Verfahrensgang
LG Ulm (Entscheidung vom 09.10.2009; Aktenzeichen 6 KLs 41 Js 6865/09 JK) |
LG Ulm (Entscheidung vom 08.10.2009; Aktenzeichen 6 KLs 41 Js 6865/09 JK) |
LG Ulm (Entscheidung vom 16.09.2009; Aktenzeichen 6 KLs 41 Js 6865/09 JK) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil sie unzulässig ist. Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Die Beschwerdeführerin hat den Rechtsweg gegen die angegriffenen Verfügungen des Vorsitzenden der 6. Großen Jugendkammer des Landgerichts Ulm nicht erschöpft, soweit sie sich dagegen wendet, dass zur Auswahl der nur in beschränkter Zahl zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung zugelassenen Journalisten ein Losverfahren anstatt einer Pool-Lösung angeordnet wurde.
Nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist eine Verfassungsbeschwerde grundsätzlich erst nach Erschöpfung des Rechtsweges zulässig. Danach muss ein Beschwerdeführer zunächst die ihm gesetzlich zur Verfügung stehenden, nicht offensichtlich unzulässigen Rechtsbehelfe ergreifen (vgl. BVerfGE 22, 287 ≪290≫; 28, 1 ≪6≫); namentlich muss er den ihm nach der jeweiligen Verfahrensordnung eröffneten Instanzenzug durchlaufen (vgl. BVerfGE 4, 193 ≪198≫; 8, 222 ≪225 f.≫; 31, 364 ≪368≫; 57, 170 ≪180≫; 68, 376 ≪380≫). Durch die umfassende fachgerichtliche Vorprüfung der Beschwerdepunkte soll dem Bundesverfassungsgericht ein regelmäßig in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet und ihm die Fallanschauung und Rechtsauffassung der Fachgerichte vermittelt werden (vgl. BVerfGE 8, 222 ≪227≫; 9, 3 ≪7≫). Zugleich entspricht es der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung, dass vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz gegen Verfassungsverletzungen selbst gewähren (vgl. BVerfGE 47, 144 ≪145≫) und etwaige im Instanzenzug auftretende Fehler durch Selbstkontrolle beheben (vgl. BVerfGE 47, 182 ≪191≫; 68, 376 ≪380≫).
Zwar gehören offensichtlich unzulässige Rechtsmittel nicht zum Rechtsweg (vgl. BVerfGE 91, 93 ≪106≫). Andererseits muss der Beschwerdeführer vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf § 90 Abs. 2 BVerfGG von einem Rechtsmittel grundsätzlich auch dann Gebrauch machen, wenn zweifelhaft ist, ob es statthaft ist und im konkreten Fall in zulässiger Weise eingelegt werden kann (vgl. BVerfGE 16, 1 ≪2 f.≫; 91, 93 ≪106≫; vgl. auch BVerfGE 5, 17 ≪19≫; 107, 299 ≪309≫). In derartigen Fällen ist es grundsätzlich die Aufgabe der Fachgerichte, über streitige oder noch offene Zulässigkeitsfragen nach einfachem Recht unter Berücksichtigung der hierzu vertretenen Rechtsansichten zu entscheiden (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 68, 376 ≪381≫; 70, 180 ≪185≫). Der Funktion der Verfassungsbeschwerde würde es zuwiderlaufen, sie anstelle oder gleichsam wahlweise neben einem möglicherweise statthaften Rechtsmittel zuzulassen (vgl. BVerfGE 1, 5 ≪6≫; 1, 97 ≪103≫). Es ist daher geboten und einem Beschwerdeführer auch zumutbar, vor der Einlegung einer Verfassungsbeschwerde die Statthaftigkeit weiterer einfachrechtlicher Rechtsbehelfe sorgfältig zu prüfen und von ihnen auch Gebrauch zu machen, wenn sie nicht offensichtlich unzulässig sind (vgl. BVerfGE 68, 376 ≪381≫). Offensichtlich unzulässig ist ein Rechtsmittel nur dann, wenn der Rechtsmittelführer nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre zum maßgebenden Zeitpunkt über dessen Unzulässigkeit nicht im Ungewissen sein konnte (vgl. BVerfGE 28, 1 ≪6≫; 48, 341 ≪344≫; 49, 252 ≪255≫).
Hier kommt das Rechtsmittel der Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO zumindest in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist die Beschwerde gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug erlassenen Beschlüsse und Verfügungen des Vorsitzenden statthaft, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich der Anfechtbarkeit entzieht. Gemäß § 304 Abs. 2 StPO steht die Beschwerde grundsätzlich auch nicht verfahrensbeteiligten Personen zu, die durch die richterliche Entscheidung betroffen sind (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 18. Januar 2005 – StB 6/04 –, Juris ≪Rn. 4≫; Engelhardt, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, § 304 Rn. 28). Dass die hier angegriffenen Verfügungen des Vorsitzenden auf Grundlage des § 48 Abs. 2 Satz 3 JGG kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung einer Anfechtung entzogen wären, ist nicht ersichtlich.
