Februar 2000 zunächst in Polizeigewahrsam und dann in Untersuchungshaft genommen, da er der Mitgliedschaft in der Hizbullah verdächtigt wurde. Am 11. September 2001 wurde er durch das 1. Staatssicherheitsgericht Diyarbakir wegen Unterstützung der Hizbullah zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt, der Beschwerdeführer wurde aus der Haft entlassen. Auf das Rechtsmittel der Oberstaatsanwaltschaft hob die 9. Strafkammer des Kassationsgerichts das Urteil auf und verwies das Verfahren zurück. Im Juni 2002 erließ das 1. Staatssicherheitsgericht Diyarbakir zunächst Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer und verurteilte ihn am 18. März 2003 in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von zwölf Jahren und sechs Monaten wegen Mitgliedschaft in der Hizbullah. Die Revision hiergegen wurde zurückgewiesen. Es wird zur Vollstreckung der Haftstrafe nach dem Beschwerdeführer gefahndet.
Der Beschwerdeführer gab darüber hinaus an, dass er in den ersten Tagen des Polizeigewahrsams massiv gefoltert worden sei. Seine Hoden seien wiederholt gequetscht worden. Er habe Stromstöße an seinen Zehen und seinem Geschlechtsorgan erdulden müssen. Dies habe zum Verlust der Zeugungsfähigkeit geführt. Die Vorwürfe, dass er Mitglied der Hizbullah gewesen sei, stimmten nicht. Ein von ihm bei Beendigung des Polizeigewahrsams unterzeichnetes Geständnis entspreche nicht der Wahrheit. Er habe es in dem Glauben, den Erhalt persönlicher Gegenstände zu quittieren, unterschrieben.
3. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 27. Oktober 2004 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt. Es wurde ferner festgestellt, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen: Der Beschwerdeführer bestreite zwar die Zugehörigkeit zur Hizbullah, jedoch sei es nicht Aufgabe des Bundesamtes, Strafurteile auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Damit gebe es einen hinreichenden Tatverdacht im Sinne von § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG, so dass eine Asylanerkennung ebenso wie die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG ausscheide. Das türkische Strafverfahren weise ein Mindestmaß an rechtsstaatlicher Verfahrensweise auf, so dass es Grundlage für die Anwendung der genannten Vorschrift sein könne. Das Verfahren habe allein die Ahndung kriminellen Unrechts zum Gegenstand und könne deshalb nicht als politische Verfolgung eingestuft werden. Der Vortrag zur menschenrechtswidrigen Behandlung durch Folter sei nicht relevant, da der notwendige kausale Zusammenhang zwischen dem angeblichen Verfolgungsereignis im Februar 2000 und der Ausreise im März 2003 fehle; die Ausreise sei seit der Freilassung im September 2001 möglich gewesen.
4. Das Verwaltungsgericht wies die gegen diesen Bescheid erhobene Klage mit Urteil vom 18. Juli 2006 ab: Entgegen der Ansicht des Bundesamtes sei der Schutzanspruch des Beschwerdeführers allerdings nicht gemäß § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG (entspricht § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG) ausgeschlossen, da eine von ihm ausgehende Gefahr nicht festgestellt werden könne. Dahinstehen könne, ob die Asylgewährung wegen Einreise auf dem Landweg ausscheide. Der Beschwerdeführer habe jedenfalls sein Heimatland nicht als politisch Verfolgter verlassen. Ihm drohe auch für den Fall seiner Rückkehr keine politische Verfolgung.
Die erlittene Folter in Polizeihaft sei nicht ausreiseauslösend gewesen. Der Beschwerdeführer sei unmittelbar nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft in seiner Heimatregion verblieben. Daraus sei zu schließen, dass er seine Lage auf Grund des Erlebten nicht als ausweglos eingeschätzt habe. Er habe die Türkei vielmehr auf Grund der bevorstehenden Verurteilung verlassen. Sein Motiv, sich der Verbüßung einer langjährigen Haftstrafe zu entziehen, stehe in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Erleben menschenrechtswidriger Behandlung in einem abgeschlossenen Verfahrensstadium, dessen Wiederholung nicht zu befürchten gewesen sei.
