Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigentumsverzicht. unlautere Machenschaften. Nutzungsvertrag. Pachtvertrag. Wohngrundstück. landwirtschaftliches Grundstück
Leitsatz (amtlich)
Wohngrundstücke, die an ein Volkseigenes Gut (VEG) der DDR verpachtet waren, das die Mieten vereinnahmte, haben auch dann keiner Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 2 VermG unterlegen, wenn das VEG sie in heruntergewirtschaftetem Zustand den Eigentümern zurückgeben wollte (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).
Normenkette
VermG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
VG Gera (Urteil vom 09.12.2004; Aktenzeichen 6 K 352/03 GE) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 9. Dezember 2004 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2 im Revisionsverfahren. Im Übrigen tragen die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt die Rückübertragung mehrerer unbebauter landwirtschaftlich genutzter Grundstücke, eingetragen im Grundbuch von M… Bl. 28.
Die Rechtsvorgänger des Klägers waren Eigentümer dieser Grundstücke. Sie schlossen im Jahr 1956 einen Nutzungsvertrag über ihren landwirtschaftlichen Betrieb mit der Gemeinde, die ihn dem örtlichen VEG überließ. 1967 schlossen sie einen entsprechenden Nutzungsvertrag direkt mit dem VEG. Danach wurde das lebende und tote Inventar an das VEG veräußert. Als Nutzungsgebühr für die Grundstücke wurde die Übernahme der öffentlichen Lasten vereinbart. Gegenstand der Überlassung waren auch die – hier nicht streitgegenständlichen – Flurstücke Nr. 34 und 35/1, eingetragen im Grundbuch von M… Bl. 29, die mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden bebaut waren. Das VEG errichtete in den 60er Jahren in den Gebäuden mehrere Wohnungen, die es insbesondere an Landarbeiter vermietete. Die eingenommenen Mieten behielt es ein.
Am 16. August 1984 erklärten die Rechtsvorgänger des Klägers vor dem Staatlichen Notariat den Verzicht auf das Eigentum an dem im Einzelnen aufgeführten Grundbesitz, der den gesamten landwirtschaftlichen Betrieb umfasste. Er wurde in Volkseigentum überführt. Die Mutter der Rechtsvorgänger des Klägers bewohnte weiterhin eine Wohnung in dem Wohnhaus. Die übrigen acht Wohnungen, die sich in den Gebäuden befanden, waren zu dieser Zeit vermietet.
Mit Schreiben vom 30. September 1990 meldeten die Rechtsvorgänger des Klägers vermögensrechtliche Ansprüche an dem in M… belegenen Grundbesitz an. Mit notariellem Vertrag vom 30. Juni 1992 traten sie die Ansprüche an den Kläger ab.
Mit dem streitgegenständlichen Teilbescheid vom 1. Juni 1995 lehnte das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen des S.-H.-Kreises den Antrag auf Rückübertragung der unbebauten Flurstücke ab. Zur Begründung hieß es, dass der Überschuldungstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG nur für bebaute Grundstücke gelte. Den dagegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies das Thüringer Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 1996 zurück.
Die vom Kläger am 15. August 1996 beim Verwaltungsgericht erhobene Klage, mit der er sein Rückübertragungsbegehren hinsichtlich der unbebauten Grundstücke weiter verfolgt, hat er im Wesentlichen damit begründet, dass das VEG seinen Rechtsvorgängern die Wohn- und Wirtschaftsgebäude habe zurückgeben wollen. Da während der Nutzungszeit durch das VEG keinerlei Instandhaltungsarbeiten geleistet worden seien, seien diese in einem sehr desolaten, teilweise unbewohnbaren Zustand gewesen. Seinen Rechtsvorgängern hätten die finanziellen Möglichkeiten gefehlt, die sich im Fall einer Rückgabe der Gebäude für sie ergebenden Eigentümerpflichten zu erfüllen. Deshalb seien sie gezwungen gewesen, auf das Eigentum an den bebauten Grundstücken zu verzichten. Dies sei allein aber nicht möglich gewesen. Vielmehr habe man sie gezwungen, auf den gesamten landwirtschaftlichen Betrieb, also auch auf das Eigentum an den unbebauten Grundstücken zu verzichten, um die Genehmigung des Verzichts für die bebauten Grundstücke zu erlangen.
Durch Beschluss vom 16. August 2000 hat das Verwaltungsgericht das Verfahren bis zu einer Entscheidung des Beklagten über den vermögensrechtlichen Anspruch hinsichtlich der bebauten Flurstücke 34 und 35/1 ausgesetzt.