Auch ist nicht dargelegt, dass Rechtsprechung und Lehre in einer keine ernstlichen Zweifel mehr zulassenden Weise entsprechende Beschwerden regelmäßig als unstatthaft oder als aus anderen Gründen unzulässig ansehen. Dies ergibt sich jedenfalls nicht, wie die Beschwerdeführerin meint, allein aus dem Umstand, dass Rechtsprechung und Lehre die Anfechtbarkeit von sitzungspolizeilichen Anordnungen, die auf § 176 GVG gestützt werden, überwiegend als unstatthaft ansehen und das Bundesverfassungsgericht die Einlegung der fachgerichtlichen Beschwerde in diesen Fällen deshalb für unzumutbar erachtet hat (vgl. BVerfGE 87, 334 ≪338 f.≫). Ungeachtet dessen, ob die angegriffenen Verfügungen auch sitzungspolizeilichen Gehalt haben mögen, stützen sie sich jedoch auf Vorschriften des JGG zur Regelung der Öffentlichkeit von Strafverhandlungen gegen jugendliche Angeklagte, die gegenüber den allgemeinen Regelungen des GVG spezieller Natur sind (vgl. Eisenberg, Jugendgerichtsgesetz, 13. Aufl. 2009, § 48 Rn. 12). Es ist auch nicht von vornherein als sicher anzusehen, dass die Fachgerichte diejenigen Erwägungen, mit der die generelle Unanfechtbarkeit sitzungspolizeilicher Anordnungen begründet wird (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 22. Mai 1963 – 2 W 63-65/63 –, NJW 1963, S. 1508; OLG Hamm, Beschluss vom 1. Februar 1972 – 3 Ws 27/72 –, NJW 1972, S. 1246 ≪1247≫; OLG Hamburg, Beschluss vom 10. Juni 1976 – 3 Ws 18/76 –, NJW 1976, S. 1987; offen gelassen BGHSt 44, 23 ≪25≫) auch auf die Beurteilung der Frage übertragen werden, ob eine Verfügung des Vorsitzenden, die auf Grundlage des § 48 Abs. 2 Satz 3 JGG einer beschränkten Zahl von Pressevertretern ausnahmsweise Zugang zu einer nicht öffentlichen Hauptverhandlung gestattet, mit Blick auf ihre Ausgestaltung zur Auswahl der zuzulassenden Pressevertreter anfechtbar ist.
Vielmehr ist in der fachgerichtlichen Rechtsprechung und Lehre anerkannt, dass denjenigen nicht verfahrensbeteiligten Personen, die sich auf ein gesetzliches Anwesenheitsrecht etwa aus § 48 Abs. 2 Satz 1 JGG berufen können, gegen eine Beschränkung ihrer Anwesenheit die Beschwerde gemäß § 304 StPO zusteht (vgl. Eisenberg, a.a.O., § 48 Rn. 17; Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, 8. Aufl. 2009, § 48 Rn. 20; Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, 11. Aufl. 2002, § 48 Rn. 21; so wohl auch KG, Beschluss vom 16. März 2006 – 1 AR 1081/05 u.a. –, Juris ≪Rn. 2≫). Soweit die Beschwerdeführerin demgegenüber betont, dass in Rechtsprechung und Lehre ebenso einhellig die Auffassung vertreten werde, dass anderen nicht verfahrensbeteiligten Personen, die lediglich nach Maßgabe des § 48 Abs. 2 Satz 3 JGG Zugang zur Hauptverhandlung begehren, gegen eine Versagung die Beschwerde nicht zustehe, beruht diese Auffassung – soweit ersichtlich – auf dem Argument, dass diesen nicht verfahrensbeteiligten Personen mangels subjektiven Rechts regelmäßig eine Beschwerdebefugnis fehlen werde (vgl. KG, Beschluss vom 16. März 2006 – 1 AR 1081/05 u.a. –, Juris ≪Rn. 2≫; Ostendorf, a.a.O., § 48 Rn. 20; Brunner/Dölling, a.a.O., § 48 Rn. 21; Diemer/Schoreit/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, 5. Aufl. 2008, § 48 Rn. 19). Vor diesem Hintergrund ist es jedoch geboten und auch naheliegend, den Fachgerichten die Frage zur Klärung zu unterbreiten, ob auch die Beschwerde eines nicht Verfahrensbeteiligten unzulässig ist, der sich zwar nicht auf ein einfachgesetzlich geregeltes, etwa aus § 48 Abs. 2 Satz 1 JGG folgendes Anwesenheitsrecht stützen kann, der aber ein Recht auf gleiche Teilhabe an den durch eingeschränkte Zulassung von Journalisten eröffneten Berichterstattungsmöglichkeiten geltend macht, das er aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 GG meint herleiten zu können. Es ist auch nicht dargelegt oder ersichtlich, dass das Oberlandesgericht Stuttgart mit Beschluss vom 8. Oktober 2009 – 2 Ws 192/09 – im Zuge der Entscheidung über die von einem weiteren Medienunternehmen eingelegte Beschwerde gegen die hier in Rede stehenden Verfügungen des Vorsitzenden der 6. Großen Jugendkammer des Landgerichts Ulm vom 16. September 2009 diese Frage in abschließender Weise entschieden hätte, so dass eine Beschwerde gestützt auf die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Rechtsposition als offensichtlich aussichtslos angesehen werden müsste.