Die Strafverfolgung und die anstehende Strafhaft selbst stellten sich nicht als politische Verfolgung, sondern als Ahndung kriminellen Unrechts dar. Es gebe keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Verurteilung des Beschwerdeführers offen oder verdeckt gegen eine ihm eigene politische Überzeugung gerichtet gewesen sei. Er selbst habe angegeben, in der Türkei nicht politisch aktiv gewesen zu sein oder mit einer Organisation sympathisiert zu haben. Daher sei nicht ersichtlich, dass er als missliebige Person in das Blickfeld der Sicherheitskräfte geraten sein könnte. Der Verlauf des Strafprozesses lasse ebenfalls nicht auf einen politischen Hintergrund schließen. Rechtsstaatliche Bedenken gegen den Strafprozess ließen sich auch nicht durch die erlittene Folter begründen, da das – für die Verurteilung erhebliche – Geständnis unter Täuschung, nicht aber durch Folter erlangt worden sein solle. Die Täuschung könne dem Beschwerdeführer nicht geglaubt werden. Der geschilderte Vorgang sei nicht nachvollziehbar. Gegen eine Beeinträchtigung des Beschwerdeführers durch die vorangegangene Behandlung spreche, dass er nach seinen Angaben in der Lage gewesen sei, sich zunächst der Unterschriftsforderung zu entziehen und wenig später dem Staatsanwalt und dem Haftrichter über erlittene Foltermaßnahmen zu berichten.
5. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung machte der Beschwerdeführer, gestützt auf die Zulassungsgründe einer Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, vor allem geltend, dass das Verwaltungsgericht es unterlassen habe, das Vorliegen eines Politmalus bei der Bestrafung durch die türkische Justiz hinreichend aufzuklären.
6. Das Oberverwaltungsgericht lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 6. September 2006 ab: Es mangele an der hinreichenden Darlegung von Zulassungsgründen. Der Beschwerdeführer beanstande in der Sache eine unterbliebene Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht. Ein etwaiger Aufklärungsmangel zähle jedoch nicht zu den in § 138 VwGO aufgeführten Verfahrensfehlern, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen könnten.
7. Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2, Art. 16a Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG geltend: Es sei bereits der falsche Prognosemaßstab für die Bestimmung der Relevanz einer Rückkehrgefährdung angewendet worden, da das Strafurteil des Staatssicherheitsgerichts vorliege. Sowohl der Haftbefehl des Staatssicherheitsgerichts wie auch die Anwendung von Art. 168 Abs. 2 tStGB sowie die hohe Haftstrafe und schließlich die erlittene Folter ließen auf eine Verfolgung wegen eines asylerheblichen Merkmals schließen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ermangele der verfassungsrechtlich zu fordernden besonderen Begründung des Fehlens eines Politmalus bei der Strafverfolgung. Das Verwaltungsgericht gebe zwar eine Begründung, weshalb es im strafgerichtlichen Verfahren nur um die Ahndung kriminellen Unrechts gegangen sei, werde aber den Anforderungen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nur der „Hülle nach gerecht”. Es würden willkürlich alle entscheidenden Merkmale außer Acht gelassen, die für einen politischen Hintergrund des Strafverfahrens sprächen. Es gehe um die Mitgliedschaft in einer politischen Organisation, der Beschwerdeführer sei bis zur Entmannung gefoltert worden und der Haftbefehl sei durch das Staatssicherheitsgericht erlassen worden. Schließlich seien auch die Anwendung von Art. 168 Abs. 2 tStGB und das hohe Strafmaß Indizien für eine politische Verfolgung.
8. Das Land Nordrhein-Westfalen machte ebenso wie das Bundesamt von der Möglichkeit zur Stellungnahme keinen Gebrauch.
9. Das Bundesverfassungsgericht untersagte im Wege der einstweiligen Anordnung der Ausländerbehörde, bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde die angedrohte Abschiebung zu vollziehen (Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Februar 2007 und vom 9. August 2007).
