Verfahrensgang
Truppendienstgericht Süd (Beschluss vom 25.11.2021; Aktenzeichen S 8 GL 07/21) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird der Beschluss der 8. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 25. November 2021 geändert.
Der Antrag der früheren Soldatin, die mit Verfügung des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 11. August 2021 angeordnete Einbehaltung von 30 % ihres Ruhegehalts aufzuheben, wird abgelehnt.
Tatbestand
Rz. 1
Das Beschwerdeverfahren betrifft die vorläufige teilweise Einbehaltung von Ruhegehalt, deren Anordnung das Truppendienstgericht aufgehoben hat.
Rz. 2
1. Gegen die 1956 geborene und 2018 als Oberfeldarzt der Besoldungsgruppe A 15 in den Ruhestand getretene frühere Soldatin wurde mit Verfügung des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr (Bundesamt) vom 11. August 2021 ein gerichtliches Disziplinarverfahren wegen Vorwürfen eingeleitet (Einleitungsverfügung), die teilweise mit den Anschuldigungen der darüber hinausreichenden Anschuldigungsschrift vom 21. März 2022 identisch sind.
Rz. 3
2. Mit der Einleitungsverfügung war die Einbehaltung von 30 % des Ruhegehalts der früheren Soldatin angeordnet worden (Einbehaltensanordnung). Ihr Antrag, sie aufzuheben, wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 9. September 2021 (Beschwerdebescheid) zurückgewiesen.
Rz. 4
3. Mit der Anschuldigungsschrift wird die frühere Soldatin angeschuldigt, nach ihrem Ausscheiden aus dem Wehrdienst die ihr obliegenden Dienstpflichten, sich nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu betätigen, sowie nicht in unwürdiger Weise die Achtung und das Vertrauen zu verletzen, die für ihre Wiederverwendung als Vorgesetzte erforderlich sind, vorsätzlich verletzt zu haben, indem sie:
"1. Sie schrieb dem Oberbürgermeister der Stadt..., mit Schreiben vom 27. Februar 2021 und dem Leiter des Finanzamts..., mit Schreiben vom 27. Februar 2021, dem Finanzamt am 3. März 2021 zugegangen (Buchstaben a bis g), sowie nur an den Leiter des Finanzamts... mit Schreiben vom 22. März 2021 (Buchstaben h bis m), womit sie wissentlich und willentlich zum Ausdruck brachte, dass sie die Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennt und sich unmittelbar gegen den Bestand der Bundesrepublik wendet und diese ablehnt:
a) 'Ich bin mein Allod [...] Besitzer alloidaler Länder sind souverän'
b) 'Mein Wille ist die bedingungslose Anerkennung meiner und die meiner Abkömmlinge vollständigen Souveränität durch das Handels-, Finanz-, und Verwaltungskonstrukt des im Auftrag weltweit agierenden Treuhandsystems, in Europa 'Bund' und 'EU' genannt [...] und deren Dokumentation gegenüber jedem Vertreter der scheinbaren Legislative, Judikative und Exekutive',
c) 'Meine Wohnsitzadresse ist mein mietzins- energiekosten und grundsteuerfreier Regierungssitz',
d) 'Wir und unsere Eltern/Vorfahren wurden vorsätzlich und arglistig getäuscht mit der Absicht, uns ohne unser Wissen in das Treuhandsystem zu integrieren bzw. uns gegen unseren Willen und ohne unsere bewusste Zustimmung im Vatikansystem zu halten',
e) 'Gemeinsam bauen wir dort eine intakte möglichst autarke Gemeinde nach dem Vorbild unserer Vorfahren ohne Vormundschaft in Selbstverwaltung auf',
f) 'Das Areal ist meine und das der Beteiligten Stiftung, eine Exklave, ein Staat im 'Staate' im Handels-, Finanz, und Verwaltungskonstrukt',
g) 'Mich dafür willkürlich zu strafen mit Hilfe von Angehörigen einer POLIZEI und/oder anderer Uniformträger, Geheimdiensten bzw. mit Hilfe von Schiedsgerichten, die allesamt auf Grundlage nicht gültiger Gesetze ohne hoheitliche Befugnisse agieren',
h) 'Das Finanzamt..., [...], dem Sie vorstehen, firmiert u.a. unter der D-U-N-S-Nr.... und ff. und ist damit eindeutig als privatwirtschaftliches Unternehmen identifizierbar',
i) 'Der 'Bund'/die 'Bundesrepublik Deutschland'/'Germany' unter D-U-N-S- Nr.... und ff. finanziert sich u.a. aus unfreiwilligen Schenkungen, die er/sie/es sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen und vorsätzlicher Täuschung und arglistig, getarnt unter dem Begriff 'Steuerpflicht', nach Gesetzen von 1934 erpresst',
j) 'Der 'Bund'/die 'Bundesrepublik Deutschland' bzw. 'Deutschland' mit 'Länderkennung' bei der UN täuscht hoheitliche Rechte vor, die er/sie/es nicht hat',
k) '[...] da es seit mindestens 1956 keinen ordnungsgemäß gewählten Gesetz'geber' gibt',
l) 'Wie das Unternehmen 'Bundesverfassungsgericht' mitteilte, ist das 'Deutsche Reich nicht untergegangen. Es existiert fort, ist nur mangels Organisation nicht handlungsfähig.',
m) 'Sie als Funktionsträger des Unternehmens 'Bund'/'Bundesrepublik Deutschland'/'Germany' sind nicht berechtigt, gültige Gesetze des nicht handlungsfähigen Deutschen Reiches anzuwenden'.
