Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfügungsurteil auf Unterlassung von Äußerungen
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 21.02.1996; Aktenzeichen 26 U 5562/95) |
LG Berlin (Urteil vom 17.07.1995; Aktenzeichen 61 O 61/95) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind Verfügungsurteile auf Unterlassung von Äußerungen.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist Mehrheitsaktionär und Vorstandsvorsitzender der G. AG. Gemeinsam mit einem Familienangehörigen war er darüber hinaus mittelbar Mehrheitsaktionär und Aufsichtsratsvorsitzender der K. AG in B. Der Kläger des Ausgangsverfahrens war, seit Ende 1992 gemeinsam mit einem weiteren Mitglied, Vorstand der K. AG. Diese geriet 1994 in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Zuvor hatten die Vorstandsmitglieder der AG den Beschwerdeführer bewogen, dem Unternehmen über eine von ihm beherrschte Gesellschaft ungesicherte Darlehen in Höhe von insgesamt 33,5 Mio. DM zu gewähren. In Anbetracht des wirtschaftlichen Scheiterns der AG erhob der Beschwerdeführer gegen die Vorstandsmitglieder den Vorwurf, ihn über die finanzielle Situation des Unternehmens nicht vollständig informiert zu haben.
Am 30. Januar 1995 widerrief der Aufsichtsrat der K. AG die Bestellung des Klägers zum Vorstand und kündigte dessen Dienstvertrag aus wichtigem Grund. Der neue Vorstand stellte am 27. Februar 1995 Konkursantrag. Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der K. AG erhob in einem an die Vertrauensleute und den Betriebsrat des B.-Werkes B. gerichteten Schreiben vom 6. Juni 1995 gegen den Beschwerdeführer verschiedene Anschuldigungen und bewirkte darüber hinaus entsprechende Pressemeldungen.
In einem Schreiben vom 16. Juni 1995 äußerte der Beschwerdeführer gegenüber den selben Adressaten daraufhin Folgendes:
In der Aufsichtsratssitzung der K. AG am 30.1.95 erkannte er (gemeint ist der Betriebsratsvorsitzende) das für den Konkurs allein ursächliche unverzeihliche Verhalten des ehemaligen Vorstands der K. AG, Herrn Dr. S. (des Klägers), mit dessen Manipulationen und stimmte konsequenterweise für die sofortige fristlose Abberufung des Vorstandsmitglieds.
Unter dem 19. Juni 1995 wandte der Beschwerdeführer sich in einem persönlichen Schreiben an den Betriebsratsvorsitzenden. In diesem hieß es unter anderem wie folgt:
… nachdem ich Sie im Januar d. J. über die Verfehlungen von Dr. S. unterrichtet hatte, spontan der sofortigen fristlosen Entlassung aus guten Gründen zugestimmt [habe] …
Aus allen diesen Gründen habe ich eine Strafanzeige gegen Herrn Dr. S. und gegen Sie ein Gerichtsverfahren wegen falscher Behauptungen veranlasst. … Ich behalte mir vor, Schadensersatz für den vor allen Dingen durch die Verleumdung in den Zeitungen erlittenen Schaden zu verlangen und erwarte von Ihnen, dass Sie endlich zur Wahrheit zurückkehren, die nur lauten kann, dass die Seilschaft an der Spitze vorsätzlich Betrug begangen hat.
2. Der Kläger verlangte mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung von dem Beschwerdeführer unter anderem, die Äußerungen zu unterlassen,
- dass ein vorwerfbares Verhalten des Klägers „mit dessen Manipulationen” allein oder maßgeblich ursächlich für den Konkurs der K. AG gewesen sei,
- dass er („als zur Seilschaft an der Spitze” der K. AG gehörend) vorsätzlich Betrug begangen habe.
Das Landgericht gab dem Verfügungsantrag nach mündlicher Verhandlung durch Urteil statt. Das Kammergericht wies die Berufung des Beschwerdeführers zurück.
3. Mit der fristgerecht eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist die Annahme zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Grundrechts erforderlich. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Sie ist unzulässig, weil der Grundsatz der materiellen Subsidiarität nicht beachtet worden ist.
1. Die angegriffenen Entscheidungen sind im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangen. Der in diesem Verfahren zulässige Rechtsweg ist erschöpft, da das Rechtsmittel der Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts gemäß § 545 Abs. 2 Satz 1 ZPO a.F. ausgeschlossen war. Dagegen spricht nicht, dass dem Beschwerdeführer nach Erlass des Berufungsurteils die Möglichkeit offen gestanden hätte, gemäß § 926 Abs. 1, § 936 ZPO einen Antrag auf Anordnung der Klageerhebung zu stellen, und dass er diesen Weg nicht eingeschlagen hat (vgl. BVerfGE 75, 318 ≪325≫).
