Verfahrensgang
AG München (Entscheidung vom 06.07.2005; Aktenzeichen 1506 IN 2348/03) |
Tenor
Die Vorlage ist unzulässig.
Gründe
Gegenstand der Vorlage ist die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften der Insolvenzordnung (InsO) über die Restschuldbefreiung.
I.
1. Auf Antrag des Schuldners wurde ein Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet. Er beantragte Restschuldbefreiung; die Verfahrenskosten wurden ihm gestundet. Im Schlusstermin stellte kein Gläubiger einen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung. Eine an die Gläubiger zu verteilende Masse wurde nicht erwirtschaftet.
2. a) Das vorlegende Amtsgericht, das über die Ankündigung der Restschuldbefreiung gemäß § 291 Abs. 1 InsO zu befinden hat, hält diese Vorschrift sowie die gesamte Regelung der Restschuldbefreiung für verfassungswidrig. Es hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die Bestimmungen über die Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO) mit Art. 14 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG vereinbar sind. Das Bundesverfassungsgericht solle auch die Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG prüfen.
Durch das Restschuldbefreiungsverfahren sei das sorgfältig durchdachte und in sich stimmige System des Gläubigerschutzes durch materielle und prozessuale Zivilrechtsnormen durchbrochen worden; es lasse die gebotene Ausgewogenheit vermissen. Die Bestimmungen des Restschuldbefreiungsverfahrens, die für alle Zahlungsunfähigen die Titelverjährungsfrist außer Kraft setzen und dem Schuldner bereits während des laufenden Verfahrens Teile des pfändbaren Einkommens und Vermögens beließen, stünden in eklatantem Widerspruch zu bisherigen gesetzgeberischen Vollstreckungsregelungen. Bereits an die Ankündigung der Restschuldbefreiung würden erhebliche Rechtsfolgen geknüpft, weil in der Vergangenheit liegendes Verhalten des Schuldners für die endgültige Erteilung der Restschuldbefreiung am Ende der Wohlverhaltensphase regelmäßig keine Rolle mehr spiele. Die Prüfung der in § 290 InsO bestimmten Redlichkeit sei endgültig abgeschlossen. In der Wohlverhaltensphase seien dem Schuldner nur Pflichten auferlegt, deren Einhaltung von einem redlichen Schuldner ohnehin erwartet werden dürfe. Die Überwachung der Einhaltung dieser Obliegenheiten durch den Treuhänder erfolge nur gegen Kostenvorschuss, weshalb sie letztlich nicht stattfinde. Denn die Gläubiger scheuten diese zusätzlichen Kosten. In der Gesamtschau betrachtet werde den Gläubigern bereits mit der Ankündigung die Durchsetzbarkeit ihrer Forderungen entzogen. Außerdem verlören die im Vermögensverzeichnis nicht aufgeführten Gläubiger die Möglichkeit, sich am Verfahren zu beteiligen, um den Verlust ihrer Forderungen zu verhindern.
b) Daneben lehnt der Amtsrichter alle noch nicht ausgeschiedenen Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts als befangen ab, die an dem Beschluss des Ersten Senats vom 7. Juli 2004 (1 BvL 3/04) über die Unzulässigkeit der vorausgegangenen Vorlage desselben Gerichts zur Restschuldbefreiung mitgewirkt haben. Der Senat habe wesentliches Vorbringen nicht berücksichtigt. Die abgelehnten Richterinnen und Richter hätten seine Vorlage vom 9. Juni 2004 nur überflogen und in weiten Teilen nicht verstanden.
II.
Die Ablehnung der genannten Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit ist schon deshalb unbeachtlich, weil dem vorlegenden Richter im Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG kein Ablehnungsrecht zusteht. Das objektive Normprüfungsverfahren ist nicht dazu bestimmt, individuelle Rechte durchzusetzen und kennt keine Prozessbeteiligten. Mangels Prozessbeteiligter ist kein Raum für einen Ablehnungsantrag. Ein solcher ist nach der hergebrachten und allgemeinen verfahrensrechtlichen Regelung des § 19 Abs. 1 BVerfGG regelmäßig Voraussetzung für eine Entscheidung des Gerichts über die Besorgnis der Befangenheit eines Richters (vgl. BVerfGE 42, 90 ≪91≫; 46, 34 ≪36≫; 72, 51 ≪59≫). Im Übrigen wären die erhobenen Vorwürfe vorliegend offenkundig missbräuchlich. Über das Ablehnungsgesuch wäre daher – selbst beim Vorliegen eines Antragsrechts – nicht förmlich zu entscheiden und eine dienstliche Äußerung der beteiligten Richterinnen und Richter nicht notwendig (vgl. BVerfGE 11, 1 ≪3≫; 11, 343 ≪348≫; 72, 51 ≪59≫).