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 16a Abs. 1 GG.
1. Der in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der materiellen Subsidiarität steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen. Auch verhält es sich nicht so, dass der Beschwerdeführer mangels eines einschlägigen Berufungszulassungsgrundes eine Verfassungsbeschwerde allein gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hätte erheben dürfen und daher über dem Berufungszulassungsverfahren die Verfassungsbeschwerdefrist versäumt hätte.
a) Der Grundsatz der Subsidiarität fordert, dass ein Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinn hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (BVerfGE 81, 22 ≪27≫; 95, 163 ≪171≫; stRspr). Daran fehlt es insbesondere dann, wenn der Beschwerdeführer es unterlässt, in einem Verfahren auf Zulassung der Berufung einen für maßgeblich erachteten Gesichtspunkt hinreichend substantiiert darzulegen oder die geltend gemachten Zulassungsgründe in einer dem Darlegungserfordernis genügenden Weise vorzutragen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 14. März 2001 – 2 BvR 567/99 –, juris).
b) Der Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ist hier zwar unter Verweis auf die nicht hinreichende Darlegung der Zulassungsgründe im Sinne von § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG abgelehnt worden. Der Beschwerdeführer hat aber, ohne dass dies von vornherein und offensichtlich aussichtslos gewesen wäre, im Rahmen des restriktiven Rechts der Berufungszulassung in Asylverfahren (vgl. § 78 Abs. 2 bis 5 AsylVfG) versucht, sein Rechtsschutzbegehren einer obergerichtlichen Überprüfung zuzuführen. Dass seine Ausführungen letztlich nicht, wie das Oberverwaltungsgericht ohne Überspannung der prozessualen Anforderungen festgestellt hat, auf einen Zulassungsgrund geführt haben, steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen.
Der Beschwerdeführer war auch nicht gehalten, den Antrag auf Zulassung der Berufung unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs darauf zu stützen, dass sein Vortrag, er sei von den türkischen Strafbehörden wegen seiner Tätigkeit als Imam verfolgt worden, vor dem Verwaltungsgericht ohne Erfolg geblieben ist. Dieses hat den Vortrag gesehen, aber von seinem Standpunkt aus, dass Gegenstand des Strafverfahrens allein die Ahndung kriminellen Unrechts gewesen sei, erkennbar nicht für entscheidungserheblich erachtet. Unter dieser Voraussetzung war die Rüge eines Gehörsverstoßes von vornherein aussichtslos.
2. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 16a Abs. 1 GG bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
a) Das Asylrecht beruht auf dem Zufluchtgedanken und setzt daher grundsätzlich einen Kausalzusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht voraus (vgl. BVerfGE 74, 51 ≪60 ff.≫). Nach dem hierdurch geprägten normativen Leitbild des Grundrechts ist typischerweise asylberechtigt, wer aufgrund politischer Verfolgung gezwungen ist, sein Land zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen, und deswegen in die Bundesrepublik Deutschland kommt (vgl. BVerfGE 80, 315 ≪344≫). Der asylrechtlich geforderte Kausalzusammenhang zwischen politischer Verfolgung und Flucht fehlt, wenn ein Asylbewerber nach erlittener politischer Verfolgung noch längere Zeit im Heimatland verbleibt und in dieser Zeit dort unbehelligt und verfolgungsfrei leben kann (vgl. BVerfGE 74, 51 ≪60 ff.≫; 80, 315 ≪344≫; BVerwGE 87, 52 ≪55 f.≫; 87, 141 ≪146 f.≫). Insofern bedarf es einer wertenden Zusammenschau der vom Asylbewerber zur Begründung seiner Verfolgungsfurcht vorgetragenen Ereignisse (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Februar 2000 – 2 BvR 752/97 –, InfAuslR 2000, S. 254 ≪260≫).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Verfolgung dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen.