2. a) Dennoch hat der Beschwerdeführer den Grundsatz der Subsidiarität missachtet, da er den Rechtsweg in der Hauptsache nicht beschritten hat, obwohl er mit dem Vorbringen, er sei in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt, eine Rüge erhebt, die das Hauptsacheverfahren betrifft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fordert der Grundsatz der Subsidiarität im materiellen Sinne über die formelle Erschöpfung des Rechtsweges hinaus, dass der Beschwerdeführer die ihm zur Verfügung stehenden weiteren Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder diese gar zu verhindern. Daher ist auch die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache geboten, wenn dort nach der Art des gerügten Grundrechtsverstoßes die Gelegenheit besteht, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen (vgl. BVerfGE 79, 275 ≪278 f.≫; 86, 15 ≪22 f.≫; stRspr, zuletzt Beschluss des Ersten Senats vom 9. Oktober 2001 – 1 BvR 622/01 –). Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn – wie vorliegend – mit der Verfassungsbeschwerde Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen (vgl. BVerfGE 86, 15 ≪22≫).
b) Die Voraussetzungen, unter denen vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung in der Hauptsache abgesehen werden könnte, liegen nicht vor.
Ein Beschwerdeführer darf bei der Rüge von Grundrechtsverletzungen, die sich auf die Hauptsache beziehen, dann nicht auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden, wenn dies für ihn unzumutbar ist, etwa weil die Durchführung des Verfahrens von vornherein aussichtslos erscheinen muss (vgl. BVerfGE 70, 180 ≪186≫; 86, 15 ≪22 f.≫), oder wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen und rechtlichen Klärung abhängt und diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen das Bundesverfassungsgericht gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG sofort entscheiden kann (vgl. BVerfGE 79, 275 ≪279≫; 86, 15 ≪22 f.≫).
Die Aussichtslosigkeit eines Hauptsacheverfahrens lässt sich nicht erkennen. Der Fall hat einen in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht komplexen Sachverhalt zur Grundlage. Die untersagten Äußerungen zu (a) und (b) werden in den angegriffenen Urteilen unter eingehender Darlegung des Meinungsbegriffs daraufhin untersucht, ob sie als Tatsachenäußerung oder als Meinung anzusehen sind. Sie stellen sich nach Auffassung des Kammergerichts, das sich hierbei mit dem Landgericht weitgehend in Einklang sieht, „zumindest als Mischform” dar, in der die Meinungsäußerung überwiegt. Im Einzelnen heißt es, zu (a) habe der Beschwerdeführer nur eine Meinungsäußerung abgegeben; jedenfalls wäre ein möglicher Tatsachenkern derart substanzlos, dass er bei der ganz im Vordergrund stehenden pauschalen Abwertung in den Hintergrund träte. Zu (b) handele es sich zumindest um eine Mischform, in deren Ergebnis die Meinungsäußerung überwiege; selbst wenn man jedoch im überwiegenden Maße eine Tatsachenbehauptung annähme, würde dies zu keiner für den Beschwerdeführer günstigeren Beurteilung führen, da „im jetzigen Vortragsstadium” keine zwingenden Anhaltspunkte dafür erkennbar seien, dass es sich bei dem erhobenen Betrugsvorwurf um erweislich wahre Tatsachenbehauptungen handele.
Das Kammergericht hat damit zumindest einzelne tatsächliche Anteile der streitigen Äußerungen in seine Erwägungen einbezogen, deren Wahrheitsgehalt unter Hinweis auf das „jetzige Vortragsstadium” aber letztlich offen gelassen. Damit hat das Kammergericht sich in einem zentralen Punkt bislang nicht festgelegt und insofern auch keine für das Bundesverfassungsgericht verwertbare Tatsachenbasis geschaffen. Auf Grund des Hinweises des Kammergerichts ist nicht hinreichend gesichert, dass der Sachverhalt von den Parteien schon vollständig vorgetragen worden war. Es liegt vielmehr nahe, dass das Kammergericht von seinem eigenen Rechtsstandpunkt aus durchaus eine Möglichkeit gesehen hat, im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung aller maßgeblichen Umstände (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪210 f.≫; 3. Kammer des Ersten Senats, NJW 1993, S. 1845) weiter gehenden Sachvortrag zu dieser Frage zu berücksichtigen. Eine Ergänzung, etwa auf Grund einer Auflage nach § 139 Abs. 1 ZPO a.F., kam in dem Eilverfahren nicht in Betracht. Auch ist auf Grund der Beschränkung der Beweismittel im Verfahren der einstweiligen Verfügung nach § 294 Abs. 2, § 920 Abs. 2, § 936 ZPO das Ausgangsverfahren für eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts seiner Natur nach weniger geeignet als das Hauptsacheverfahren.
Das Urteil des Landgerichts gibt über den Sachvortrag des Beschwerdeführers keinen weiteren Aufschluss, da die dort in Bezug genommenen Schriftsätze der Parteien sowie die Schutzschrift des Beschwerdeführers nicht vorliegen. Auch aus der Beschwerdebegründung ist nicht zu ersehen, welche Tatsachen seinerzeit insgesamt beigebracht worden sind.
Andere Gründe, aus denen die Durchführung des Hauptsacheverfahrens, das einem Verfügungsbeklagten auf dem Weg über § 926 ZPO offen steht, für den Beschwerdeführer unzumutbar ist, sind nicht ersichtlich.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen