Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Erstattung der Auslagen
Beteiligte
Rechtsanwalt Torsten Petereit |
Tenor
Das Land Berlin hat der Beschwerdeführerin deren notwendige Auslagen in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde zur Hälfte zu erstatten.
Im Übrigen wird der Antrag auf Auslagen erstattung abgelehnt.
Gründe
Gegenstand des Verfahrens ist nunmehr noch die Frage, ob der Beschwerdeführerin die durch ihre für erledigt erklärte Verfassungsbeschwerde entstandenen Auslagen zu erstatten sind.
I.
Für die Beschwerdeführerin waren mit Bescheid vom 16. Januar 1987 Einkünfte aus Gewerbebetrieb für die Jahre 1979 bis 1983 festgesetzt worden. Ihr Einspruch wurde mit Entscheidung vom 17. Mai 1991 als unbegründet zurückgewiesen. Mit der im Juni 1991 bei dem Finanzgericht Berlin erhobenen Klage begehrte die Beschwerdeführerin Aufhebung der Einspruchsentscheidung und des Feststellungsbescheides, soweit sich diese auf die Feststellung der Einkünfte für das Jahr 1983 bezogen und machte geltend, anstelle der festgestellten Gewinne aus Gewerbebetrieb seien Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung festzustellen. Die Rückwirkungsregelung des § 52 Abs. 18 EStG (§ 52 Abs. 20b EStG i.d.F. des EStG 1986) und § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG seien wegen Verfassungswidrigkeit nicht anzuwenden. Daher habe das Finanzgericht eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG einzuholen.
Im November 1999 erhob die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde und beantragte, über die Verfassungsmäßigkeit der oben genannten Vorschrift zu entscheiden, hilfsweise das Finanzgericht zu verpflichten, nunmehr unverzüglich über die anhängige Klage der Beschwerdeführerin zu entscheiden.
Nachdem das Finanzgericht Berlin am 21. Januar 2000 eine mündliche Verhandlung durchgeführt hatte, erklärte die Beschwerdeführerin die Verfassungsbeschwerde für erledigt und beantragte, die Erstattung der notwendigen Auslagen anzuordnen.
II.
1. Über die Erstattung der der Beschwerdeführerin durch die Verfassungsbeschwerde entstandenen Auslagen hat gemäß § 93d Abs. 2 Satz 1 BVerfGG die Kammer zu entscheiden. Der Maßstab für diese Entscheidung ergibt sich aus § 34a Abs. 3 BVerfGG (vgl. BVerfGE 85, 109 ≪114≫). Danach ist über die Erstattung der Auslagen der Beschwerdeführerin nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden. Dabei kommt insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zu (vgl. BVerfGE 85, 109 ≪114 f.≫; 87, 394 ≪397≫). Maßgeblich kann etwa sein, ob die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt beseitigt, ob eine Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde unterstellt werden kann oder ob die verfassungsrechtliche Lage – etwa durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einem gleichliegen den Fall – bereits geklärt ist (vgl. BVerfGE 85, 109 ≪115 f.≫). Eine überschlägige Beurteilung der Sach- und Rechtslage findet im Auslagenerstattungs-Verfahren regelmäßig nicht statt (vgl. BVerfGE 33, 247 ≪264 f.≫; 85, 109 ≪115≫; 87, 394 ≪398≫).
2. Nach diesen Grundsätzen ist es im vorliegenden Fall billig, eine hälftige Auslagenerstattung anzuordnen. Entscheidend dafür ist Folgendes:
a) Die Verfassungsbeschwerde war unzulässig, soweit die Beschwerdeführerin eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Frage begehrte, ob § 52 Abs. 20b Sätze 1 und 2 EStG verfassungsgemäß ist. Insoweit ist der Rechtsweg nicht erschöpft (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Das Gebot der Rechtswegerschöpfung dient dazu, dem Bundesverfassungsgericht vor seiner Entscheidung auch die Fallanschauung der Fachgerichte, insbesondere der obersten Gerichtshöfe des Bundes, zu vermitteln (vgl. BVerfGE 72, 39 ≪43≫ m.w.N.). Lediglich in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen, wenn nämlich der mit dem Grundsatz der Subsidiarität verfolgte Zweck, eine fachgerichtliche Klärung der Sach- und Rechtslage herbeizuführen, bereits erreicht ist (vgl. dazu grundlegend BVerfGE 9, 3 ≪7 f.≫; 78, 155 ≪160≫), kann eine solche Verfassungsbeschwerde zulässig sein. Im vorliegenden Fall jedoch fehlt es an einer solchen gefestigten jüngeren und einheitlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung bezogen auf die konkrete Rechtsfrage. Nicht ersichtlich ist auch, dass der Beschwerdeführerin ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstanden wäre, wenn sie zunächst auf den Rechtsweg verwiesen worden wäre.
b) Soweit die Beschwerdeführerin mit der Verfassungsbeschwerde zugleich das Unterlassen einer Entscheidung durch das Finanzgericht und die lange Verfahrensdauer gerügt hat, hätte die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg gehabt. Das Unterlassen einer gerichtlichen Entscheidung über die von der Beschwerdeführerin erhobene Klage während eines Zeitraums von mehr als neun Jahren berührt den Schutzbereich von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Danach hat die Beschwerdeführerin ein Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz. Wirksamer Rechtsschutz bedeutet zumal auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (BVerfGE 55, 349 ≪369≫). Zwar kann nicht außer Betracht bleiben, inwieweit der Einzelne etwa durch Wahrnehmung prozessualer Rechte, durch zögerliches Betreiben seiner Rechtssache oder in anderer Weise die Verfahrensdauer mitzuverantworten hat. Es ist aber im vorliegenden Fall nichts dafür ersichtlich, dass der Rechtsstreit eine solch lange Verfahrensdauer gerechtfertigt hätte oder dass die Beschwerdeführerin insoweit eine Mitverantwortung trifft.
Sie hat mit einer ausführlichen Klagebegründung und weiteren Schriftsätzen die ihrer Ansicht nach bestehende Verfassungswidrigkeit der Vorschrift wegen echter Rückwirkung dargelegt. Das Finanzgericht Berlin hat dem Begehren der Beschwerdeführerin auch Rechnung getragen und der Beschwer abgeholfen, indem es nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde im November 1999 einen Termin zur mündlichen Verhandlung für Januar 2000 anberaumt hat.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Sommer, Broß, Osterloh
Fundstellen
Haufe-Index 565330 |
NJW 2001, 216 |
NVwZ 2001, 193 |
www.judicialis.de 2000 |