Eine asylbegründende Anknüpfung liegt allerdings nicht vor, wenn die staatliche Maßnahme allein dem – grundsätzlich legitimen – staatlichen Rechtsgüterschutz, etwa im Bereich der Terrorismusbekämpfung, dient (vgl. BVerfGE 80, 315 ≪339≫) oder sie nicht über das hinausgeht, was auch bei der Ahndung sonstiger krimineller Taten ohne politischen Bezug regelmäßig angewandt wird (vgl. BVerfGE 81, 142 ≪151≫). Das Asylgrundrecht gewährt keinen Schutz vor drohenden (auch massiven) Verfolgungsmaßnahmen, die keinen politischen Charakter haben. Auch eine danach nicht asylerhebliche Strafverfolgung kann freilich in politische Verfolgung umschlagen, wenn objektive Umstände darauf schließen lassen, dass der Betroffene wegen eines asylerheblichen Merkmals eine härtere als die sonst übliche Behandlung erleidet (vgl. BVerfGE 80, 315 ≪336 ff.≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 1999 – 2 BvR 86/97 –, InfAuslR 1999, S. 273 ≪276≫).
Die Prüfung der Asylberechtigung betrifft unmittelbar die Anwendung der Grundrechtsbestimmung des Art. 16a Abs. 1 GG. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal „politisch Verfolgter” sowohl hinsichtlich der Ermittlung des Sachverhalts als auch hinsichtlich seiner rechtlichen Bewertung zu prüfen, ob die tatsächliche und rechtliche Wertung der Gerichte sowie Art und Umfang ihrer Ermittlungen Art. 16a Abs. 1 GG gerecht werden (vgl. BVerfGE 54, 341 ≪356≫; 76, 143 ≪162≫). Die Verfassungsbeschwerde eröffnet allerdings auch im Asylverfahren keine weitere Tatsachen- oder Revisionsinstanz. Den Fachgerichten ist vielmehr ein gewisser Wertungsrahmen eröffnet, der sich einerseits auf die rechtliche Bewertung des ermittelten Sachverhalts, andererseits auf die Einschätzung von Sachverhaltselementen selbst bezieht. Die fachgerichtlichen Ermittlungen zum Tatbestand sind vom Bundesverfassungsgericht freilich daraufhin zu überprüfen, ob sie einen hinreichenden Grad an Verlässlichkeit aufweisen und auch dem Umfang nach, bezogen auf die besonderen Gegebenheiten im Asylbereich, zureichend sind (vgl. BVerfGE 76, 143 ≪162≫; 83, 216 ≪234≫). Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist eine fachgerichtliche Beurteilung dann, wenn sie anhand der gegebenen Begründung nicht mehr nachvollziehbar ist und/oder nicht auf einer verlässlichen Grundlage beruht (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 12. März 1992 – 2 BvR 721/91 –, InfAuslR 1992, S. 231 ≪233≫; vom 22. Juli 1996 – 2 BvR 1416/94 –, InfAuslR 1996, S. 355 ≪357≫; vom 15. Februar 2000 – 2 BvR 752/97 –, InfAuslR 2000, S. 254 ≪258≫; vom 18. Februar 2002 – 2 BvR 1937/01 –, DVBl 2002, S. 833; vom 27. April 2004 – 2 BvR 1318/03 –, NVwZ-RR 2004, S. 613 ≪614≫). Angesichts der Feststellungsbedürftigkeit des Asylgrundrechts (vgl. dazu BVerfGE 56, 216 ≪236≫; 60, 253 ≪295≫; 94, 166 ≪199 f.≫) hat die Sachaufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verfassungsrechtliches Gewicht (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Februar 2000, a.a.O., S. 254 ≪258≫ m.w.N.).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen halten die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur Verneinung einer erlittenen politischen Verfolgung durch die strafgerichtliche Verurteilung und einer drohenden politischen Verfolgung durch die dem Beschwerdeführer drohende Strafhaft der verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.
aa) Mit der ohne weitere Sachverhaltsaufklärung getroffenen Einschätzung, die Strafverfolgung und die anstehende Strafhaft selbst stellten sich nicht als politische Verfolgung, sondern als bloße Ahndung des nach Ansicht der türkischen Justiz begangenen kriminellen Unrechts dar, hat das Verwaltungsgericht den ihm eröffneten fachgerichtlichen Wertungsrahmen überschritten.