Es mag zwar zweifelhaft sein, ob die Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG oder die Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG berührt wäre, wenn die Fachgerichte eine Ausnahme von einem gesetzlich vorgesehenen Ausschluss der Öffentlichkeit der Verhandlung nicht zulassen. Zum Schutzbereich der Presse- und Rundfunkfreiheit gehört ein Recht auf Eröffnung einer Informationsquelle ebenso wenig wie zu dem der Informationsfreiheit (vgl. BVerfGE 103, 44 ≪59≫; 119, 309 ≪319≫). Letztlich kann diese Frage hier aber offen bleiben. Denn es ist zumindest nicht fernliegend, dass sich im vorliegenden Fall aus dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 2 GG ein subjektives Recht der Medienunternehmen auf gleiche Teilhabe an den Berichterstattungsmöglichkeiten ableiten lässt, die sich aus der eingeschränkten Eröffnung der nicht öffentlichen Hauptverhandlung für eine Presseberichterstattung ergeben. Angesichts dessen ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass ein solches subjektives Recht auch im fachgerichtlichen Beschwerdeverfahren eine Beschwerdebefugnis begründen könnte.
Die Voraussetzungen für eine Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde vor Erschöpfung des Rechtsweges nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG liegen nicht vor. Insbesondere ist nicht dargelegt, dass der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Verweisung auf den Rechtsweg ein schwerer und unabwendbarer Nachteil drohte. Bereits angesichts dessen, dass im vorliegenden Fall zumindest eine Nachrichtenagentur zur Anwesenheit im Sitzungssaal zugelassen ist, steht nicht etwa ein genereller Ausschluss der Presseberichterstattung, sondern nur eine Erschwerung dieser Berichterstattung für die nicht zugelassenen Presseunternehmen in Rede, die für die hiervon Betroffenen im Wesentlichen einen wirtschaftlichen Nachteil im Wettbewerb zu den hier zur Berichterstattung zugelassenen Unternehmen darstellt. Es ist nicht dargelegt, dass dieser Nachteil von solch überragendem Gewicht für die Beschwerdeführerin ist, dass er eine Vorabentscheidung nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG rechtfertigte.
Der Beschwerdeführerin ist es auch zumutbar, die fachgerichtliche Klärung der Zulässigkeit einer Beschwerde gegen die angegriffenen Verfügungen herbeizuführen. Ausnahmen vom Gebot der Rechtswegerschöpfung über die in § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG hinaus vorgesehene Möglichkeit, vorab über eine Verfassungsbeschwerde zu entscheiden, sind eng zu begrenzen (vgl. BVerfGE 22, 349 ≪355≫); sie kommen nur in Betracht, wenn die Erschöpfung des Rechtswegs objektiv nicht geboten und dem Beschwerdeführer subjektiv nicht zuzumuten ist (vgl. BVerfGE 9, 3 ≪7 f.≫). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann die Erschöpfung des Rechtswegs ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn im Hinblick auf eine gefestigte jüngere und einheitliche Rechtsprechung auch im konkreten Einzelfall kein von dieser Rechtsprechung abweichendes Erkenntnis zu erwarten ist. Erscheint es hingegen – wie hier – in diesem Sinne nicht offensichtlich ausgeschlossen, Grundrechtsschutz bereits durch die Fachgerichte zu erlangen, ist es dem Beschwerdeführer regelmäßig zuzumuten, den nach einfachem Recht vorgesehenen Rechtsweg zu beschreiten und auszuschöpfen (vgl. BVerfGE 68, 376 ≪380 f.≫).
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Eichberger, Masing
Fundstellen
Haufe-Index 2238377 |
AfP 2009, 581 |
NPA 2011 |