2. Sie gab am 30. März 2021 gegen 15:30 Uhr sinngemäß gegenüber den Zeugen Kriminalhauptkommissar... und Kriminaloberkommissar... im Treppenhaus ihres Wohnhauses in der... im Rahmen eines freiwilligen Gesprächs an,
a) dass die Bundesrepublik seit der Wiedervereinigung nicht existent sei,
b) dass sie sich nicht mehr an den Eid, den sie bei der Vereidigung als Soldatin leistete, gebunden sehe, weil die Bundesrepublik Deutschland nicht existiere,
c) dass es seit mindestens 1956 keinen ordnungsgemäß gewählten Gesetzgeber gebe und die seitdem erlassenen Gesetze daher keine Gültigkeit hätten.
3. Sie übermittelte am 1. August 2021 im Rahmen der Anhörung vor Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens an die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr einen Abdruck des '...' mit einer 'direkte[n] Antwort von... an einen Herrn...' mit den folgenden Aussagen, womit sie zum Ausdruck brachte, dass sie sich diese Aussagen zu eigen macht und wissentlich und willentlich die Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennt und sich unmittelbar gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland wendet und diese ablehnt:
a) 'Deutschland ist seit Ende des Zweiten Weltkrieges kein souveräner Staat mehr, sondern ein militärisch besetztes Gebiet der alliierten Streitkräfte',
b) 'Die Bundesrepublik Deutschland ist und war nie ein Staat. Weder de jure noch de facto und zu keinem Zeitpunkt völkerrechtlich anerkannt',
c) 'Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Verwalter ohne jegliche Befugnisse, seit 1990 eine Finanzverwalter GmbH im Auftrag der alliierten Siegermächte',
d) 'Es ist niemand rechtlich verpflichtet, irgendwelche Gelder oder Gebühren weiterhin zu zahlen. Zusätzlich verstößt die Bundesrepublik Deutschland als private Finanzverwalter GmbH gegen geltende Anordnungen und Rechte der ALLIIERTEN STREITKRÄFTE von 1947, die nach wie vor Gültigkeit haben und macht sich damit zum Erfüllungsgehilfen betrügerischer Manipulation',
e) 'Militärregierungsgesetz Nr. 2 - Deutsche Gerichte: Niemand darf in der Bundesrepublik Deutschland ohne Genehmigung der Militärregierung als Richter, Staatsanwalt, Notar oder Rechtsanwalt tätig werden',
f) 'Jeder Urteilsspruch, der bereits gefällt wurde oder hiernach in einem solchen Prozess gefällt wird, der ohne Einwilligung der Militärregierung des Sektors, in welchem sich das Eigentum befindet, eingeleitet wurde, ist nichtig und irgendwelche Maßnahmen zur Durchsetzung eines solchen Urteilsspruchs ist ungültig',
g) 'Wie ist es möglich, dass eine Firma wie die BRD-GmbH zu Hoheitsrechen gelangen konnte',
h) 'Wenn aber die Anordnungen der Militärregierung nicht körperlich für jeden einzelnen Fall vorliegen, sind alle beteiligten Juristen an jedem bundesdeutschen Gericht nur privat haftende und privat handelnde Personen ohne Rechtsgrundlage, da die Bundesrepublik Deutschland zu keiner Zeit ein Staat ist oder jemals war',
i) 'Die BDR, auch Bananen Republik Deutschland genannt ist kein völkerrechtlich anerkannter Staat und somit ohne jegliche Befugnisse, schon gar nicht gegen Bürger des DEUTSCHEN REICHES, eine solche Zwangsmaßnahme durchzuführen, sondern eine 'BRD-Finanzagentur GmbH' (HRB 51411 - im Handelsregister der Stadt Frankfurt am Main, eingetragen am 29. August 1990 - nachdem der territoriale Geltungsbereich des Grundgesetzes worden ist, sondern ein organisiertes Bandentum, vergleichbar mit der Mafia auf Sizilien, bestehend aus Banditen, Räubern und Dieben'.
4. Sie übersendete zusätzlich zu dem genannten Abdruck unter Ziffer 3 im Rahmen der Anhörung vor Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens einen Artikel mit der Überschrift 'BRD hat ungültiges Wahlgesetz' mit den folgenden Aussagen, womit sie zum Ausdruck brachte, dass sie sich diese Aussagen zu eigen macht und wissentlich und willentlich die Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennt und sich unmittelbar gegen den Bestand der Bundesrepublik wendet und diese ablehnt:
a) 'Seit 1956 gab es weder eine gültige Bundestagswahl noch eine legitimierte Bundesregierung und damit keinen legitimierten Gesetzgeber',
b) 'Der Bundestag von heute ist nicht legitim',
c) 'Demgemäß sind die Länder der DDR nicht rechtswirksam dem Geltungsbereich der BRD beigetreten und auch nicht Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland',
d) 'Ein verfassungswidrig besetztes Parlament ist kein legitimierter Gesetzgeber und kann nach rechtsstaatlichen Grundsätzen keine Gesetze erlassen, die verfassungsmäßig in Ordnung sind. Auch kein neues Bundeswahlgesetz!!',
e) 'Eine Neufassung zur Herstellung einer der Verfassung entsprechende Gesetzeslage erscheint unmöglich, da der derzeitige Gesetzgeber nicht legitimiert ist.'
