Verfahrensgang
OVG Berlin (Beschluss vom 12.12.2002; Aktenzeichen OVG 2 S 37.02) |
VG Berlin (Beschluss vom 02.10.2002; Aktenzeichen VG 10 A 349.02) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Pfanderhebungs- und Rücknahmepflichten nach §§ 6, 8 der Verpackungsverordnung (so genanntes Dosenpfand).
I.
Die sieben Beschwerdeführerinnen sind selbständige Einzelhändler mit einer Verkaufsfläche von durchschnittlich 1.500 qm und vertreiben Getränke in Einwegverpackungen. Gegen die Bekanntmachung über die Ergebnisse der Nacherhebung durch die Bundesregierung im Bundesanzeiger vom 2. Juli 2002 erhoben sie am selben Tag zusammen mit 1770 anderen Einzelhändlern Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht Berlin und beantragten die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage, hilfsweise den Erlass einer einstweiligen Anordnung, die Pfandpflichten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage auszusetzen.
Das Verwaltungsgericht lehnte die Anträge mit Beschluss vom 2. Oktober 2002 ab. Hiergegen erhoben die Beschwerdeführerinnen Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht. Auch dieses versagte mit Beschluss vom 12. Dezember 2002 die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Die Pfanderhebungspflicht stehe mit Gemeinschaftsrecht im Einklang. Selbst wenn dem nicht so wäre, wäre das nationale Recht nicht nichtig, sondern allenfalls auf Importprodukte aus anderen Mitgliedstaaten unanwendbar. Die geltend gemachten kartellrechtlichen Einwendungen seien verspätet. Unabhängig davon liege hierin aber auch kein unüberwindliches rechtliches Hindernis gegen das Einsetzen der Pfanderhebung zum 1. Januar 2003. Eine Aussetzung des Verfahrens oder gar die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen eines beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Revisionsverfahrens komme nicht in Betracht. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerdeführerinnen bestünden im Übrigen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Pfanderhebungspflicht.
Mit ihrer am 19. Dezember 2002 erhobenen Verfassungsbeschwerde greifen die Beschwerdeführerinnen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts an. Zur Begründung führen die Beschwerdeführerinnen im Wesentlichen aus, die Pfandpflichten der Verpackungsverordnung verstießen gegen Art. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG sowie das Rechtsstaatsprinzip, weil der Verkauf von Getränkeeinwegverpackungen von der Errichtung eines gemeinschafts- wie kartellrechtlich nicht zulässigen Rücknahmesystems abhängig gemacht werde. Außerdem rügen sie einen Entzug des gesetzlichen Richters, indem Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht nicht die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage bis zum Ergehen einer Entscheidung in dem bereits vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängigen Verfahren über die Gemeinschaftskonformität der Verpackungsverordnung angeordnet hätten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen (vgl. dazu BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde, der keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, ist nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten verfassungsmäßigen Rechte der Beschwerdeführerinnen angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde ist in Teilen unzulässig und im Übrigen unbegründet und hat daher keine Aussicht auf Erfolg.
1. Unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde, soweit mit ihr gerügt wird, dass die Verpackungsverordnung gegen Art. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG sowie gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoße, indem sie die Errichtung eines Rücknahme- und Pfandsystems verlange, das von den Beschwerdeführerinnen aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht geleistet werden könne.
Sind im Eilverfahren ergangene Entscheidungen Gegenstand der Verfassungsbeschwerde, verlangt zwar § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht ohne Weiteres, dass der Rechtsweg im Verfahren der Hauptsache erschöpft wird (vgl. BVerfGE 69, 315 ≪339 f.≫ m.w.N.). Der in dieser Norm zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität fordert aber, dass der Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus zunächst von allen ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten Gebrauch macht, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen. Das bedeutet, dass auch die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache geboten ist, wenn sich dort nach der Art des gerügten Grundrechtsverstoßes die Chance bietet, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen (vgl. BVerfGE 79, 275 ≪278 f.≫; 86, 15 ≪22 f.≫; 104, 65 ≪70≫). Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn und soweit mit der Verfassungsbeschwerde Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen (vgl. BVerfGE 86, 15 ≪22≫; 104, 65 ≪71≫).
Mit dem Vorbringen, die §§ 6, 8 und 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV verstießen gegen Art. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 GG sowie gegen das Rechtsstaatsprinzip, erheben die Beschwerdeführerinnen vorliegend Rügen, die das Hauptsacheverfahren betreffen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Dezember 2002, NJW 2003, S. 418). Die Beschwerdeführerinnen haben die somit gebotenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfe im Hauptsacheverfahren zwar ergriffen. Der Rechtsweg war aber weder im Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde noch zum jetzigen Zeitpunkt erschöpft, weil nach dem Vortrag der Beschwerdeführerinnen noch keine letztinstanzliche Entscheidung in der Hauptsache vorliegt.