(1) Das Verwaltungsgericht verkennt die Reichweite des Schutzbereichs von Art. 16a Abs. 1 GG, an dem es das Begehren des Beschwerdeführers misst, soweit es aus dem Umstand, dass dieser von sich angibt, in der Türkei mit keiner bestimmten Organisation sympathisiert oder sich sonst politisch hervorgetan zu haben, schließt, es sei nicht ersichtlich, dass sich das Strafverfahren gegen eine politische Überzeugung des Beschwerdeführers gerichtet haben könnte. Auch Maßnahmen eines Staates, die auf einer möglicherweise falschen Verdächtigung – hier der Mitgliedschaft in der Hizbullah – beruhen, können Asylrelevanz besitzen. Einer Maßnahme kann die Asylrelevanz nicht allein deshalb abgesprochen werden, weil der Betroffene objektiv kein Träger eines asylerheblichen Merkmals ist (vgl. BVerfGE 80, 315 ≪339 f.≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. November 1990 – 2 BvR 933/90 –, NVwZ 1991, S. 772). Die Lage eines von einer falschen Verdächtigung Betroffenen kann nämlich von der gleichen Ausweglosigkeit geprägt sein wie die des tatsächlichen Trägers verfolgungsverursachender Merkmale, solange und soweit er den Verdacht nicht zu entkräften vermag (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 2002 – 2 BvR 1937/01 –, DVBl 2002, S. 833 m.w.N.).
(2) Das Verwaltungsgericht ist der Frage, ob die strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers härter als diejenige zur Verfolgung ähnlicher nicht politischer Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit und damit asylrelevant (vgl. BVerfGE 80, 315 ≪338≫) gewesen sein könnte, nicht im verfassungsrechtlich gebotenem Umfang nachgegangen.
Solange sich ein so genannter Politmalus nicht von vornherein ausschließen lässt, ist es Aufgabe des Verwaltungsgerichts, den diesbezüglichen Sachverhalt in einer der Bedeutung des Asylgrundrechts entsprechenden Weise aufzuklären (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. April 2004 – 2 BvR 1318/03 –, NVwZ-RR 2004, S. 613 ≪614≫).
Bei der strafrechtlichen Verurteilung durch ein türkisches Staatssicherheitsgericht bedurfte es einer Auseinandersetzung mit dem Einzelfall, um festzustellen, ob in der Anwendung der Strafgesetze durch das Gericht eine Maßnahme politischer Verfolgung zu erblicken war (vgl. OVG Niedersachsen, Urteil vom 18. Juli 2006 – 11 LB 75/06 –, juris; Oberdiek, Rechtsstaatlichkeit politischer Verfahren in der Türkei, 2006, S. 309). In diesem Zusammenhang wäre auch der Behauptung des Beschwerdeführers, er sei im Zuge der Ermittlungen gefoltert worden, als Indiz für das Bestehen eines „Politmalus” nachzugehen gewesen. Die Erwägungen des Verwaltungsgerichts, wonach in der strafgerichtlichen Verurteilung deshalb keine politische Verfolgung im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG zu sehen sei, weil Ablauf und Inhalt des Verfahrens keine Anhaltspunkte für eine willkürliche Vorgehensweise zu entnehmen seien, die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung auch nach deutschem Strafrecht mit hohen Strafen geahndet werde und es nicht gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoße, wenn die türkische Justiz den Strafrahmen ausschöpfe, sind nicht geeignet, zu belegen, dass der Beschwerdeführer keiner politischen Verfolgung ausgesetzt war. Das Verwaltungsgericht hat damit nur festgestellt, dass keine Anhaltspunkte für Willkür hinsichtlich der Feststellung der Straftat erkennbar seien. Hingegen verkennt es, dass auch einer deutlich härteren als der allgemein üblichen Behandlung im Strafverfahren dann, wenn sie an asylerhebliche Merkmale des Straftäters anknüpft, Asylrelevanz zukommt und diesbezügliche Aufklärung des Sachverhalts erforderlich war. Art. 16a Abs. 1 GG verleiht Schutz nicht nur in den Fällen strafrechtlicher Verfolgung Unschuldiger aus asylerheblichen Gründen, sondern auch in solchen überharter strafrechtlicher Verfolgung von Straftätern aus asylerheblichen Gründen.
