Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 23.08.2001; Aktenzeichen 3 U 3926/01) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen ein zivilgerichtliches Berufungsurteil in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
I.
1. In Zusammenhang mit einem Grundstücksverkauf der Stadt Neuötting an die Beschwerdeführerin im September 2000 verfasste der Antragsgegner zu 2 des Ausgangsverfahrens, der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Neuötting-Alzgern, des Antragsgegners zu 1, im April 2001 einen an den Bürgermeister von Neuötting gerichteten “offenen Brief”, den er in den Briefkasten des Rathauses einwarf und am selben Tag an die Redaktionen eines lokalen Radiosenders sowie zweier Lokalzeitungen übersandte. In dem Brief wurde im Namen der SPD Neuötting-Alzgern darum gebeten, zu den Vorgängen beim Verkauf des Grundstückes Stellung zu nehmen, da sich in der Bevölkerung die Stimmen mehrten, dass es hierbei “nicht ganz ordnungsgemäß zugegangen” sei und dass “die veräußerten Grundstücksteile an die Firma NEUGA weit unter dem tatsächlich zu erzielenden Wert verkauft wurden”. Es sei “nicht ganz verständlich, warum ein ‘Filetstück’ zu Preisen verkauft wird, zu denen es einem privaten Neuöttinger Bauherrn unmöglich ist, ein Baugrundstück zu erwerben”. Es bestehe auch insofern Erklärungsbedarf, als bekannt geworden sei, “dass andere, mögliche Kaufinteressenten bis nach dem Vertragsschluss mit NEUGA mit Terminen vertröstet wurden, bis keine Kaufmöglichkeit mehr bestand”. “Völlig haltlos – aber auch in die Diskussion geraten –” sei der “Zusammenhang zwischen dem sensationell hohen und schnellen Spendensammelergebnis, das der ehemalige CSU-Kassier Bernhard Neumeier nach der Landratswahl erzielte und die zeitliche Nähe zu dem Vertragsabschluss zwischen der Stadt Neuötting und der NEUGA”. Dieser offene Brief fand in der Folgezeit ein erhebliches Echo in den lokalen Medien.
2. Die Beschwerdeführerin beantragte im Wege der einstweiligen Verfügung, es den Antragsgegnern zu untersagen, die angegriffenen Behauptungen aus dem Brief weiter aufstellen zu dürfen.
Das Landgericht Traunstein verurteilte die Antragsgegner antragsgemäß. Bei den Äußerungen handele es sich um unzulässige unwahre Tatsachenbehauptungen, da die Antragsgegner der sie treffenden Darlegungslast bezüglich der tatsächlichen Existenz der Gerüchte nicht hätten genügen können.
3. Auf die Berufung der Antragsgegner hin hob das Oberlandesgericht München durch das angegriffene Urteil das Urteil des Landgerichts auf, da dieses die Meinungsfreiheit der Verfügungsbeklagten verletze. Das Landgericht habe den Einfluss des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verkannt, indem es unter anderen objektiv möglichen Deutungen sich für die zur Verurteilung führende entschieden habe, ohne die anderen unter Angabe überzeugender Gründe auszuschließen. Die Klägerin habe zudem den Beweis dafür, dass die Beklagten, um einen propagandistischen Aufhänger zu konstruieren, die “Stimmen der Öffentlichkeit” lediglich inszeniert hätten, nicht führen können. Unter Abwägung aller Umstände, insbesondere des Umstandes, dass die ehrkränkende Absicht nicht habe nachgewiesen werden können, müsse das Persönlichkeitsrecht der Verfügungsklägerin hinter der Meinungsfreiheit der Verfügungsbeklagten zurücktreten.
Ein Hauptsacheverfahren fand nicht statt.
4. Mit ihrer fristgemäß erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG sowie der Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Dass bereits vor der Veröffentlichung des Briefes in der Öffentlichkeit derartige Gerüchte kursiert hätten, sei eine unwahre Tatsachenbehauptung.
II.
Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten grundrechtsgleichen Rechte angezeigt, da die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat. Sie ist unzulässig, weil der Grundsatz der materiellen Subsidiarität nicht beachtet worden ist.
1. Die angegriffene Entscheidung ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangen. Der in diesem Verfahren zulässige Rechtsweg ist erschöpft, da das Rechtsmittel der Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts gemäß § 545 Abs. 2 Satz 1 ZPO in der damals geltenden Fassung ausgeschlossen war.
2. Die Beschwerdeführerin hat aber den in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Subsidiarität missachtet. Diesem Grundsatz zufolge soll nach Möglichkeit der von dem Beschwerdeführer geltend gemachten Grundrechtsbeschwer schon durch die Gerichte des zuständigen Gerichtszweiges abgeholfen werden; außerdem soll dem Bundesverfassungsgericht vor seiner Entscheidung Gelegenheit gegeben werden, die Fallanschauung und die Rechtsauffassung der Gerichte, insbesondere der jeweiligen oberen Bundesgerichte, kennen zu lernen (vgl. BVerfGE 9, 3 ≪7 f.≫; 78, 155 ≪160≫). Für Entscheidungen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes folgt daraus, dass die Erschöpfung des Rechtsweges im Eilverfahren nicht ohne weiteres ausreicht, um die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde zu begründen, wenn das Hauptsacheverfahren ausreichende Möglichkeiten bietet, der Grundrechtsverletzung abzuhelfen. Das ist regelmäßig der Fall, wenn mit der Verfassungsbeschwerde ausschließlich Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen (vgl. BVerfGE 86, 15 ≪22≫).
Diesem Erfordernis hat die Beschwerdeführerin nicht entsprochen. Sie hat den Rechtsweg in der Hauptsache nicht beschritten, obwohl sie lediglich Grundrechtsverletzungen rügt, die nicht allein durch das Eilverfahren selbst hervorgerufen wurden, sondern auch im Rahmen des Hauptsacheverfahrens korrigiert werden könnten.
3. Allerdings kann es für den Betroffenen im Einzelfall unzumutbar sein, den Rechtsweg in der Hauptsache zu beschreiten und zu erschöpfen (vgl. BVerfGE 86, 15 ≪22≫). Unzumutbarkeit in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn die Durchführung des Verfahrens von vorneherein aussichtslos erscheinen muss (vgl. BVerfGE 70, 180 ≪186≫) oder wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen und rechtlichen Klärung abhängt und diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen das Bundesverfassungsgericht gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG sofort entscheiden kann (vgl. BVerfGE 79, 275 ≪279≫; 86, 15 ≪22 f.≫; 104, 65 ≪71≫).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Das Hauptsacheverfahren ist nicht erkennbar aussichtslos. Der Fall hat einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht komplexen Sachverhalt zur Grundlage. Der Beschwerdeführerin ist zwar zuzugestehen, dass dieser Sachverhalt bereits aufgrund der beiden mündlichen Verhandlungen vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht ausführlich gewürdigt wurde. Beide Gerichte haben die für die Beurteilung maßgeblichen Rechtsfragen schon im Verfügungsverfahren nicht nur summarisch geprüft. Insofern mag, wie die Beschwerdeführerin geltend macht, auch nicht zu erwarten sein, dass das Oberlandesgericht seine Rechtsauffassung in Bezug auf den vorliegenden Fall ändern wird. Das bedeutet aber nicht, dass keine Möglichkeit mehr für die Beschwerdeführerin bestand, im Rahmen des Hauptsacheverfahrens den Anspruch auf angemessene Beachtung ihrer Grundrechte durchzusetzen. Hierfür lassen sich zwei Gründe anführen:
Zum einen beruht die Entscheidung des Oberlandesgerichts auch auf der Annahme, die Beschwerdeführerin habe den Beweis nicht führen können, dass die Verfügungsbeklagten die behaupteten Gerüchte lediglich inszeniert hätten. Damit hat das Gericht zumindest einzelne tatsächliche Aspekte der streitigen Äußerungen in seine Erwägungen einbezogen, für die es die Beschwerdeführerin als beweisbelastet angesehen hat. Die Beschwerdeführerin, die auch ihre Verfassungsbeschwerde darauf stützt, dass es die behaupteten Gerüchte tatsächlich vor Veröffentlichung des offenen Briefes nicht gegeben habe, hätte daher in einem Hauptsacheverfahren die Möglichkeit gehabt, zu dieser Frage in der Sache weiter vorzutragen und auf eine tatsächliche Klärung hinzuwirken. Insofern ist davon auszugehen, dass eine eindeutige Tatsachenbasis für eine Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht im Verfügungsverfahren nicht geschaffen wurde (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 22. Mai 2002 – 1 BvR 797/96). In tatsächlicher Hinsicht war ein Obsiegen der Beschwerdeführerin im Hauptsacheverfahren daher nicht ausgeschlossen.