III.
Die Vorlage ist unzulässig.
1. Gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht ausführen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Rechtsvorschriften abhängt. Es kann eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit gesetzlicher Vorschriften nur einholen, wenn es zuvor sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschriften als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat (vgl. BVerfGE 86, 71 ≪76≫). Es muss im Vorlagebeschluss seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm näher darlegen und deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellten Regelungen seiner Ansicht nach nicht vereinbar sind (vgl. BVerfGE 80, 182 ≪185≫). Die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab nicht nur benennen, sondern auch die für die Überzeugung des Gerichts maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar darlegen. Rechtsprechung und Schrifttum sind in die Argumentation einzubeziehen (vgl. BVerfGE 88, 198 ≪201≫; 89, 329 ≪336 f.≫).
Diesen Anforderungen genügt die Vorlage nicht.
2. Das vorlegende Gericht hat zwar die Entscheidungserheblichkeit der Ankündigungsvorschriften (§§ 286 bis 291 InsO) hinreichend dargelegt (a), die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit dieser Normen aber nicht in einer dem verfassungsrechtlichen Begründungsmaßstab des Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügenden Weise dargestellt (b). Soweit weitere Normen des Restschuldbefreiungsverfahrens (§§ 292 bis 302 InsO) zur Überprüfung gestellt werden, steht der Zulässigkeit der Vorlage die mangelnde Entscheidungserheblichkeit dieser Vorschriften entgegen. Für diese Bestimmungen fehlt es an einer unmittelbar zur Entscheidung stehenden Vorlagefrage (c).
a) Der Ankündigungsbeschluss ist eine vorlagefähige Zwischenentscheidung (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 2004, S. 1233). Auf die Gültigkeit von – vom vorlegenden Gericht für verfassungswidrig erachteten – § 287 Abs. 2, §§ 290, 291 Abs. 2 InsO kommt es bei der zu treffenden Entscheidung über die Ankündigung der Restschuldbefreiung an.
b) Gleichwohl ist die Vorlage unzulässig. Hält ein Gericht ein Gesetz für unvereinbar mit Art. 14 Abs. 1 GG, muss die Begründung des Vorlagebeschlusses mit hinreichender Deutlichkeit ergeben, warum Art. 14 GG den Prüfungsmaßstab darstellt und die beanstandeten Normen nach Auffassung des vorlegenden Gerichts als ein die Eigentumsgarantie verletzendes Gesetz zu qualifizieren sind. Hieran fehlt es.
aa) Schuldrechtliche Forderungen können zum Kreis der Eigentumsrechte im Sinne des Art 14 Abs. 1 GG zählen (vgl. BVerfGE 68, 193 ≪222≫ m.w.N.). Dabei beeinflusst die Gewährleistung des Eigentums nicht nur die Ausgestaltung des materiellen Rechts, sondern wirkt zugleich auf das zugehörige Verfahrensrecht ein (vgl. BVerfGE 51, 150 ≪156≫). Eine Beschränkung oder erhebliche Erschwerung der Durchsetzbarkeit einer Forderung kann daher ein Eingriff in das Eigentum des Gläubigers sein (vgl. BVerfGE 83, 201 ≪211 f.≫). Der Gesetzgeber muss auch im Verfahrensrecht die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Dem entspricht die Bindung des Gesetzgebers an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 79, 174 ≪198≫).