5. Sie schrieb am 24. August 2021 im Rahmen eines Antrags auf Aufhebung der in der Einleitungsverfügung vom 11. August 2021 bestimmten Kürzung Ihres Ruhegehalts um 30 Prozent an den Beauftragten für die Angelegenheiten des militärischen Personals der Leitung des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr als Einleitungsbehörde, womit sie wissentlich und willentlich zum Ausdruck brachte, dass sie die Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennt und sich unmittelbar gegen den Bestand der Bundesrepublik wendet und diese ablehnt:
a) 'Die Bundesrepublik Deutschland wurde am 17. Juni 1990 mit Streichung des Art. 23 GG (Geltungsbereich GG) durch den Außenminister der Vereinigten Staaten James Baker beendet.'
b) 'Nicht ein einziges Gesetz oder eine Verordnung, das jemals von der Bundesrepublik Deutschland von 1949-1990 und von der BUNDESREPUBLIK ab 1990 bis zum heutigen Tag erlassen worden ist, hat irgendeine Rechtskraft.'
c) '[...] alle Gesetze und Rechtsverordnungen sind seit mind. 1956 rechtsungültig und nichtig da es in der Bundesrepublik keinen legal gewählten Gesetzgeber (Bundestag) gab.'
6. Sie übersendete zu dem Schreiben unter Ziffer 5, einen Artikel mit der Überschrift 'Die Wahrheit über die BR(i)D', mit den folgenden Aussagen, womit sie zum Ausdruck brachte, dass sie sich diese Aussagen zu eigen macht und wissentlich und willentlich die Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennt und sich unmittelbar gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland wendet und diese ablehnt:
a) 'Die BRD ist kein Staat, sondern eine Firma! Auf... können Sie sich davon überzeugen, dass die BRD ein Firmenkonstrukt ist, bestehend aus 47.000 in Delaware (USA) registrierten Firmen.'
b) 'Die BRD-Gesetze sind ungültig! Alle, von der Regierung und den Behörden der untergegangenen 'Bundesrepublik Deutschland' seit ihrem Erlöschen, getätigten Rechtsgeschäfte und Verwaltungsakte sind danach, mangels hoheitlicher Rechte, rechtswidrig und ungültig! Mit den Bereinigungsgesetzen haben die Alliierten der BRD in 2006 und 2007 sämtliche Gesetze entzogen, die hoheitliche Befugnisse verkörpern.'"
Rz. 5
4. Auf Antrag der Soldatin hat die 8. Kammer des Truppendienstgerichts Süd die Einbehaltensanordnung und den Beschwerdebescheid mit Beschluss vom 25. November 2021 aufgehoben (Aufhebungsbeschluss):
Rz. 6
Zwar begegne der der Einbehaltensanordnung in tatsächlicher Hinsicht zugrunde gelegte Sachverhalt keinen Bedenken; der Verwaltungsakte seien die Schreiben der früheren Soldatin mit den aufgeführten Zitaten zu entnehmen und sie habe die Äußerungen gegenüber dem Oberbürgermeister und dem Finanzamt auch nicht bestritten. Jedoch fehle eine ordnungsgemäße Begründung. Die Einbehaltensanordnung lege nicht dar, warum das vorgeworfene Verhalten gegen die nachwirkenden soldatischen Pflichten derart verstoßen solle, dass höchstwahrscheinlich das Ruhegehalt aberkannt werden müsse. Ebenso wie beim Beschwerdebescheid bleibe es bei der Behauptung. Es fänden sich keine Ausführungen dazu, inwieweit das Verhalten der früheren Soldatin geeignet sein solle, den ordnungsgemäßen militärischen Dienstbetrieb zu beeinträchtigen. Gründe, die das höchstmögliche Einbehalten des Ruhegehalts als unverhältnismäßig erscheinen lassen könnten, habe das Bundesamt nicht erkannt. Es verweise lediglich darauf, dass die frühere Soldatin dafür keine Gründe vorgetragen habe. Eigene Erkenntnisquellen seien vor Einleitung nicht erschlossen worden. Vielmehr habe sich die Wehrdisziplinaranwaltschaft erst danach bemüht, sich ein Bild von den finanziellen Verhältnissen der früheren Soldatin zu verschaffen. Eine Abwägung, aus welchen Gründen und in welcher Höhe eine Ruhegehaltskürzung angemessen sei, habe nicht stattgefunden. Später habe die Wehrdisziplinaranwaltschaft dann zwar deren Geldsorgen zur Kenntnis genommen, daraus aber keine Schlüsse gezogen.
Rz. 7
Im Übrigen ergebe sich weder aus der Einleitungsverfügung noch aus der Akte, warum von einem Dienstvergehen ausgegangen werde, das höchstwahrscheinlich die Höchstmaßnahme nach sich ziehe. Erwägungen zur Maßnahmebemessung würden nicht dargelegt, insbesondere würden Milderungsgründe nicht erwogen, so etwa frühere dienstliche Leistungen oder Merkmale nach § 20 StGB.
Rz. 8
Hinzu komme, dass der Gesetzgeber aus der Summe der Pflichtenkreise des § 8 SG ausweislich des § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG nur besonders schwerwiegende Pflichtverletzungen herausgegriffen habe. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft werde zu prüfen haben, inwieweit die bislang unauffällige frühere Soldatin tatsächlich einer verfassungsfeindlichen Gesinnung nachhänge. Es erscheine möglich, dass sie im Internet aufgefundene Versatzstücke lediglich weitergegeben habe. Die von ihr übernommenen Äußerungen seien zum Teil einfach zu widerlegende Tatsachenbehauptungen, die unabhängig von einem möglichen Schutz durch die Meinungsfreiheit kaum geeignet seien, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Schaden zuzufügen. Zwar teile die frühere Soldatin mit, es gebe die Bundesrepublik Deutschland nicht und ihre Gesetze könnten keine Geltung beanspruchen; an den Grundprinzipien der Verfassung äußere sie aber keine Kritik. An manchen Stellen beziehe sie sich zudem auf das Grundgesetz, was vermuten lasse, dass sie die Verfassung überwiegend doch anerkenne. Zwar bezeichne sie das Bundesverfassungsgericht vereinzelt als Unternehmen; an anderer Stelle erkenne sie dessen rechtsprechende Autorität wieder an. Ein 'Betätigen' im Sinne des § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG allein darin zu sehen, dass sie sich an das Finanzamt gewendet habe mit dem Anliegen, von der Steuerpflicht befreit zu werden, ändere daran nichts. Letztlich sei entscheidend, ob ihr eine tatsächlich verfassungsfeindliche Gesinnung nachgewiesen werden könne.