Zum anderen verweist die Beschwerdeführerin selbst auf die Möglichkeit einer Revision im Hauptsacheverfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung, § 543 Abs. 2 Nr. 1, § 544 ZPO in der seit 1. Januar 2002 geltenden Fassung. Die Beschwerdeführerin hat nicht vorgetragen, dass ein Revisionsverfahren aussichtslos gewesen wäre (zu solchem Vortrag vgl. BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 20. Oktober 2004 – 1 BvR 117/03 –). Die Beschwerdeführerin bringt zu Recht vor, dass es sich bei der Frage der Abgrenzung von rhetorischen und echten Fragen sowie der Mitteilung vorgeblicher Gerüchte in ihrem Bezug zur Meinungsfreiheit um komplizierte Rechtsfragen handelt. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Hinsicht zwar bereits Leitlinien vorgegeben (vgl. BVerfGE 85, 23 ≪32 f.≫; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 12. November 2002 – 1 BvR 232/97 –). In der zivilgerichtlichen Rechtsprechung war die Frage zu dieser Zeit noch nicht höchstrichterlich entschieden (vgl. jetzt aber BGH, NJW 2004, S. 1034 f.). Es war nicht auszuschließen, dass der Bundesgerichtshof den Fall zum Anlass genommen hätte, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu diesen Abgrenzungsproblemen aufzunehmen und weiter zu präzisieren. In diesem Sinne ist auch nicht offenkundig, dass sich der Bundesgerichtshof ohne weiteres der Auffassung des Oberlandesgerichts angeschlossen und die Revision zurückgewiesen hätte. Weiter kam nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin auch eine Revisionszulassung nach § 543 Abs. 2 Nr. 2, § 544 ZPO in Betracht, da nach ihrer Auffassung das Urteil des Oberlandesgerichts im Widerspruch zu den bislang von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof erarbeiteten Grundsätzen zum Verhältnis von Persönlichkeitsschutz und Meinungsfreiheit stand. Eine für die Beschwerdeführerin günstige Entscheidung in der Hauptsache war danach aus ihrer eigenen Sicht auch in rechtlicher Hinsicht nicht ausgeschlossen.
Auch ein schwerer und unabwendbarer Nachteil gem. § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG ist beim Beschreiten des Rechtswegs zur Hauptsache nicht anzunehmen. Die Beschwerdeführerin hat diesbezüglich jedenfalls nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Schwer ist ein Nachteil im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG, wenn es sich um eine nachhaltige Beeinträchtigung durch einen intensiven Eingriff in die grundrechtlich geschützte Sphäre handelt. In Bezug auf wirtschaftliche Nachteile ist das dann anzunehmen, wenn diesen ein existentielles Gewicht zukommt (vgl. Sperlich, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl., § 90, Rn. 159; BVerfGE 8, 222 ≪226≫; 9, 120 ≪122≫). Dies aber ist weder dem Vortrag der Beschwerdeführerin zu entnehmen noch sonst erkennbar. Der Hinweis auf nicht näher spezifizierte mögliche dauerhafte Umsatzverluste reicht insoweit nicht aus.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen