Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigen sich zugleich die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerden betreffen Fragen des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Pfanderhebungspflicht für bestimmte Einweggetränkeverpackungen sowie die Verpflichtung zur Rücknahme und Verwertung entsprechender gebrauchter Verpackungen.
I.
Die Beschwerdeführerinnen vertreiben Getränke in Einwegverpackungen. Sie erhoben im November und Dezember 2000 Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Feststellung, dass sie auch zukünftig den Pfandpflichten nach § 9 der Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen (Verpackungsverordnung – VerpackV) vom 21. August 1998 (BGBl I S. 2379) nicht unterlägen. Nach der Bekanntmachung der erneuten Erhebung (der so genannten Nacherhebung) bezüglich der Mehrweganteile durch die Bundesregierung am 2. Juli 2002, die diese Rechtsfolgen zum 1. Januar 2003 auslösen würde, begehrten die Beschwerdeführerinnen in Abänderung ihres ursprünglichen Klageantrags Aufhebung der Bekanntmachung. Über die Klagen hat das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden.
Die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen blieben vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht ohne Erfolg. Hiergegen richten sich ihre Verfassungsbeschwerden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen, da die Voraussetzungen für ihre Annahme nicht vorliegen. Weder kommt den Verfassungsbeschwerden grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil die Verfassungsbeschwerden keine Aussicht auf Erfolg haben (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫). Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Die Verfassungsbeschwerden sind teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet.
1. Soweit gerügt wird, dass die Verpackungsverordnung gegen Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG sowie gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoße, indem sie die Errichtung eines Rücknahme- und Pfandsystems verlange, die von den Beschwerdeführerinnen aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht geleistet werden könne, sind die Verfassungsbeschwerden unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität unzulässig.
Sind im Eilverfahren ergangene Entscheidungen Gegenstand der Verfassungsbeschwerde, verlangt zwar § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht ohne Weiteres, dass der Rechtsweg im Verfahren der Hauptsache erschöpft wird (vgl. BVerfGE 69, 315 ≪339 f.≫ m.w.N.). Der in dieser Norm zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität fordert aber, dass der Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus zunächst von allen ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten Gebrauch macht, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen. Das bedeutet, dass auch die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache geboten ist, wenn sich dort nach der Art des gerügten Grundrechtsverstoßes die Chance bietet, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen (vgl. BVerfGE 79, 275 ≪278 f.≫; 86, 15 ≪22 f.≫; 104, 65 ≪70≫). Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn und soweit mit der Verfassungsbeschwerde Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen (vgl. BVerfGE 86, 15 ≪22≫; 104, 65 ≪71≫). Mit dem Vorbringen, die §§ 6, 8 und 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV verstießen gegen Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG sowie gegen das Rechtsstaatsprinzip, erheben die Beschwerdeführerinnen vorliegend Rügen, die das Hauptsacheverfahren betreffen.
Die Beschwerdeführerinnen haben die somit gebotenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfe im Hauptsacheverfahren zwar ergriffen; der Rechtsweg ist aber nicht erschöpft, weil über die Klagen noch nicht entschieden wurde (vgl. auch BVerfGE 104, 65 ≪71≫). Allein der Umstand, dass diese Klagen seit zwei Jahren anhängig sind, rechtfertigt keine Ausnahme vom Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, da die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG nicht gegeben sind.
Ein Beschwerdeführer darf bei der Rüge von Grundrechtsverletzungen, die sich auf die Hauptsache beziehen, allerdings dann nicht auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden, wenn dies für ihn unzumutbar ist, etwa weil die Durchführung des Verfahrens von vornherein aussichtslos erscheinen muss, oder wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen und rechtlichen Klärung abhängt und diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen das Bundesverfassungsgericht gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG sofort entscheiden kann (vgl. BVerfGE 104, 65 ≪71≫ m.w.N.).
Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Die Beschwerdeführerinnen haben nicht dargelegt, dass die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens aussichtslos wäre. Vielmehr haben sie selber auf vergleichbare Hauptsacheverfahren verwiesen, die dazu geführt haben, dass die Verpackungsverordnung als nichtig angesehen wurde oder dass eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 234 EGV erfolgt ist.
Dass den Beschwerdeführerinnen schwere und unabwendbare Nachteile im Sinne von § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG entstünden, wenn ihnen zugemutet würde, auch über den 1. Januar 2003 hinaus die Entscheidung der Verwaltungsgerichte im Hauptsacheverfahren abzuwarten, ist von ihnen zwar behauptet, nicht aber schlüssig dargelegt worden. Die Verfassungsbeschwerden – insbesondere die der Beschwerdeführerin zu 1 – erwecken den unzutreffenden Eindruck, Einzelhändler – insbesondere mit kleiner Verkaufsfläche – seien mit Eintritt der Pfandpflichten gezwungen, entweder ihren Betrieb aufzugeben oder aber bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeiten zu begehen. Es fehlt an jeder substantiierten Darlegung, welche mit der neuen Rechtslage entstehenden Probleme unter welchen Bedingungen und zu welchen Kosten gelöst werden könnten. Die nahe liegende Alternative, die betroffenen Getränke nur noch in Mehrwegverpackungen anzubieten, wird mit keinem Wort erwähnt, geschweige denn in ihrer belastenden Wirkung dargestellt. Auch zu der Option, die Getränke – eventuell nur vorübergehend – vollständig aus dem Sortiment zu nehmen, was zwar belastend, aber doch weit leichter zu bewältigen wäre als eine Schließung des Ladengeschäfts, haben sich die Beschwerdeführerinnen nicht geäußert.