Die Gewährleistung nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG bedeutet aber nicht die Unveränderbarkeit einer Rechtsposition für alle Zeiten; sie besagt auch nicht, dass jede inhaltliche Veränderung einer geschützten Rechtsstellung unzulässig wäre. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gibt dem Gesetzgeber vielmehr auch das Recht, in bereits begründete Rechte einzugreifen. Der Gesetzgeber kann bei der Reform eines Rechtsgebiets im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG bestehende Rechte inhaltlich umformen und unter Aufrechterhaltung des bisherigen Zuordnungsverhältnisses neue Befugnisse und Pflichten festlegen (vgl. BVerfGE 31, 275 ≪285≫).
bb) Demgegenüber will das vorlegende Gericht die Verfassungswidrigkeit der Normen über die Restschuldbefreiung lediglich aus einer Gegenüberstellung einerseits der für alle Schuldner geltenden Haftungsgrundsätze und andererseits der für die Restschuldbefreiung geschaffenen besonderen Regelungen herleiten. Es ist der Ansicht, dem Gesetzgeber sei ein “grober logischer Fehler” unterlaufen. Entgegen der in § 1 Satz 2 InsO geforderten “Redlichkeit” erlaube § 290 Abs. 1 InsO, dass auch zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilte Kriminelle – wie Betrüger – Restschuldbefreiung erlangen könnten. Weil die Gläubiger zur Glaubhaftmachung verpflichtet seien (§ 290 Abs. 2 InsO) und eine Überwachung der Schuldnerobliegenheiten vom Treuhänder nur gegen eine von den Gläubigern zu leistende Vergütung erfolge (§ 292 Abs. 2 InsO), könnten praktisch auch Schuldner, die gegen Obliegenheitspflichten verstießen, Restschuldbefreiung erlangen. Das vorlegende Gericht argumentiert, die für die Restschuldbefreiung erforderliche “Redlichkeit” bilde keine Rechtfertigung, diese Schuldner nicht ebenfalls 30 Jahre lang mit ihrem gesamten pfändungsfreien Einkommen und Vermögen haften zu lassen. Die Restschuldbefreiung bringe die schutzwürdigen Interessen aller Beteiligten nicht in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis.
cc) Hiernach hat sich das vorlegende Gericht nicht in einer den Anforderungen einer Richtervorlage genügenden Weise damit auseinander gesetzt, ob die Insolvenzordnung dem Mindeststandard des Art. 14 Abs. 1 GG entspricht. Es hat sich vielmehr damit begnügt, einen in der Praxis angeblich festzustellenden Missstand aufzuzeigen. Die richterlichen Überlegungen, die in der Insolvenzordnung vorgesehene Restschuldbefreiung weiche erheblich vom Grundsatz des 30-jährigen Nachforderungsrechts ab, ist zwar im Ausgangspunkt zutreffend, erfasst aber nicht vollständig die verfassungsrechtliche Problematik.
(1) Der Gesetzgeber hat bei der Bestimmung des Inhalts des Eigentums konkurrierende Grundrechtspositionen in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen und besitzt hierbei eine weite Gestaltungsfreiheit (vgl. BVerfGE 81, 242 ≪255≫). Ob der Gesetzgeber die Grenzen seines Gestaltungsspielraums überschritten hat, beurteilt sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 58, 137 ≪148≫). Das Gericht hätte deshalb, um eine Verletzung von Art. 14 GG darzulegen, im Einzelnen erörtern müssen, warum es die Beteiligungsrechte der Gläubiger im Ankündigungsverfahren im Vergleich zum sonstigen Vollstreckungsrecht als “leere Hülsen” ohne Bestand und Wert ansieht. Es wäre zu prüfen und darzulegen gewesen, ob und warum bereits den Regelungen, die der Ankündigung der Restschuldbefreiung zugrunde liegen, die Interessenausgewogenheit fehlen soll.
Insbesondere hätte das Gericht ausführen müssen, inwieweit die neuen Regelungen für die Gläubiger unzumutbar sein sollen. In diesem Zusammenhang fehlt jede Äußerung dazu, inwieweit das eigene Verhalten der Gläubiger, wie zum Beispiel deren Verzicht auf die Wahrnehmung ihrer prozessualen Rechte zur Verteidigung ihres Eigentums, Auswirkungen auf die verfassungsrechtliche Prüfung hat. Verfassungsrechtliche Grundsätze sind nämlich nicht berührt, wenn allein wirtschaftliche Überlegungen der Gläubiger dazu führen, dass sie sich nicht weiter um die Erfüllung ihrer Forderungen bemühen, obwohl sie aber nach der Gesetzeslage dazu durchaus die Möglichkeit hätten. Es ist grundsätzlich Sache der Forderungsinhaber abzuwägen, welchen Wert sie ihren Ansprüchen zumessen und mit welchem Aufwand sie versuchen, diese durchzusetzen. Wie bereits zu einer früheren Vorlage desselben Gerichts ausgeführt, gilt es bei jedem Prozess um die Titulierung von Ansprüchen und bei jedem Vollstreckungsauftrag abzuwägen, ob das Kostenrisiko nicht gegen die Durchsetzung spricht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 2004, S. 1233).