Mit Bescheid vom 16. Januar 2003 übertrug der Beklagte die beiden bebauten Flurstücke 34 und 35/1 an den Kläger zurück. Hinsichtlich dieser Grundstücke seien die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 VermG erfüllt. Die Überschuldung der Grundstücke habe unmittelbar bevorgestanden, weil die infolge des unaufschiebbaren Instandsetzungsbedarfs in Ansatz zu bringenden Verbindlichkeiten den Einheitswert deutlich überschritten hätten. Der Bescheid ist gegenüber dem Kläger und der Beigeladenen zu 1 bestandskräftig geworden. Die Beigeladene zu 2 war am Verwaltungsverfahren nicht beteiligt.
In dem nach Erlass des Bescheides vom 16. Januar 2003 vom Verwaltungsgericht wieder aufgenommenen Verfahren hat der Kläger beantragt, den Teilbescheid des Landratsamtes S.-H.-Kreis vom 1. Juni 1995 (Az.: EV/194/94 1607) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des … Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 11. Juli 1996 (GeschZ.: W-…) aufzuheben und an den Kläger die ehemals im Grundbuch von M… Bl. 28 als Flurstück 86, 99, 166, 176, 187, 211, 217, 239, 279, 110/1, 110/2 und 114/1 sowie das im Grundbuch von M…, ehemals Bl. 29 als Flurstück 205 eingetragene Flurstück – letzteres nur als hälftiges Miteigentum – zurückzuübertragen.
Der Beklagte und die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Nach Einvernahme mehrerer Zeugen zum Zustand der Gebäude Mitte der 80er Jahre und zum Hintergrund des Verzichtes auf das Eigentum an den unbebauten Grundstücken hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 9. Dezember 2004 den Beklagten antragsgemäß verpflichtet. Die Voraussetzungen einer Rückübertragung auf der Grundlage der § 3 Abs. 1, § 2 Abs. 1 VermG lägen vor. Der Kläger sei aus abgetretenem Recht Berechtigter, weil die hier streitgegenständlichen unbebauten Grundstücke des ehemaligen landwirtschaftlichen Betriebes aufgrund einer unlauteren Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG in Volkseigentum übernommen worden seien. Eine rechtswidrige Einflussnahme auf die Willensbetätigungsfreiheit durch Drohung mit einem empfindlichen Übel liege dann vor, wenn dem Eigentümer eines überschuldeten Grundstücks in Aussicht gestellt wurde, den Eigentumsverzicht ohne Einbeziehung eines nicht verschuldeten Grundstücks nicht genehmigen zu wollen. Die Rechtsvorgänger des Klägers hätten sich im Zeitpunkt des Eigentumsverzichts 1984 bezogen auf die bebauten Flurstücke 34 und 35/1 in einer ökonomischen Zwangslage befunden, die die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 VermG erfüllt habe. Die Beigeladene zu 2 müsse zwar die Feststellungen des Bescheides vom 16. Januar 2003 nicht gegen sich gelten lassen, weil ihr gegenüber der Bescheid nicht in Bestandskraft erwachsen sei. Der Bescheid habe aber zu Recht festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 VermG vorlägen. Dessen Anwendbarkeit stehe nicht entgegen, dass die Flurstücke seinerzeit an das VEG verpachtet gewesen und durch dieses auch die Mieten vereinnahmt worden seien. Denn hier bestehe die Besonderheit, dass den seinerzeitigen Eigentümern allein die Gebäudegrundstücke und nicht die unbebauten Grundstücke zurückgegeben werden sollten. Dass die Rückgabe der Gebäudegrundstücke unmittelbar bevorstand, habe die Beweisaufnahme bestätigt. Mit der Rückgabe hätten die damaligen Eigentümer zukünftig für die Instandhaltung und Instandsetzung aufkommen müssen. Insofern sei ihre Situation seinerzeit vergleichbar mit der eines Erben, der sich mit Eintritt des Erbfalls damit konfrontiert sehe, ein Miethaus übernehmen zu müssen, das sich mit den erzielbaren Mieten nicht erhalten lasse. Es stehe aufgrund des Akteninhalts und der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest, dass den Rechtsvorgängern des Klägers der Verzicht auf die bebauten Grundstücke nur unter der Bedingung genehmigt worden sei, dass sie auch auf die unbebauten Grundstücke verzichteten.