2. Soweit die Verfassungsbeschwerden eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG durch die Eilentscheidungen selbst rügen, bestehen gegen die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden unter dem Gesichtspunkt des noch nicht abgeschlossenen Hauptsacheverfahrens zwar keine Bedenken (vgl. BVerfGE 79, 275 ≪278 f.≫ m.w.N.). Doch verlangt § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG auch in Bezug auf Eilentscheidungen, dass der Beschwerdeführer die behaupteten Grundrechtsverletzungen im Instanzenzug geltend macht. Unter diesem Gesichtspunkt sind die Verfassungsbeschwerden zu 1 und 3, soweit sich die Beschwerdeführerinnen darin auf Art. 103 Abs. 1 GG berufen, und die Verfassungsbeschwerde zu 2, soweit diese auf Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG gestützt wird, unzulässig. Denn weder wird durch Vorlage der zum Oberverwaltungsgericht eingereichten Schriftsätze dargetan, dass dort die entsprechenden Grundrechtsrügen erhoben wurden, noch ergibt sich dies aus anderen Unterlagen, insbesondere den Beschlüssen des Oberverwaltungsgerichts.
3. Soweit die Verfassungsbeschwerden zulässig sind, sind sie unbegründet.
Da die ab 1. Januar 2003 nach Maßgabe der Verpackungsverordnung geltenden Pfandpflichten die Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführerinnen beschränken, stellt auch die Versagung von hiergegen gerichtetem einstweiligen Rechtsschutz einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG dar. Daraus folgt allerdings noch nicht, dass dieses Grundrecht verletzt wäre. Es ist Aufgabe der Fachgerichte, bei der Auslegung und Anwendung der einfach-gesetzlichen Vorschriften über die Gewährung einstweiligen Rechtschutzes die Grundrechte der Rechtschutzsuchenden angemessen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 79, 69 ≪74≫; stRspr). Ihre Entscheidungen können vom Bundesverfassungsgericht im Allgemeinen nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung über die Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪93≫; stRspr.). Dies ist namentlich dann anzunehmen, wenn das Gericht das zu berücksichtigende Grundrecht gänzlich unbeachtet gelassen hat (vgl. ferner BVerfGE 59, 231 ≪269≫; 77, 240 ≪255 f.≫). Einer Überprüfung an diesem Maßstab halten die angegriffenen Entscheidungen stand. Insbesondere hat das Oberverwaltungsgericht den durch die Pfandpflichten bewirkten Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit erkannt und in die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gebotene Folgenabwägung einbezogen. Es ist von den Beschwerdeführerinnen weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass es hierbei von einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung über die Bedeutung der Berufsfreiheit ausgegangen wäre.
4. Eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG durch die von der Beschwerdeführerin zu 1 angegriffenen Entscheidung kann nicht festgestellt werden. Dass die Einführung der Pfandpflicht notwendiger Weise zur Schließung ihres Gewerbebetriebs führe und daher unmittelbar in dessen Bestand eingreife, ist derart fern liegend, dass es zu dieser Annahme ausgesprochen stichhaltiger tatsächlicher Darlegung bedurft hätte, welche die Beschwerdeführerin zu 1 aber jedenfalls im Verfassungsbeschwerdeverfahren schuldig geblieben ist.
5. Auch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ist nicht verletzt. Diese Vorschrift verlangt dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 46, 166 ≪179≫; 79, 69 ≪74≫). Das Oberverwaltungsgericht hat in dem von der Beschwerdeführerin zu 1 angegriffenen Beschluss dargelegt, dass und warum die Nachteile, die dieser durch eine Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes drohen, nicht so schwer sind, dass sie das öffentliche Interesse an einer umgehenden Einführung der Pfandpflicht überwögen. Dass das Oberverwaltungsgericht hierbei die grundrechtliche Garantie eines effektiven Rechtsschutzes verletzt hätte, kann nicht festgestellt werden. Auf die unzureichenden Darlegungen der Beschwerdeführerin zu 1 hinsichtlich der ihr drohenden Nachteile ist bereits hingewiesen worden (vgl. oben II. 1.).
6. Die Verwaltungsgerichte haben die Beschwerdeführerinnen zu 1 und 2 auch nicht dadurch ihrem gesetzlichen Richter entzogen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), dass sie der Pflicht aus Art. 234 des EG-Vertrags zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht nachgekommen wären. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bietet nur Schutz gegen eine objektiv willkürliche Nichtbefolgung von Vorlagepflichten (vgl. BVerfGE 17, 99 ≪104≫; 75, 223 ≪245≫; 82, 159 ≪194 ff.≫). Das Oberverwaltungsgericht hat in den angegriffenen Entscheidungen nachvollziehbar und unter Berufung auf Rechtsprechung und Literatur dargelegt, warum eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof im hiesigen Verfahren nicht in Betracht kommt. Dabei hat es jedenfalls nicht willkürlich entschieden.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 1267219 |
NJW 2003, 418 |
NVwZ 2003, 187 |
NVwZ 2003, 342 |
DVBl. 2003, 265 |