Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex). Abschaffung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen des Schengen-Raums. Kontrollen innerhalb des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats. Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen. Regelung eines Mitgliedstaats, wonach ein Betreiber von Buslinien beim Überschreiten der Binnengrenzen des Schengen-Raums die Reisepässe und Aufenthaltstitel der Passagiere kontrollieren muss. Sanktion. Androhung der Verhängung eines Zwangsgelds
Normenkette
EGV Nr. 562/2006 Art. 20-21
Beteiligte
Bundesrepublik Deutschland |
Touring Tours und Travel GmbH |
Sociedad de Transportes SA |
Tenor
Art. 67 Abs. 2 AEUV sowie Art. 21 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 610/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie den in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, nach denen jeder Beförderungsunternehmer, der im Schengen-Raum einen grenzüberschreitenden Linienbusverkehr mit Zielort im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats betreibt, verpflichtet ist, den Pass und den Aufenthaltstitel der Passagiere vor dem Überschreiten einer Binnengrenze zu kontrollieren, um zu verhindern, dass Drittstaatsangehörige, die nicht im Besitz dieser Reisedokumente sind, in das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats befördert werden, und nach denen die Polizeibehörden zur Durchsetzung dieser Kontrollpflicht zwangsgeldbewehrte Verfügungen zur Untersagung solcher Beförderungen an Beförderungsunternehmer richten können, die nach ihren Feststellungen Drittstaatsangehörige, die nicht im Besitz der genannten Reisedokumente waren, in das betreffende Hoheitsgebiet befördert haben.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidungen vom 1. Juni 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Juli 2017 (C-412/17) und am 8. August 2017 (C-474/17), in den Verfahren
Bundesrepublik Deutschland
gegen
Touring Tours und Travel GmbH (C-412/17),
Sociedad de Transportes SA (C-474/17)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Ersten Kammer J.-C. Bonichot in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer, der Richterinnen A. Prechal (Berichterstatterin) und C. Toader sowie der Richter A. Rosas und M. Ilešič,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juni 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Rechtsanwalt W. Roth,
- der deutschen Regierung, vertreten durch S. Eisenberg und T. Henze als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und G. Wils als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. September 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung des Art. 67 Abs. 2 AEUV sowie der Art. 20 und 21 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. 2006, L 105, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 610/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. 2013, L 182, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 562/2006).
Rz. 2
Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Touring Tours und Travel GmbH mit Sitz in Deutschland (Rechtssache C-412/17) und der Sociedad de Transportes SA mit Sitz in Spanien (Rechtssache C-474/17), zwei Busreiseunternehmen (im Folgenden zusammen: fragliche Beförderungsunternehmer), auf der einen Seite und der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundespolizeipräsidium (Deutschland), auf der anderen Seite wegen der Rechtmäßigkeit von Verfügungen des Bundespolizeipräsidiums, mit denen den fraglichen Beförderungsunternehmern unter Androhung eines Zwangsgelds untersagt wurde, Drittstaatsangehörige, die nicht im Besitz des erforderlichen Passes und Aufenthaltstitels sind, in das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zu befördern.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
Das Zusatzprotokoll gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, Luft- und Seeweg zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität wurde entsprechend dem Beschluss 2001/87/EG des Rates vom 8. Dezember 2000 (ABl. 2001, L 30, S. 44) am 12. Dezember 2000 von der Europäischen Gemein...