Gegen das Urteil hat die Beigeladene zu 2 die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 9. Dezember 2004 – Az.: 6 K 352/03 GE – aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
den Antrag der Revisionsklägerin abzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 1 stellen keine Anträge.
Entscheidungsgründe
II
Die Entscheidung konnte gemäß §§ 141, 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO im schriftlichen Verfahren ergehen, weil die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet haben. Der Verzicht der Beigeladenen zu 1 ergibt sich aus ihrem Schriftsatz vom 4. September 2006.
Die zulässige Revision ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht und stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rückübertragung der streitgegenständlichen Grundstücke gemäß § 3 Abs. 1 VermG, weil er nicht Berechtigter im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG ist. Die Grundstücke waren nicht von einer Maßnahme nach § 1 VermG betroffen. Der hier allein in Betracht kommende Verlust des Eigentums aufgrund unlauterer Machenschaften im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG liegt zwar in der Form der rechtswidrigen Einflussnahme auf die Willensbetätigungsfreiheit durch Drohung mit einem empfindlichen Übel auch dann vor, wenn dem Eigentümer eines überschuldeten Grundstücks in Aussicht gestellt wurde, den Eigentumsverzicht ohne Einbeziehung eines nicht verschuldeten Grundstücks nicht genehmigen zu wollen (stRspr vgl. Urteile vom 24. Oktober 2001 – BVerwG 8 C 31.00 – Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 22 und – BVerwG 8 C 32.00 – Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 31). Der Senat hat im Urteil vom 24. Oktober 2001 – BVerwG 8 C 32.00 – (a.a.O. S. 93) hierzu Folgendes ausgeführt:
“In den Gesamtverzichtsfällen setzt eine unlautere Machenschaft in Gestalt einer Nötigung hinsichtlich der weiteren Grundstücke voraus, dass hinsichtlich des bebauten Grundstücks die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 VermG vorlagen, weil … das empfindliche Übel, mit dem gedroht wurde, darin bestand, dass der Eigentümer das überschuldete Grundstück behalten musste. Zwar ist davon auszugehen, dass es durchaus ökonomische Zwangssituationen gab, in denen ein vernünftiger Eigentümer unter den in der DDR geltenden Bedingungen bestrebt sein musste, auf das Grundstück zu verzichten, obwohl dadurch der Tatbestand des § 1 Abs. 2 VermG nicht erfüllt wurde, z.B. immer dann, wenn die Überschuldung nicht kausal auf die Niedrigmietenpolitik der DDR zurückzuführen war. Dies mag im strafrechtlichen Sinne als Nötigung anzusehen sein. Eine solche allein auf die strafrechtliche Dogmatik abhebende Betrachtungsweise würde aber die gesetzliche Wertung des § 1 Abs. 2 VermG unterlaufen, wonach (nur) die tatbestandsmäßige Überschuldung infolge nicht kostendeckender Mieten ein restitutionswürdiges Unrecht darstellt und nicht schon jeder unter den planwirtschaftlichen Verhältnissen gegebene ökonomische Zwang. Die gesetzgeberische Wertung in § 1 Abs. 2 VermG muss auf die Voraussetzungen für die Annahme einer Nötigung hinsichtlich der weiteren Grundstücke durchschlagen. Anderenfalls würden in derartigen Fällen die weiteren Grundstücke gemäß § 1 Abs. 3 VermG zurückübertragen, während hinsichtlich des überschuldeten Grundstücks keine Restitution stattfinden würde, obwohl dieses der eigentliche Hebel für die Nötigung des Alteigentümers war.”
Hieran hält der Senat fest.
Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 VermG liegen hier aber hinsichtlich der bebauten Grundstücke nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass es trotz der Bestandskraft des Bescheides vom 16. Januar 2003 gegenüber dem Kläger und der Beigeladenen zu 1 nicht gehindert ist, das Vorliegen der Voraussetzungen des Tatbestandes des § 1 Abs. 2 VermG zu prüfen. Denn diesem Bescheid kommt nur Tatbestands-, aber keine Feststellungswirkung zu. Die Tatbestandswirkung hat zum Inhalt, dass die durch den Verwaltungsakt für einen bestimmten Rechtsbereich getroffene Regelung als gegeben hingenommen werden muss (vgl. Urteil vom 28. November 1986 – BVerwG 8 C 122 – 125.84 – Buchholz 454.4 § 83 II. WoBauG Nr. 21), mithin dass der Bescheid mit dem von ihm in Anspruch genommenen Inhalt von allen rechtsanwendenden Stellen (Behörden und Gerichte, letztere soweit sie nicht zur Entscheidung über Rechtsbehelfe gegen den Bescheid berufen sind) zu beachten und eigenen Entscheidungen zugrunde zu legen ist (vgl. Urteil vom 27. Oktober 1998 – BVerwG 1 C 19.97 – Buchholz 451.09 IHKG Nr. 12). Aus der Tatbestandswirkung folgt demgemäß nur, dass die in den erwähnten Bescheiden ausgesprochene Rückübertragung der bebauten Grundstücke verbindlich ist. Eine darüber hinausgehende Feststellungswirkung kommt der Rückübertragungsentscheidung hinsichtlich der bebauten Grundstücke bei der vorliegend zu treffenden Entscheidung über die landwirtschaftlichen Flächen nicht zu; denn eine solche Wirkung muss ausdrücklich gesetzlich angeordnet sein (Urteil vom 24. Oktober 2001 – BVerwG 8 C 32.00 – a.a.O.). Das ist hier nicht der Fall.
Die Beigeladene zu 2 muss sich auch nicht das Verhalten der Beigeladenen zu 1 zurechnen lassen, die den Bescheid vom 16. Januar 2003 nicht angefochten hatte. Die Beigeladenen sind selbstständige, voneinander unabhängige juristische Personen des Privatrechts, die zwar beide vom Bund gegründet wurden, aber sich das rechtliche Handeln des anderen nicht zurechnen lassen müssen.
Das Verwaltungsgericht verletzt aber Bundesrecht, indem es hier die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 VermG bejaht hat, obwohl die Alteigentümer die Wohngrundstücke zusammen mit dem gesamten landwirtschaftlichen Betrieb dem VEG zur Nutzung überlassen hatten.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG keine Grundstücke erfasst, die in eine LPG eingebracht und damit der Bewirtschaftung durch den Alteigentümer entzogen waren (stRspr seit Beschluss vom 17. Dezember 1998 – BVerwG 7 B 327.98 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 168). Da § 1 Abs. 2 VermG die Wiedergutmachung der durch die Niedrigmietenpolitik der DDR bewirkten “kalten” Enteignungen anordnet, liegt dies auf der Hand. Weil dem Grundstückseigentümer in solchen Fällen der Mietzins ohnehin nicht zugute kam, konnte er durch die unzureichende Höhe der Miete nicht selbst in der in § 1 Abs. 2 VermG vorausgesetzten Weise geschädigt werden. Das gilt nicht nur für Grundstücke, die in eine LPG eingebracht waren, sondern auch dann, wenn der Eigentümer sie der LPG oder einem Dritten aufgrund eines Pachtvertrages überlassen hatte (Beschluss vom 18. Oktober 2004 – BVerwG 7 B 133.04 – Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 31). Auch ein solcher “vertraglich entmachteter” Eigentümer (vgl. Urteil vom 2. September 1998 – BVerwG 11 C 4.97 – BVerwGE 107, 177 ≪186≫ = Buchholz 424.02 § 64 LwAnpG Nr. 3 S. 11 ≪19≫) hatte in Bezug auf ein von der Nutzungsvereinbarung erfasstes Wohngebäude keinen Anspruch auf Mietzins und konnte darum nicht durch die Niedrigmietenpolitik in eine ökonomische Zwangslage gebracht werden. Das auf der Grundlage der Verordnung vom 3. September 1953 über die Bewirtschaftung freier Betriebe und Flächen und die Schaffung von Betrieben der örtlichen Landwirtschaft (GBl DDR S. 983) vereinbarte Nutzungsentgelt in Form der Übernahme der öffentlichen Lasten war offensichtlich kein Mietzins, sondern im Interesse der staatlich verfolgten Kollektivierung der Landwirtschaft geschuldet (vgl. die Erste Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Bewirtschaftung freier Betriebe und Flächen und die Schaffung von Betrieben der örtlichen Landwirtschaft vom 30. September 1953, GBl DDR S. 1013). Die Folgen einer derart durch die Zwangskollektivierung bedingten Einschränkung der Nutzungsbefugnisse werden von § 1 Abs. 2 VermG nicht erfasst. Denn hier liegt der Unrechtsgehalt in der durch die Zwangskollektivierung bedingten Entziehung der Nutzungsbefugnisse und ihren Folgen und nicht darin, dass der Vermögenswert wegen geringer Nutzungsentgelte verlustig gegangen ist. Es handelt sich daher um unterschiedliche Lebenssachverhalte, denen der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Schädigungstatbestände des § 1 VermG in differenzierter Weise Rechnung tragen durfte (Beschluss vom 17. Dezember 1998 – BVerwG 7 B 327.98 – a.a.O.).