bb) Auch mit der Einschätzung, die dem Beschwerdeführer in Polizeihaft zugefügte Folter sei nicht ausreiseauslösend gewesen, überschreitet das Verwaltungsgericht den ihm zustehenden Wertungsrahmen. Das Gericht hat die Bedeutung des dem Asylgrundrecht zugrunde liegenden Zufluchtgedankens verkannt, indem es ohne weitere Sachverhaltsermittlungen aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft in der Türkei verblieben ist, auf die fehlende Kausalität der Folter für die Ausreise geschlossen hat. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts lag es aus der Sicht des Beschwerdeführers nicht fern, in der während der Polizeihaft erlittenen Folter nur solange einen abgeschlossenen und nicht weiter wirkenden Vorgang zu sehen, als ihm keine schärfere Bestrafung und keine erneute Inhaftierung drohte. Zum Zeitpunkt seiner Freilassung durfte der Beschwerdeführer möglicherweise darauf vertrauen, dass der türkische Staat von einer weiteren Verfolgung absehen würde. Es ist denkbar, dass erst mit der Aufhebung des zu seiner Freilassung führenden Urteils sich die Bedrohungslage erneut aktualisierte. Der Beschwerdeführer hat klar zu erkennen gegeben, dass er einen Zusammenhang zwischen der Behandlung in der Polizeihaft und dem anschließenden Strafverfahren für gegeben erachtete, und gegenüber dem Bundesamt angegeben, nicht nur eine lange Inhaftierung zu fürchten, sondern Angst um sein Leben zu haben. Vor diesem Hintergrund hätte das Verwaltungsgericht den Schilderungen des Beschwerdeführers über die erlittene Folter weiter nachgehen müssen. Anschließend hätte der Klärung bedurft, ob der Beschwerdeführer unter dem durch die Verurteilung aktualisierten Druck einer Verfolgung, die sich in der von ihm behaupteten zurückliegenden menschenrechts- und rechtsstaatswidrigen Behandlung manifestierte, ausgereist ist. Sollte das Vorbringen des Beschwerdeführers umfassend zutreffend gewesen sein, wäre in Anwendung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs die Frage zu klären gewesen, ob er bei einer Rückkehr hinreichend sicher vor erneuter Verfolgung wäre (vgl. nur BVerfGE 54, 341 ≪360≫). Das Verwaltungsgericht hat demgegenüber allein darauf abgestellt, dass der Beschwerdeführer ausgereist ist, um sich der Verbüßung einer langjährigen Haftstrafe zu entziehen. Die Feststellungen zur Gefahr drohender Folter bei einer Rückkehr genügen dem hier möglicherweise anzuwendenden herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab nicht.
3. Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auf der Grundrechtsverletzung. Es ist nicht auszuschließen, dass das Verwaltungsgericht bei hinreichender Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu einer anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wäre.
Die Kammer hebt deshalb nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 18. Juli 2006 auf und verweist die Sache an das Verwaltungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Auf die weiteren Grundrechtsrügen kommt es nicht an. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 6. September 2006 über die Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird damit gegenstandslos.
III.
Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27. Oktober 2004 richtet, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen; insoweit wird von einer Begründung abgesehen (§ 93a Abs. 2, § 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
IV.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG.
Unterschriften
Broß, Lübbe-Wolff, Gerhardt
Fundstellen