Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Erstattung der notwendigen Auslagen und Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswerts
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Beschluss vom 06.04.2005; Aktenzeichen 11 ME 20/04) |
VG Braunschweig (Beschluss vom 18.12.2003; Aktenzeichen 5 B 486/03) |
Tenor
Das Land Niedersachsen hat der Beschwerdeführerin die ihr im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.
Gründe
Das Verfahren betrifft die sofortige Vollziehung einer Ordnungsverfügung, mit der der Beschwerdeführerin die Vermittlung gewerblicher Sportwetten untersagt wird.
I.
1. Die Beschwerdeführerin ist eine in Niedersachsen sowie verschiedenen anderen Bundesländern tätige Vermittlerin gewerblicher Sportwetten, die von der Sportwetten GmbH in Gera (Thüringen) unter Berufung auf eine im Jahre 1990 nach dem Gewerbegesetz der Deutschen Demokratischen Republik (im Folgenden: DDR-Gewerbegesetz) vom 6. März 1990 (GBl I S. 138) erteilte Erlaubnis angeboten werden.
Mit Ordnungsverfügung vom 10. Oktober 2003 untersagte die Bezirksregierung Braunschweig im Rahmen ihrer örtlichen Zuständigkeit der Beschwerdeführerin die Vermittlung von Sportwetten an die Sportwetten GmbH Gera sowie andere nicht aufgrund des Niedersächsischen Gesetzes über das Lotterie- und Wettwesen (im Folgenden: Niedersächsisches Lotteriegesetz – NLottG) vom 21. Juni 1997 (Nds. GVBl S. 289) in Niedersachsen zugelassene Anbieter und ordnete insoweit die sofortige Vollziehung an.
Den dagegen gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Dezember 2003 ab.
Das Oberverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde durch Beschluss vom 6. April 2005 zurück.
Die Untersagungsverfügung stelle sich als rechtmäßig dar. Die Beschwerdeführerin leiste jedenfalls strafbare Beihilfe zum unerlaubten Glücksspiel (§ 284 Abs. 1, § 27 StGB) und verstoße außerdem gegen § 16 NLottG. Da die der Sportwetten GmbH in Gera erteilte Erlaubnis jedenfalls in Niedersachsen nicht gelte, sei die Vermittlungstätigkeit der Beschwerdeführerin als Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit rechtmäßig untersagt worden und ein vorrangiges öffentliches Interesse an deren Vollziehung gegeben. Dies verstoße im Ergebnis auch nicht gegen das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 12 Abs. 1 GG. Von vornherein scheide dabei eine Verletzung der Berufsfreiheit durch § 284 StGB aus, da dieser selbst keine Festlegung treffe, ob und inwieweit eine Erlaubnis erteilt werden könne. Die Regelung des Niedersächsischen Lotteriegesetzes (§ 3 Abs. 2), die keine Konzessionserteilung an private Veranstalter von Sportwetten vorsehe, sondern eine zumindest mittelbare Beteiligung des Landes verlangten, seien entsprechend der Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 28. März 2001 (BVerwGE 114, 92) zur bayerischen Rechtslage als Einschränkung der Berufsfreiheit gerechtfertigt. Anlass zur gesetzgeberischen Überprüfung dieser vorrangig der Gefahrenabwehr dienenden landesrechtlichen Einschränkung bestünde auch angesichts der durchaus massiven und breit angelegten Werbung für die Beteiligung der Bevölkerung am zugelassenen Sportwettangebot ODDSET nicht. Die Kanalisierung des menschlichen Spieltriebs in ordnungspolitisch vertretbare Bahnen könne nur dann effektiv erreicht werden, wenn für das staatliche Wettangebot offensiv und in größerem Umfang geworben werde, um auf diese Weise ein Abwandern von Spielern zu illegalen beziehungsweise ausländischen Glücksspielangeboten zu verhindern. Selbst wenn man davon ausgehe, der Beschwerdeführerin werde durch das Niedersächsische Lotteriegesetz eine Erlaubnis in verfassungswidriger Weise vorenthalten, blieben die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten ohne behördliche Erlaubnis aber gemäß § 284 StGB unzulässig, ohne dass dadurch eine verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbare Situation entstünde.
2. Gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht eine mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde, mit der sie eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 19 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 sowie ferner Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 und Abs. 2 GG rügte.
Zur Begründung bezog sich die Beschwerdeführerin unter anderem auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in vergleichbaren Fällen (insbesondere auf den Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. April 2005 – 1 BvR 223/05 –), durch die die dort angegriffenen Entscheidungen wegen Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 GG aufgehoben worden waren. Das Oberverwaltungsgericht habe seine Auffassung, die im Ausgangsverfahren angegriffene Untersagungsverfügung sei rechtmäßig, mit Erwägungen begründet, die vor allem im Hinblick auf das zugrundegelegte – strafrechtliche – Verbot erheblichen Einwänden unterlägen und der Bedeutung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht genügten.
3. Mit Schreiben vom 24. Mai 2005 hat das nunmehr zuständige Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport die Anordnung der sofortigen Vollziehung der gegenüber der Beschwerdeführerin ergangenen Untersagungsverfügung aufgehoben und für den Fall der Rücknahme der Verfassungsbeschwerde die Erstattung der der Beschwerdeführerin entstandenen notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zugesagt.