Rz. 9
Die Einleitungsverfügung mache auch ein Verhalten gemäß der zweiten Alternative des § 23 Abs. 2 Nr. 2 SG zum Gegenstand des Verfahrens. Überschreite jedoch ein früherer Offizier - wie die frühere Soldatin - die Altersgrenze von 65 Jahren und könne er deshalb nicht mehr als Vorgesetzter verwendet werden, entfalle diese fortwirkende Vorgesetztenpflicht.
Rz. 10
5. Mit ihrer gegen den ihr am 20. Dezember 2021 zugestellten Beschluss erhobenen Beschwerde vom 17. Januar 2022, mit der sie zugleich beantragt, den Beschluss außer Vollzug zu setzen, trägt die Wehrdisziplinaranwaltschaft im Wesentlichen vor:
Rz. 11
Es handele sich bei den vorgeworfenen Aussagen gegenüber dem Leiter des Finanzamts... und dem Oberbürgermeister der Stadt... um ein Dienstvergehen. Die frühere Soldatin betätigte sich damit aktiv gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Die Aussagen seien der "Reichsbürger"-Ideologie zuzuordnen. Die Bezeichnung der Bundesrepublik als "Unternehmen" sei objektiv betrachtet die Leugnung des staatlichen Bestandes. Die frühere Soldatin kommuniziere offen, dass sie die Bundesrepublik nicht als Staat anerkenne, sondern als Unternehmen ohne Hoheitsrechte ansehe. Die Behauptung, es gebe seit mindestens 1956 keinen ordnungsgemäß gewählten Gesetzgeber, zeige, dass sie die geltenden demokratischen Grundsätze der Bundesrepublik ablehne. Diese Aussagen habe die frühere Soldatin im weiteren Verlauf des Disziplinarverfahrens umfangreich wiederholt.
Rz. 12
Die frühere Soldatin betätige sich auch gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, indem sie dem Finanzamt schreibe, dass sie zukünftig keine Steuern zahlen werde. Überdies fordere sie von dem Oberbürgermeister der Stadt... Souveränität für ein unabhängiges Gebiet, das sie in Selbstverwaltung führen möchte.
Rz. 13
Es liege auch ein als Dienstvergehen geltendes Verhalten gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 SG vor. Bedenken hinsichtlich der Altersgrenze für die Wiederverwendbarkeit als Voraussetzung für ein als Dienstvergehen geltendes Verhalten gingen fehl. Zum Zeitpunkt des Dienstvergehens sei die frühere Soldatin 64 Jahre alt gewesen, so dass sie grundsätzlich noch herangezogen hätte werden können. Auch wenn sie mittlerweile tatsächlich nicht mehr herangezogen werden könne, entfalle damit die Tatbestandsverwirklichung nicht rückwirkend.
Rz. 14
Die für die Kürzung des Ruhegehalts genannte Begründung sei rechtsfehlerfrei. Es handele sich bei der Kürzung des Ruhegehalts vorliegend um eine summarische Entscheidung, bei der gerade nicht - wie bei der Entscheidung in der Hauptsache - alle Umstände eingehend abzuwägen seien, die für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme in Betracht kommen könnten. Es genüge die Feststellung, dass die frühere Soldatin das Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen habe, das mit einem ausreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit zur Verhängung der Höchstmaßnahme führen werde. Der Einleitungsverfügung lasse sich durch die aufgelisteten Vorwürfe entnehmen, was der früheren Soldatin vorgeworfen werde. Eine weitergehende Begründung, weshalb die Höchstmaßnahme im Raum stehe, sei angesichts der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur disziplinaren Ahndung von Verhaltensweisen, die der Reichsbürger-Ideologie zuzuordnen seien, nicht erforderlich.
Rz. 15
Die Entscheidung, das Ruhegehalt zu kürzen, sei nicht ermessensfehlerhaft. Umfassende Erwägungen dazu seien im konkreten Fall ausnahmsweise nicht erforderlich gewesen. Aufgrund des gravierenden Vorwurfs liege eine Ermessensreduktion auf Null vor. Es bestünden bei dem vorgeworfenen Verhalten keine Umstände - insbesondere nicht in der Person der früheren Soldatin oder ihren früheren dienstlichen Leistungen - durch die die Schwere dieses Vorwurfs abgemildert und das zerstörte Vertrauensverhältnis wiederhergestellt werden könne.
Rz. 16
Der Einbehaltenssatz sei ebenfalls rechtsfehlerfrei, weil weder vorgetragen, noch ersichtlich sei, weshalb die konkrete Höhe unverhältnismäßig sei und welche finanziellen Lasten insoweit zu berücksichtigen gewesen seien.
Rz. 17
Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hat sich dem angeschlossen und ergänzt, aus dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Januar 2019 - 2 WDB 1.18 - ergebe sich, dass bei Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung die Überschreitung der Altersgrenze von 65 Jahren der Durchführung eines wehrdienstgerichtlichen Verfahrens nicht entgegenstehe.