Hier hatten die seinerzeitigen Eigentümer den gesamten landwirtschaftlichen Betrieb aufgrund von Nutzungsverträgen zunächst mit der Gemeinde, später direkt mit dem VEG, dem VEG überlassen, das auch die Mieten vereinnahmte. Damit waren sie der Niedrigmietenpolitik der DDR nicht unmittelbar ausgesetzt. Nur die hierauf beruhenden Schäden sollen aber mit der Regelung des § 1 Abs. 2 VermG ausgeglichen werden. Die Alteigentümer sind auch nicht mit dem Erben vergleichbar, der sich mit dem Eintritt des Erbfalls damit konfrontiert sieht, ein Miethaus übernehmen zu müssen, das sich mit den erzielbaren Mieten nicht erhalten lässt. Denn der Erbe tritt als Rechtsnachfolger in die Rechtsposition desjenigen ein, der selbst von der “kalten Enteignung” bedroht war.
Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts die damaligen Eigentümer damit rechnen mussten, dass das VEG, das diesen Teil des landwirtschaftlichen Betriebes nicht mehr benötigte, ihnen (nur) die bebauten Grundstücke zurückgeben wollte und damit ihre Verantwortung für die Instandsetzung und den Unterhalt der zwischenzeitlich völlig heruntergekommenen Wohnungen wieder aufleben würde. Auch wenn die Rückgabe die Alteigentümer sicherlich in eine sehr schwierige finanzielle Zwangslage gebracht hätte, ist dies nicht die Situation, die der Gesetzgeber mit der Regelung des § 1 Abs. 2 VermG wieder gutmachen wollte. Sie ist vielmehr vergleichbar dem Fall, dass die Sanierungsbedürftigkeit der Gebäude ihre Ursache in der Nutzung durch die Rote Armee bei gleichzeitigem Ausschluss jeder Einwirkung durch den Eigentümer hatte, was ebenfalls vom Regelungsbereich des § 1 Abs. 2 VermG nicht erfasst wird. Die Vorschrift will nämlich nicht jede von staatlichen Stellen verursachte oder auch nur geduldete Überschuldung des Grundstücks ausgleichen, sondern ausschließlich eine solche, die gerade auf der Mietenpolitik in der ehemaligen DDR beruhte (vgl. Beschlüsse vom 15. November 1999 – BVerwG 8 B 164.99 – Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 4 und vom 16. August 2000 – BVerwG 8 B 40.00 – Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 9). Auch hier war es so, dass die Alteigentümer aufgrund des Pachtvertrages von jeder Einwirkung auf die Gebäude ausgeschlossen waren. Ihre Schädigung erfolgte primär durch die vertraglich kaschierte Zwangskollektivierung. Dies ist ein vom Gesetzgeber nicht zur Wiedergutmachung vorgesehener Schädigungstatbestand.
Auf der fehlerhaften Anwendung des § 1 Abs. 2 VermG beruht das Urteil des Verwaltungsgerichts. Denn wenn die Voraussetzungen des Schädigungstatbestandes des § 1 Abs. 2 VermG hinsichtlich der bebauten Grundstücke nicht vorliegen, so ist die Verknüpfung der Genehmigung des Verzichts auf das Eigentum an diesen Grundstücken mit dem Verzicht auf weitere Grundstücke keine Nötigung im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG. Anderenfalls würden in derartigen Fällen die weiteren Grundstücke gemäß § 1 Abs. 3 VermG zurückübertragen, während hinsichtlich der überschuldeten Grundstücke keine Restitution stattfinden müsste, obwohl diese der eigentliche Hebel für die Nötigung des Alteigentümers waren (Urteil vom 24. Oktober 2001 – BVerwG 8 C 31.00 – a.a.O.).
Anhaltspunkte dafür, dass der Eigentumsverlust der Alteigentümer an den unbebauten Grundstücken auf sonstigen unlauteren Machenschaften im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG oder auf einem anderen Schädigungstatbestand des § 1 VermG beruhte, bestehen nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Gödel, Dr. von Heimburg, Postier, Dr. Hauser
RiBVerwG Dr. Pagenkopf ist infolge Urlaubs verhindert zu unterschreiben.
Gödel
Fundstellen