Daraufhin hat die Beschwerdeführerin das Verfassungsbeschwerdeverfahren für erledigt erklärt. Im Hinblick auf diese prozessuale Erklärung und das durch sie zum Ausdruck gebrachte nicht mehr vorhandene Interesse an einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung wurde das Verfahren eingestellt.
II.
1. Die Beschwerdeführerin hat im Zusammenhang mit der erklärten Erledigung des Verfassungsbeschwerdeverfahrens beantragt, dem Land Niedersachsen die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Die Aufhebung der Vollziehungsanordnung sei im Hinblick auf den stattgebenden Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. April 2005 – 1 BvR 223/05 – erfolgt. Wegen des voraussichtlichen Erfolgs auch der vorliegenden Verfassungsbeschwerde sei eine Rücknahme, für deren Fall allein eine Kostenübernahme zugesagt worden sei, nicht in Betracht gekommen. Da das Ministerium für den Fall einer Erledigungserklärung keine Kostenzusage habe zusagen wollen, müsse nunmehr eine Kostenentscheidung durch das Bundesverfassungsgericht herbeigeführt werden.
2. Die Niedersächsische Landesregierung hat von einer Stellungnahme zum Antrag auf Anordnung der Auslagenerstattung abgesehen.
III.
1. Der Antrag der Beschwerdeführerin, dem Land Niedersachsen die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, ist sinngemäß als Antrag auf Anordnung der Auslagenerstattung aufgrund von Billigkeit gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG auszulegen. Neben der gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG obligatorisch vorgesehenen Erstattung der notwendigen Auslagen für den Fall, dass sich die Verfassungsbeschwerde als offensichtlich begründet erweist und ihr daher stattzugeben ist, sieht das Verfassungsprozessrecht in § 34a Abs. 3 BVerfGG im Übrigen die Anordnung einer – vollen oder teilweisen – Erstattung der Auslagen aufgrund von Billigkeit vor. Hinsichtlich der Anordnung einer Erstattung der Auslagen kommt es danach grundsätzlich allein darauf an, ob besondere Billigkeitsgründe vorliegen, die sich aus der besonderen Situation eines Beschwerdeführers und aus der materiellen Prozesslage ergeben können (vgl. Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl., 2005, § 34a Rn. 33 ff.). Dies ist etwa der Fall, wenn die angegriffene Entscheidung auf Erwägungen gestützt ist, die mit dem Grundgesetz unvereinbar sind und daher ein berechtigter Anlass zum Erheben der Verfassungsbeschwerde bestand (vgl. BVerfGE 81, 142 ≪156≫).
2. Die Anordnung der Erstattung der im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin entspricht der Billigkeit im Sinne von § 34a Abs. 3 BVerfGG. Die angegriffenen Entscheidungen waren bei ihrem Erlass mit dem Grundgesetz unvereinbar. Der Beschwerdeführerin durfte die Erhebung der auf einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG gestützten Verfassungsbeschwerde daher angezeigt erscheinen.
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts verkennt insbesondere im Hinblick auf die Beurteilung des vom Land Niedersachsen zugelassenen Sportwettangebots ODDSET die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die Art. 12 Abs. 1 GG an die rechtliche und tatsächliche Ausgestaltung eines staatlichen Sportwettmonopols stellt und deren Wahrung Voraussetzung für eine gerechtfertigte Untersagung sowohl der Veranstaltung als auch der Vermittlung gewerblicher Sportwetten durch private Wettunternehmen und Wettvermittler ist (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 28. März 2006 – 1 BvR 1054/01 –, BVerfGE 115, 276).
Die verfassungsgerichtlichen Aussagen im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 treffen dabei in gleicher Weise auf die Rechtslage in Niedersachsen zu. Auch das Niedersächsische Lotteriegesetz kennt keine Regelungen, die gemäß den verfassungsrechtlichen Anforderungen eine konsequente Ausrichtung des staatlich verantworteten Sportwettangebots am Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und Bekämpfung der Wettsucht gewährleisten. Dieses (Regelungs-)Defizit wird auch nicht durch die Regelungen des Staatsvertrags zum Lotteriewesen in Deutschland (vgl. Nds. GVBl 2004, S. 165) aufgefangen, von deren unmittelbarer Geltung aufgrund von Art. 3 des Gesetzes zu dem Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland, zu dem Staatsvertrag über die Regionalisierung von Teilen der von den Unternehmen des Deutschen Lotto- und Totoblocks erzielten Einnahmen und zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über das Lotterie- und Wettwesen vom 4. Juni 2004 (Nds. GVBl S. 163) auszugehen ist. Auch das staatliche Sportwettmonopol in Niedersachsen ist danach in seiner bisherigen Ausgestaltung als verfassungswidrig anzusehen und der mit ihm einhergehende Ausschluss anderer als der von einem nach dem Niedersächsischen Lotteriegesetz zugelassenen Veranstalter angebotener Sportwetten daher grundsätzlich nicht gerechtfertigt.
3. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG.
Unterschriften
Bryde, Eichberger, Schluckebier
Fundstellen