Rz. 18
6. Das Truppendienstgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Zugleich hat es das disziplinargerichtliche Verfahren mit Beschluss vom 20. Mai 2022 im Hinblick auf das vorliegende Beschwerdeverfahren ausgesetzt. In ihm hat die frühere Soldatin im März 2022 Stellung genommen und ihr übermittelte Schriftsätze mit dem Hinweis "Fiktion!" zurückgesendet.
Entscheidungsgründe
Rz. 19
Die nach § 114 WDO zulässige Beschwerde ist begründet.
Rz. 20
Das Truppendienstgericht hat die Einbehaltensanordnung und den Beschwerdebescheid zu Unrecht aufgehoben. Sie sind im maßgeblichen Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2020 - 2 WDB 9.20 - Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 13 Rn. 11) bei der im vorläufigen Verfahren gemäß § 126 Abs. 5 Satz 3 WDO nur summarisch möglichen Prüfung der Sachlage rechtmäßig.
Rz. 21
1. Die Einbehaltensanordnung in Gestalt des Beschwerdebescheids begegnet im Ergebnis keinen formal-rechtlichen Bedenken. Sie beruht auf der Ermächtigungsgrundlage des § 126 Abs. 3 WDO und wird den - gemessen an den nach § 39 Abs. 1 Satz 2 VwVfG entsprechend heranzuziehenden - Begründungsanforderungen noch gerecht. Danach sind in der Begründung die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben.
Rz. 22
a) Die Begründung der Ausgangsentscheidung muss nicht auf alle denkbaren oder im Verfahren angesprochenen, wohl aber auf alle für die Entscheidung im konkreten Fall wesentlichen Fragen eingehen. Dies schließt regelmäßig die Angabe der Rechtsgrundlage und Darlegungen ein, weshalb nach Einschätzung der Behörde die Tatbestandsvoraussetzungen der Rechtsgrundlage auf der Basis des von ihr ebenfalls dargelegten Sachverhalts vorliegen. Dabei ist eine davon zu unterscheidende Frage des materiellen Rechts, ob die Begründung die Entscheidung rechtlich tatsächlich trägt (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 39 Rn. 18 und 18 a).
Rz. 23
Diesen Mindesterfordernissen ist das Bundesamt noch gerecht geworden, da sich aus I. der Einleitungsverfügung der Sachverhalt ergibt, aus dem es gestützt auf den unter II., 1. Absatz, erwähnten § 126 Abs. 3 WDO, unter II., 2. Absatz, die Schlussfolgerung zieht, dass die Voraussetzungen für eine Einbehaltung des Ruhegehalts vorliegen. Durch den Verweis auf § 23 Abs. 2 Nr. 2 SG erschließt sich jedenfalls für eine frühere Soldatin noch hinreichend deutlich, dass der Dienstherr ihr einen Verstoß gegen die politische Treuepflicht vorhält.
Rz. 24
b) Soweit es Ermessensentscheidungen betrifft, soll die Begründung darüber hinaus gemäß § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.
Rz. 25
Dass das Bundesamt sein Ermessen bezüglich der konkreten Höhe der Ruhegehaltskürzung erkannt hat, folgt aus der Feststellung in der Einbehaltungsanordnung, die frühere Soldatin habe im Rahmen ihrer Anhörung keine Gründe vorgetragen, die die Kürzung des Ruhegehalts um 30 % unverhältnismäßig erschienen ließen. Eine solche Überprüfung erübrigt sich nämlich nur bei gebundenen Verwaltungsentscheidungen. Zur finanziellen Situation hat die frühere Soldatin zudem erst im Rahmen des gerichtlichen Antragsverfahrens unter dem 9. November 2021 (per Mail) Stellung bezogen.
Rz. 26
Zwar finden sich weder in der Einbehaltungsanordnung noch im Beschwerdebescheid Darlegungen, aus denen sich das Bewusstsein des Bundesamtes ableitet, selbst beim Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 126 Abs. 3 WDO die Einbehaltung des Ruhegehalts nicht zwingend anordnen zu müssen; jedoch hat das Bundesamt in seiner Beschwerdeschrift zum Ausdruck gebracht, umfassende Ermessenserwägungen wegen einer einzelfallbezogenen Ermessensreduktion auf Null nicht mehr für erforderlich gehalten zu haben. Ein etwaiger Begründungsmangel ist dadurch entsprechend §§ 39, 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG geheilt worden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. April 2022 - 2 WDB 4.22 - Rn. 11), jedenfalls hätte dieser Verfahrensmangel die Sachentscheidung ausweislich des Beschwerdeschriftsatzes offensichtlich nicht beeinflusst (§ 46 VwVfG).
Rz. 27
2. In materieller Hinsicht setzt eine Einbehaltensanordnung nach § 126 Abs. 3 WDO neben einer rechtswirksamen Einleitungsverfügung die Prognose voraus, dass im gerichtlichen Disziplinarverfahren voraussichtlich auf die Höchstmaßnahme erkannt werden wird. Zudem muss das behördliche Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt worden sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2020 - 2 WDB 9.20 - Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 13 Rn. 17). Auch diesen Anforderungen wird die Einbehaltensanordnung gerecht:
Rz. 28
a) An der Rechtswirksamkeit der Einleitungsverfügung bestehen keine Zweifel.
