Entscheidungsstichwort (Thema)
Humanarzneimittel. Richtlinie 2001/83/EG. Werbung. Medizinische Zeitschrift. Angaben, die nicht in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels enthalten sind
Beteiligte
Tenor
1. Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 ist dahin gehend auszulegen, dass er auch Zitate aus medizinischen Zeitschriften oder wissenschaftlichen Werken erfasst, die in einer Werbung für ein Arzneimittel enthalten sind, die sich an die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugten Personen richtet.
2. Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 in der Fassung der Richtlinie 2004/27 ist dahin gehend auszulegen, dass er es untersagt, in einer Werbung für ein Arzneimittel bei den zu seiner Verschreibung oder Abgabe befugten Personen Aussagen zu veröffentlichen, die im Widerspruch zur Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels stehen, aber nicht gebietet, dass alle in der entsprechenden Werbung enthaltenen Aussagen in dieser Zusammenfassung enthalten oder daraus abzuleiten sein müssen. Eine solche Werbung kann Aussagen enthalten, mit denen die Angaben gemäß Art. 11 der Richtlinie ergänzt werden, sofern diese Aussagen
- die entsprechenden Angaben bestätigen oder in einem mit ihnen zu vereinbarenden Sinne präzisieren, ohne sie zu verfälschen, und
- den Anforderungen nach Art. 87 Abs. 3 und Art. 92 Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie entsprechen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tartu ringkonnakohus (Estland) mit Entscheidung vom 11. Juni 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Juli 2009, in dem Verfahren
Novo Nordisk AS
gegen
Ravimiamet
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters D. Šváby (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász und J. Malenovský,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. September 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Novo Nordisk AS, vertreten durch M. Männik, advokaat, und A. Kmiecik, Solicitor,
- der estnischen Regierung, vertreten durch L. Uibo und M. Linntam als Bevollmächtigte,
- der belgischen Regierung, vertreten durch A. Wespes und T. Materne als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
- der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und A. P. Antunes als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Šimerdová und E. Randvere als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Oktober 2010
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311, S. 67) in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. L 136, S. 34) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/83).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft Novo Nordisk AS (im Folgenden: Novo Nordisk) und dem Ravimiamet (Arzneimittelamt der Republik Estland) wegen dessen Verfügung, mit der Novo Nordisk aufgegeben wurde, die Werbung für Levemir (Insulin Detemir) zu beenden, weil diese gegen das Arzneimittelgesetz (Ravimiseadus, im Folgenden: RavS), insbesondere seinen § 83 Abs. 3 a. E., verstoße, wonach die Werbung für ein Arzneimittel keine Angaben enthalten darf, die sich nicht in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels finden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 47, 48 und 52 der Richtlinie 2001/83 lauten:
„(47) Die Arzneimittelwerbung bei Personen, die zur Verschreibung oder Abgabe von Arzneimitteln berechtigt sind, trägt zu deren Information bei. Diese Werbung ist jedoch strengen Voraussetzungen und einer wirksamen Kontrolle zu unterwerfen, wobei insbesondere den im Rahmen des Europarats durchgeführten Arbeiten Rechnung zu tragen ist.
(48) Die Arzneimittelwerbung muss angemessen und wirksam kontrolliert werden. Die entsprechenden Kontrollmechanismen sollten in Anlehnung an die Richtlinie 84/450/EWG ausgewählt werden.
…
(52) Die zur Verschreibung oder Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Personen müssen zwar über eine neutrale und objektive Informationsquelle über die auf dem Markt angebotenen Arzneimittel verfügen, es obliegt jedoch den Mitgliedstaaten, die dafür geeigneten Maßnahmen unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen besonderen Lage ...