Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherschutz. Angabe der Preise für Erzeugnisse. Begriff ‚Verkaufspreis‘. Waren, die in Pfandbehältern verkauft werden. Nationale Regelung, nach der der Pfandbetrag neben dem Verkaufspreis anzugeben ist
Normenkette
Richtlinie 98/6/EG Art. 2 Buchst. a
Beteiligte
Verband Sozialer Wettbewerb (Contenants consignés) |
Verband Sozialer Wettbewerb e. V. |
famila-Handelsmarkt Kiel GmbH & Co. KG |
Tenor
Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse
ist dahin auszulegen, dass
der dort vorgesehene Begriff des Verkaufspreises nicht den Pfandbetrag enthält, den der Verbraucher beim Kauf von Waren in Pfandbehältern zu entrichten hat.
Tatbestand
In der Rechtssache C-543/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Beschluss vom 29. Juli 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 31. August 2021, in dem Verfahren
Verband Sozialer Wettbewerb e. V.
gegen
famila-Handelsmarkt Kiel GmbH & Co. KG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter M. Safjan, N. Piçarra (Berichterstatter), N. Jääskinen und M. Gavalec,
Generalanwalt: N. Emiliou,
Kanzler: S. Beer, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. Oktober 2022,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – des Verbands Sozialer Wettbewerb e. V., vertreten durch Rechtsanwalt D. Marquardt,
- – der famila-Handelsmarkt Kiel GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt C. Rohnke,
- – der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und A. Hoesch als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Februar 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. a und Art. 10 der Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse (ABl. 1998, L 80, S. 27) sowie der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. 2005, L 149, S. 22).
Rz. 2
Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Verband Sozialer Wettbewerb e. V. (im Folgenden: VSW), einem Verein deutschen Rechts, der zum Ziel hat, die Einhaltung des Wettbewerbsrechts zu überwachen, und der famila-Handelsmarkt Kiel GmbH & Co. KG (im Folgenden: famila), einer Handelsgesellschaft, die Lebensmittel vertreibt, über die Frage, ob der von den Verbrauchern zu zahlende Pfandbetrag in den Verkaufspreis von Waren in Pfandbehältern einzubeziehen ist.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 2, 6 und 12 der Richtlinie 98/6 heißt es:
„(2) Es gilt, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten. Die [Europäische] Gemeinschaft sollte dazu mit spezifischen Aktionen beitragen, die die Politik der Mitgliedstaaten betreffend eine genaue, transparente und unmissverständliche Information der Verbraucher über die Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse unterstützen und ergänzen.
…
(6) Die Verpflichtung, den Verkaufspreis … anzugeben, trägt merklich zur Verbesserung der Verbraucherinformation bei, da sie den Verbrauchern auf einfachste Weise optimale Möglichkeiten bietet, die Preise von Erzeugnissen zu beurteilen und miteinander zu vergleichen und somit anhand einfacher Vergleiche fundierte Entscheidungen zu treffen.
…
(12) Eine Regelung auf Gemeinschaftsebene stellt eine einheitliche und transparente Information zugunsten sämtlicher Verbraucher im Rahmen des Binnenmarkts sicher. …“
Rz. 4
Die Richtlinie 98/6 regelt nach ihrem Art. 1 „die Angabe des Verkaufspreises und des Preises je Maßeinheit bei Erzeugnissen, die Verbrauchern von Händlern angeboten werden; dadurch soll für eine bessere Unterrichtung der Verbraucher gesorgt und ein Preisvergleich erleichtert werden“.
Rz. 5
Art. 2 der Richtlinie 98/6 sieht vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
a)‚Verkaufspreis‘den Endpreis für eine Produkteinheit oder eine bestimmte Erzeugnismenge, der die Mehrwertsteuer und alle sonstigen Steuern einschließt;
…“
Rz. 6
Art. 3 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 98/6 bestimmt:
„(1) Bei den in Artikel 1 bezeichneten Erzeugnissen sind der Verkaufspreis und der Preis je Maßeinheit anzugeben …
…
(4) Bei jeglicher Werbu...