Rz. 29
b) Im gerichtlichen Disziplinarverfahren wird der früheren Soldatin bei summarischer Prüfung voraussichtlich das Ruhegehalt aberkannt werden (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 WDO), weil sie wissentlich und willentlich, mithin vorsätzlich, gegen das gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG bestehende Verbot, sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu betätigen, verstoßen hat (BVerwG, Urteile vom 6. September 2012 - 2 WD 26.11 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 39 Rn. 52 und vom 18. Juni 2020 - 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 44 m. w. N.). Dabei ist bei dieser Variante eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 2 SG ohne Belang, dass sie das 65. Lebensjahr überschritten hat (BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 2019 - 2 WDB 1.18 - Buchholz 449 § 23 SG Nr. 1 Rn. 12). Ob ein zusätzlicher Verstoß auch gegen die Alternative 2 der Norm vorliegt, kann somit dahingestellt bleiben.
Rz. 30
aa) Da im Zusammenhang mit gerichtlichen Überprüfungen von Maßnahmen nach § 126 Abs. 3 WDO für eingehende Beweiserhebungen kein Raum ist, beschränkt sich die Prüfung des Sachverhalts auf die Frage, ob anhand des bisherigen Ermittlungsergebnisses unter Berücksichtigung der vorhandenen Beweismittel und von Rückschlüssen, die durch die allgemeine Lebenserfahrung gerechtfertigt sind, zumindest der hinreichend begründete Verdacht eines Dienstvergehens besteht, das voraussichtlich zur Aberkennung des Ruhegehalts führen wird.
Rz. 31
bb) Zur Feststellung einer solchen Wahrscheinlichkeit scheiden deshalb zwar einerseits solche Vorwürfe der Einleitungsverfügung aus, an denen die Wehrdisziplinaranwaltschaft selbst nicht mehr festhält, wie dies bei dem unter Ziffer 3 der Einleitungsverfügung erwähnten Verhalten der Fall ist. Dies folgt aus der Anschuldigungsschrift, die ein solches Verhalten nicht mehr anschuldigt und die nunmehr zur Grundlage für die Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme wird (BVerwG, Beschluss vom 31. März 2020 - 2 WDB 2.20 - Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 11 Rn. 16).
Rz. 32
cc) Andererseits reichen im vorliegenden Fall die übrigen Vorwürfe der Einleitungsverfügung und der Anschuldigungsschrift für die Annahme aus, dass die Höchstmaßnahme zu verhängen ist. Die schriftlich dokumentierten und von der früheren Soldatin auch nicht bestrittenen Äußerungen begründen aktuell einen hinreichenden Verdacht eines Verstoßes gegen die nachwirkende politische Treuepflicht nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG.
Rz. 33
(1) Nach dieser Vorschrift ist es einem Offizier oder Unteroffizier auch nach seinem Ausscheiden aus dem Wehrdienst untersagt, sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu betätigen. Der Gesetzgeber hat in § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG für frühere Offiziere und Unteroffiziere die Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung dem Dienstvergehen gleichgestellt. Damit hat er aus dem für aktive Soldaten geltenden Pflichtenkreis des § 8 SG einen Teilbereich auch für die Zeit nach dem Dienstzeitende mit einer Sanktionsdrohung versehen. Diese richtet sich nur gegen den nach § 10 Abs. 1 SG besonders verpflichteten Personenkreis und betrifft auch nur aktive Handlungen, die in besonders intensiver Weise gegen die politische Treuepflicht verstoßen. Der Gesetzgeber greift mithin aus der Summe des Pflichtenkreises gemäß § 8 SG nur die besonders schwerwiegenden Pflichtverletzungen heraus und sanktioniert nur sie über das Dienstzeitende hinaus. Damit macht er deutlich, dass er der Erfüllung dieser Pflicht für den betroffenen Personenkreis auch über das Dienstzeitende hinaus hohe Bedeutung beimisst. Er trägt damit dem schützenswerten Interesse Rechnung, dass auch Reservisten für die Bundeswehr untragbar werden können, wenn sie elementare Pflichten verletzen und so die Grundlage des Vertrauens in ihre Integrität und Zuverlässigkeit als Grundlage ihrer Wiederverwendung schwer beeinträchtigen oder gar zerstören (BVerwG, Urteil vom 6. September 2012 - 2 WD 26.11 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 39 Rn. 52).
Rz. 34
Der fortwirkenden Verbundenheit eines Reservisten mit der Bundeswehr im gegenseitigen Treueverhältnis entspricht es, dass auch seine Grundpflicht, die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht zu bekämpfen, über die Grenze der Wiederverwendungsfähigkeit hinaus bestehen bleibt. Betätigt er sich gleichwohl gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, besteht ein Interesse daran, einen ehemaligen Unteroffizier oder Offizier aus den Reihen der Reservisten einer demokratisch-rechtsstaatlichen Armee formell auszuschließen. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 23 Abs. 2 Nr. 2 SG, die moralische Integrität des Reserveoffiziers- und Reserveunteroffizierkorps zu gewährleisten (BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1981 - 2 WD 72.80 - BVerwGE 73, 148 ≪151≫). Daher kann auf der Grundlage dieser Vorschrift auch nach Überschreitung der Altersgrenze von 65 Jahren bei Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im wehrdisziplinargerichtlichen Verfahren der Dienstgrad gegen den Willen des Betroffenen aberkannt werden (BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 2019 - 2 WDB 1.18 - Buchholz 449 § 23 SG Nr. 1 Rn. 12).