Das vorlegende Gericht ist zudem nicht darauf eingegangen, dass Gläubiger bereits bei Vertragsabschluss für eine Absicherung sorgen können und sich das Risiko der mangelnden Durchsetzbarkeit ihrer Forderung damit teilweise auf ihr eigenes, aus der Vertragsautonomie folgendes Verhalten zurückführen lässt.
Schließlich erörtert das Gericht – trotz ausdrücklicher Erwähnung auch dieses Gesichtspunkts im Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats (a.a.O.) – nicht, in welcher Weise es selbst etwaige Gläubigernachteile, etwa durch gestärkte Auskunfts- oder Beteiligungsrechte vermeiden oder zumindest abschwächen kann. Hierfür bietet sich die Auswahl und Überwachung des Insolvenzverwalters und/oder Treuhänders sowie die Anhörung der Insolvenzgläubiger und des Insolvenzverwalters im Schlusstermin an.
(2) Auch zu der Kernfrage, ob es mit Art. 14 GG vereinbar ist, dass die Insolvenzordnung mit der Restschuldbefreiung für natürliche Personen das unbegrenzte Nachforderungsrecht des § 164 Abs. 1 der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Konkursordnung (KO) aufgibt, fehlt der Vorlage ein verfassungsrechtlicher Prüfungsansatz (vgl. dazu Meier, KKZ 2005, S. 41 ff.).
In der von allgemeinen rechtspolitischen Erwägungen geleiteten Vorlage erfolgt keine Auseinandersetzung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 14 GG, wonach in erster Linie der sozial Schwache um seiner Freiheit willen des Schutzes bedarf (vgl. BVerfGE 42, 64 ≪77≫). Ebenso geht das vorlegende Gericht an keiner Stelle inhaltlich auf das zugunsten der Schuldner wirkende Sozialstaatsgebot ein. Es stellt lediglich die Behauptung auf, der verminderte Schutz von Forderungen könne nicht aus Art. 20 Abs. 1 GG hergeleitet werden, da die Gründe der Verschuldung nicht geprüft würden. Das vorlegende Gericht verkennt dabei jedoch die Reichweite dieses Grundprinzips des Grundgesetzes. Die Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips obliegt dem Gesetzgeber, der hierbei einen weiten Gestaltungsspielraum hat (vgl. BVerfGE 59, 231 ≪263≫) und auch die Vertragsfreiheit bestimmen und begrenzen kann (vgl. BVerfGE 8, 274 ≪329≫; 21, 87 ≪91≫).
Die Vorlage setzt sich ferner nicht mit den im Gesetzgebungsverfahren oder in der Literatur genannten Erwägungen auseinander. Sie nennt nur das Ergebnis der (ganz überwiegenden) Literaturmeinung, wonach die Restschuldbefreiung verfassungskonform sei. Hingegen wird in der Begründung der Vorlage nicht berücksichtigt, dass das unbegrenzte Nachforderungsrecht des § 164 Abs. 1 KO nur “de iure” gegenüber allen Gemeinschuldnern bestand. Bei juristischen Personen führte das Konkursverfahren zur Auflösung und in der Regel Löschung der Gesellschaft im Handelsregister. Damit wurde – auch bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit wie der offenen Handelsgesellschaft und der Kommanditgesellschaft, wenn kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist – dem Nachforderungsrecht die Grundlage entzogen. Das “de facto” nur bei natürlichen Personen bestehende unbegrenzte Nachforderungsrecht hatte einen wirtschaftlich sehr geringen Wert von regelmäßig nur wenigen Prozent des Nominalwertes. Für den ehemaligen Gemeinschuldner bedeutete das Nachforderungsrecht der Gläubiger jedoch ein wesentliches Hindernis für einen wirtschaftlichen Neubeginn. Im Zusammenhang mit diesen Erwägungen heißt es in der Begründung des Regierungsentwurfs zur Insolvenzordnung ausdrücklich, dass die Restschuldbefreiung “… die Interessen der Gläubiger in gleicher Weise berücksichtigt wie die Interessen des Schuldners. … Gleichzeitig werden die Chancen der Insolvenzgläubiger, vom Schuldner tatsächlich Befriedigung zu erlangen, durch diese Regelung erhöht, da der Schuldner zu einem redlichen und gläubigerfreundlichen Verhalten vor, während und nach dem Insolvenzverfahren motiviert wird” (BRDrucks 1/92, S. 71 ff. ≪187 f.≫). Hierzu wird in der Literatur ausgeführt, die Fortschreibung der bisherigen Tendenz der Humanisierung des Vollstreckungsrechts durch Einführung einer Beschränkung der Haftung natürlicher Personen stehe nicht außer Verhältnis zu dem Interesse der Gläubiger an einer effektiven Vollstreckung, weil die Gläubiger wirtschaftlich nicht schlechter als vor der neuen Regelung gestellt seien (vgl. Wenzel, in: Kübler/Prütting, Kommentar zur Insolvenzordnung, Stand: Mai 2005, § 286 Rn. 56 und 68 m.w.N.).