2. Ein Beschwerdeführer darf bei der Rüge von Grundrechtsverletzungen, die sich auf die Hauptsache beziehen, allerdings dann nicht auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden, wenn dies für ihn unzumutbar ist, etwa weil die Durchführung des Verfahrens von vornherein aussichtslos erscheinen muss, oder wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen und rechtlichen Klärung abhängt und diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen das Bundesverfassungsgericht gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG sofort entscheiden kann (vgl. BVerfGE 104, 65 ≪71≫ m.w.N.).
Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Die Beschwerdeführerinnen haben nicht dargelegt, dass die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens aussichtslos wäre. Vielmehr haben sie selbst auf vergleichbare Hauptsacheverfahren verwiesen, die dazu geführt haben, dass die Verpackungsverordnung für verfassungswidrig erachtet wurde oder eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 EGV erfolgt ist.
Dass den Beschwerdeführerinnen schwere und unabwendbare Nachteile im Sinne von § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG dadurch entstanden sind, dass ihnen zugemutet wurde, auch über den 1. Januar 2003 hinaus die Entscheidung der Verwaltungsgerichte im Hauptsacheverfahren abzuwarten, ist von ihnen zwar behauptet, nicht aber schlüssig dargelegt worden. Die Verfassungsbeschwerde erweckt den unzutreffenden Eindruck, Einzelhändler seien mit Eintritt der Pfandpflichten gezwungen, entweder ihren Betrieb aufzugeben oder aber bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeiten zu begehen. Auch in der vorgetragenen Notwendigkeit, einen Automaten im Wert von 11.000 Euro anzuschaffen, kann für den Betreiber eines Supermarktes von ca. 1500 qm Verkaufsfläche nicht ohne Weiteres ein schwerer unabwendbarer Nachteil im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG gesehen werden. Die nahe liegende Alternative, die betroffenen Getränke nur noch in Mehrwegverpackungen anzubieten, wird mit keinem Wort erwähnt, geschweige denn in ihrer belastenden Wirkung dargestellt.
3. Nicht den Anforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG entsprechend substantiiert ist die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG. So wird schon nicht dargelegt, inwieweit die genannten Grundrechte auf juristische Personen des Privatrechts oder teilrechtsfähige Organisationseinheiten Anwendung finden. Ferner übersehen die Beschwerdeführerinnen, dass das Oberverwaltungsgericht den Einwand der Kartellrechtswidrigkeit für verfristet gehalten hat, da die Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO bereits abgelaufen war. Dieser Auffassung des Oberverwaltungsgerichts setzt die Verfassungsbeschwerde nur entgegen, der Einwand habe sich erst drei Tage zuvor aus einem Gespräch mit einem Umweltbeauftragten ergeben. Indes hätte der Darlegung bedurft, inwiefern dieser Umstand wiederum geeignet sein kann, den Einwand der Kartellrechtswidrigkeit auch in Ansehung des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO noch im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen.
4. Ebenfalls unzulässig, weil unsubstantiiert, ist die Rüge, Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht hätten Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Die Beschwerdeführerinnen gehen insoweit davon aus, ihr Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes werde verletzt, weil die Pfanderhebung nun in Kraft trete, ohne dass über ihr Rechtsschutzanliegen in der Sache entschieden worden sei. Bei diesem Einwand übersehen die Beschwerdeführerinnen aber, dass Gegenstand des hiesigen Verfahrens die ausführlich begründeten Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichts über Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sind. Beide Entscheidungen sind vor Wirksam-Werden der Pfanderhebungspflicht ergangen und befassen sich mit den von den Beschwerdeführerinnnen vorgebrachten Einwänden. Ob die Entscheidungen einfachrechtlich richtig sind, ist hingegen keine Frage der Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG. Soweit die Beschwerdeführerinnen sinngemäß andeuten, über ihre Klagen in der Hauptsache werde in einer gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßenden Weise verzögerlich entschieden, hätte es der Darlegung bedurft, inwiefern Verfassungsrecht in diesem Falle gebietet, dass den Anträgen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes deshalb stattgegeben werden muss.
5. Jedenfalls unbegründet ist die Verfassungsbeschwerde insofern, als sie rügt, mit der Versagung einstweiligen Rechtschutzes – und nicht etwa durch die Ablehnung einer Vorlage – habe das Oberverwaltungsgericht die Beschwerdeführerinnen dem Europäischen Gerichtshof als ihrem gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entzogen. Aus der Garantie des gesetzlichen Richters kann die Pflicht folgen, ein gerichtliches Verfahren einem anderen Gericht, insbesondere dem Europäischen Gerichtshof, vorzulegen, nicht aber ein Gebot, Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes einzuleiten, bis ein anderes Gericht seine Entscheidung in einem anderen Verfahren getroffen hat.
Im Übrigen wird von einer Begründung abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hohmann-Dennhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1257073 |
NJW 2005, 967 |
NVwZ 2005, 78 |
GewArch 2005, 16 |
JWO-VerbrR 2004, 388 |