Rz. 35
Anerkennt ein früherer Unteroffizier oder Offizier die verfassungsmäßige Ordnung nicht mehr und betätigt er sich vorsätzlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, ist Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Höchstmaßnahme (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. September 2012 - 2 WD 26.11 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 39 Rn. 52, vom 18. Juni 2020 - 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 44 f. und vom 12. Mai 2022 - 2 WD 10.21 - Rn. 44 zu aktiven Soldaten). Bezieht er - wie hier - soldatenrechtliche Versorgungsbezüge, ist dies nach § 65 Abs. 1 WDO die Aberkennung des Ruhegehalts. Sie führt nicht zum völligen Verlust einer Altersabsicherung, sondern zur Nachversicherung in der Rentenversicherung (§ 65 Abs. 2 WDO). Die damit verbundene Verschlechterung der Alterssicherung ist eine grundsätzlich verhältnismäßige Sanktion dafür, dass sich ein ehemaliger Berufssoldat im Ruhestand von seiner Treuepflicht löst und vorsätzlich gegen die verfassungsmäßige Ordnung betätigt.
Rz. 36
(2) Nach diesen Grundsätzen ist davon auszugehen, dass die frühere Oberfeldärztin die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht mehr anerkennt.
Rz. 37
Bereits Äußerungen der früheren Soldatin wie: es gebe seit mindestens 1956 keinen ordnungsgemäß gewählten Gesetzgeber mehr (Anschuldigungspunkt 1 k) sowie 2 c)), die Bundesrepublik sei seit der Wiedervereinigung nicht mehr existent (Anschuldigungspunkt 2 a)), kein einziges Gesetz, das jemals von der Bundesrepublik Deutschland von 1949 - 1990 und von der Bundesrepublik ab 1990 bis zum heutigen Tag erlassen worden sei, habe irgendwelche Rechtskraft (Anschuldigungspunkt 5 b)), sie sehe sich nicht mehr an ihren Eid gebunden (Anschuldigungspunkt 2 b)) sowie Anlagen und die Übersendung von Stellungnahmen, in denen die Bundesrepublik nicht als Staat, sondern als Firma (Anschuldigungspunkt 3 g), 6 a)), und ihre staatlichen Institutionen - wie etwa das Bundesverfassungsgericht - als Unternehmen (Anschuldigungspunkt 1 l), 1 m)) bezeichnet werden, begründen bei objektiver Betrachtung den Anschein, die Existenz der Bundesrepublik und die Legalität ihrer Staatsorgane fundamental zu verneinen. Inwieweit sonstige Äußerungen objektiv und sachlich vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen, sozialen und politischen Geschehens, in dem sie gefallen sind, gedeutet auch im Lichte der Meinungsfreiheit (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 - 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 31 sowie BVerwG, Beschluss vom 28. Januar 2022 - 2 WDB 7.21 - NVwZ 2022, 794 Rn. 26) disziplinar von Bedeutung sind, braucht deshalb vorliegend nicht mehr aufgeklärt zu werden.
Rz. 38
(3) Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand entspricht der von der früheren Soldatin erweckte Anschein auch ihrer tatsächlichen Gesinnung, so dass gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 WDO die Aberkennung des Ruhegehalts die Regelmaßnahme bilden würde. Zwar hat sie sich verbeten, als "Reichsbürger" bezeichnet zu werden und damit in der Sache von ihrem Recht Gebrauch gemacht, die Tat zu leugnen oder ihren Unrechtsgehalt zu negieren oder zu relativieren (BVerwG, Urteil vom 2. Juli 2020 - 2 WD 9.19 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 80 Rn. 39 und Beschluss vom 28. Januar 2022 - 2 WDB 7.21 - NVwZ 2022, 794 Rn. 27). Ihre Äußerungen sprechen jedoch - ungeachtet ihrer politisch-kategorialen Zuordnung zur rechtsextremen Szene (vgl. S. Goertz, Kriminalistik 2022, 199 ff.) - für ein jedenfalls staatsnegierendes Verständnis, soweit dies die Bundesrepublik Deutschland als ihren Dienstherrn betrifft, der von ihr auch nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst - wenn auch nur nach Maßgabe des § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG - weiterhin politische Loyalität verlangen darf.
Rz. 39
Ihre Äußerungen sind zahlreich und wegen ihrer mehrfachen Dokumentierung auch nicht von Spontanität geprägt. Auch ist der schriftsätzlichen Stellungnahme der früheren Soldatin im Beschwerdeverfahren keine Distanzierung von den getroffenen Stellungnahmen zu entnehmen, sondern im Gegenteil deren Verfestigung. Dies belegt etwa deren Aufforderung an die Geschäftsstellenverwalterin, sie möge eine rechtsgültige Gründungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland, eine gültige Verfassung nach Art. 146 GG und einen gültigen unterschriebenen Amtsausweis der souveränen Bundesrepublik Deutschland vorlegen. Die Kommentierung auf den zurückgesendeten Dokumenten "Fiktion" sowie die schriftsätzliche Äußerung vom 8. April 2022, Preußen sei der letzte souveräne Staat auf deutschem Boden gewesen, runden das Bild von einer früheren Soldatin ab, die aus Überzeugung agiert und schon wegen ihrer akademischen Vorbildung nicht unreflektiert im Internet aufgefundene Versatzstücke übermittelt.
Rz. 40
(4) Die Äußerungen stellen auch eine Betätigung im Sinne des § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG dar. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber für Offiziere und Unteroffiziere im Ruhestand einen Teilbereich aus dem für aktive Soldaten geltenden Pflichtenkreis des § 8 SG herausgenommen, indem er nur noch aktive Handlungen, die in besonders intensiver Weise gegen die politische Treuepflicht verstoßen, für disziplinarisch relevant erklärt hat (BVerwG, Urteil vom 6. September 2012 - 2 WD 26.11 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 39 Rn. 52; Eichen/Metzger/Sohm, SG, 4. Aufl. 2021, § 23 Rn. 36). Die frühere Soldatin hat sich nicht im privaten Umfeld geäußert, sondern gegenüber staatlichen Einrichtungen und dies - ausweislich der vorgelegten Dokumente - ebenso zahlreich wie nachdrücklich. Dabei hat sie sich kommunalen wie staatlichen Anordnungen wiederholt widersetzt.