c) Hinsichtlich der weiteren von der Vorlage umfassten Normen über die Wohlverhaltensphase und die endgültige Restschuldbefreiung fehlt es an der Zulässigkeitsvoraussetzung der Entscheidungserheblichkeit. Diese Vorschriften können erst in einem späteren verfahrensrechtlichen Abschnitt relevant werden; im aktuellen Stadium des der Vorlage zugrunde liegenden Verfahrens hat das vorlegende Gericht nur über die Ankündigung der Restschuldbefreiung zu entscheiden.
Nach dem Normzweck von Art. 100 Abs. 1 GG ist bei der Erheblichkeitsprüfung ein strenger Maßstab anzulegen; das richterliche Prüfungsrecht ist auf die konkret anstehende Entscheidung beschränkt und nicht zum Zweck einer abstrakten Normprüfung geschaffen worden (vgl. BVerfGE 6, 222 ≪231≫). Soweit das Gericht abstrakt und ohne konkreten Fallbezug vorbringt, der zulässige Einbehalt des Schuldners von Teilen seines pfändbaren Einkommens oder Vermögens während der verkürzten Wohlverhaltensperiode unter Berücksichtigung der erhöhten Pfändungsfreigrenzen sowie der geringen Kontrollrechte der Gläubiger während dieser Zeit führe zu einer gegen Art. 14 Abs. 1 GG verstoßenden Besserstellung des Schuldners und Vernachlässigung der Gläubigerinteressen, kann dies im Rahmen der Richtervorlage keine Berücksichtigung finden. Ebenso ist die in der Vorlage mit Blick auf Art. 103 Abs. 1 GG problematisierte Möglichkeit, dass ein im Vermögensverzeichnis nicht aufgeführter Gläubiger seine Forderung aufgrund erteilter Restschuldbefreiung nicht mehr durchsetzen kann, im konkreten Vorlageverfahren nicht entscheidungserheblich, weil für eine solche Fallgestaltung keinerlei Anhaltspunkte dargelegt werden. Für die anstehende Entscheidung über die Ankündigung der Restschuldbefreiung kann noch nicht einmal sicher festgestellt werden, dass die Gläubiger im weiteren Verfahrensablauf tatsächlich Einbußen hinzunehmen haben. Insoweit handelt es sich um eine rein spekulative Annahme, die nicht Grundlage einer zulässigen Richtervorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG sein kann.
3. Die Mängel des Vorlagebeschlusses lassen selbst bei großzügiger Handhabung des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG eine Beantwortung der Vorlagefrage nicht zu. Mit der Aussetzung und Vorlage nach Art. 100 GG verweigert der Instanzrichter zunächst eine Entscheidung zur Sache, obwohl der verfassungsrechtliche Justizgewährungsanspruch vom Richter fordert, dass er Verzögerungen vermeidet (vgl. BVerfGE 86, 71 ≪76 f.≫). Der Instanzrichter verkennt seine Funktion, wenn er nach Wegen zur Anrufung des Bundesverfassungsgerichts statt nach solchen zur Sach- und Endentscheidung sucht (vgl. BVerfGE 78, 165 ≪178≫ m.w.N.).
Unterschriften
Papier, Steiner, Gaier
Fundstellen