Rz. 41
(5) Inwieweit ihr Handeln das Ergebnis einer unter Umständen (erheblich) eingeschränkten oder ausgeschlossenen Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit (im Sinne der §§ 20, 21 StGB) ist, wird das Truppendienstgericht freilich im disziplinargerichtlichen Hauptsacheverfahren zu prüfen haben, um das Vorliegen eines klassischen Milderungsgrundes auszuschließen (BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2021 - 2 WD 6.21 - juris Rn. 23). Das auf einer summarischen Sichtung beruhende und auf eine zeitnahe Entscheidung angelegte Verfahren nach § 126 Abs. 5 WDO hat dafür keine genügenden Anhaltspunkte ergeben.
Rz. 42
c) Die Einbehaltensanordnung weist auch keine Ermessensfehler auf.
Rz. 43
aa) Dass das Bundesamt angesichts der Einzelfallumstände von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen ist und die Einbehaltensanordnung ausgesprochen hat, begegnet im Ergebnis keinen Bedenken. Die massiven sowie zahlreichen Äußerungen der früheren Soldatin selbst staatlichen Institutionen gegenüber verboten, von einer disziplinarischen Ahndung abzusehen, um nicht den Eindruck einer Bagatellisierung entstehen zu lassen. Überlegungen dazu, ob der Dienstbetrieb bei einem Verbleib im Dienst auch empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet wäre, bedurfte es bei der Ruhestandssoldatin nicht.
Rz. 44
bb) Die Einbehaltensanordnung entspricht auch in ihrer Höhe dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die frühere Soldatin, die Ruhestandsbezüge des höheren Dienstes nach der Besoldungsgruppe A 15 erhält, hat zwar - zudem erst im gerichtlichen Verfahren - behauptet, ihr verblieben nach Abzug aller Kosten und einer Miete von etwa 1 100 € noch etwa 400 €; ungeachtet dessen, dass damit ihr Lebensunterhalt weiter gesichert ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Januar 2022 - 2 WDB 7.21 - NVwZ 2022, 794 Rn. 33), bleibt damit offen, um welche der unter der Rubrik "Abzug aller Kosten" bezeichneten Ausgaben es sich konkret handelt. Sollte sich die Prognose bezüglich eines zur Aberkennung des Ruhegehalts führenden Dienstvergehens nicht bestätigen, würden die mit der vorliegenden Entscheidung verbundenen Folgen besoldungsrechtlicher Art zudem kompensiert werden (§ 127 Abs. 2 Satz 1 WDO, § 27 Abs. 9 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 BBesG).
Rz. 45
cc) Die Verfahrensdauer führt noch nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Einbehaltensanordnung. Da die Anschuldigungen in objektiver Hinsicht durchgehend unstreitig sind, ist das Truppendienstgericht gehalten, die seit März 2022 anhängige und angesichts der dargelegten Senatsrechtsprechung in rechtlicher Hinsicht durchschnittlich schwere Sache zeitnah zur Entscheidung zu bringen. Dies gilt umso mehr, als es die Gesamtverfahrensdauer in den Blick nehmen muss, wodurch sich dessen Pflicht zur zeitnahen Erledigung verdichtet (BVerwG, Beschluss vom 31. März 2021 - 2 WDB 13.20 - juris Rn. 28). Die Einbehaltensanordnung vom 11. August 2021 erreicht indes noch nicht ein Ausmaß, das zu ihrer (Teil-)Aufhebung führen müsste (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 2021 - 2 WDB 10.20 - NZWehrr 2021, 262 ≪264≫). Dabei ist der Zeitraum der mit Beschluss vom 20. Mai 2022 erfolgten Aussetzung des disziplinargerichtlichen Verfahrens nicht einzubeziehen. Zwar handelt es sich bei dem Verfahren nach § 126 Abs. 5 WDO sowie dem dazu anhängigen Beschwerdeverfahren nicht um ein vorgreifliches Verfahren, weil die in ihm gewonnenen Erkenntnisse - im Gegensatz zum disziplinargerichtlichen Hauptsacheverfahren - nur vorläufigen Charakters sind; jedoch ist der Aussetzungsbeschluss nicht angefochten worden.
Rz. 46
dd) Sollten weitere Ermittlungen die Prognose zu Gunsten der früheren Soldatin verändern, sich deren finanzielle Situation insbesondere angesichts der Zwangsräumung ihrer Wohnung massiv verschlechtern, oder sich das Verfahren unangemessen verzögern, ist bereits die Einleitungsbehörde gemäß § 126 Abs. 5 Satz 1 WDO von Amts wegen gehalten, die Einbehaltensanordnung auf ihre Verhältnismäßigkeit zu überprüfen.
Rz. 47
3. Dem vorläufigen Charakter des Antragsverfahrens entspricht, dass es sich bei ihm um einen Nebenbestandteil des gerichtlichen Disziplinarverfahrens handelt, so dass es einer Entscheidung über die Kosten des Verfahrens nicht bedarf. Diese werden von der zur Hauptsache ergehenden Kostenentscheidung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens miterfasst (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2020 - 2 WDB 9.20 - juris Rn. 52 m. w. N.).
Rz. 48
4. Mit der vorliegenden Entscheidung erledigt sich der mit der Beschwerde verbundene Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehbarkeit des truppendienstgerichtlichen Beschlusses gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 307 Abs. 2 StPO.
Fundstellen