Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerb eines Dieselfahrzeugs: Deliktischer Schadensersatzanspruch bei Behauptung einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware
Leitsatz (amtlich)
1. Für eine deliktische Haftung des Herstellers nach §§ 826, 31 BGB wegen Täuschung im EG-Typengenehmigungsverfahren durch bewusstes Verbauen einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware genügt es, wenn der Anspruchsteller einen Sachverhalt ("Mangelanlage"/Grundmangel) darlegt, der dazu führen kann, dass die deutsche Zulassungsbehörde eine Betriebsuntersagung oder -beschränkung nach § 5 Abs. 1 FZV vornimmt, weil das Fahrzeug wegen der gegen Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG verstoßenden Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ (§ 3 Abs. 1 Satz 2 FZV) entspricht. (Rn. 5)
2. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt nicht voraus, dass eine Untersagung der Betriebserlaubnis unmittelbar bevorgestanden hätte. Es genügt, dass nicht feststand, welche der rechtlich möglichen und grundsätzlich auch die Vornahme einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV umfassenden Maßnahmen die Behörden bei Aufdeckung der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung in Form der Umschaltlogik ergreifen würden (vgl. BGH, 27. Juli 2021, VI ZR 151/20). (Rn. 5)
3. Diese Gefahr besteht nicht nur bei einer bereits erfolgten Umrüstungsanordnung der zuständigen Typgenehmigungsbehörde. Vielmehr liegt sie auch in den Fällen vor, in denen die zuständige EG-Typgenehmigungsbehörde eine entsprechende Maßnahme gegenüber dem Hersteller noch nicht gefordert beziehungsweise noch nicht ihr Einverständnis mit einem solchen Vorgehen erklärt hat (vgl. BGH, 21. Juli 2021, VIII ZR 357/20). (Rn. 5)
4. Ein solches Einverständnis liegt vor, wenn das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) den betroffenen Motortyp (hier: EA 288) bereits (nachträglich) überprüft und es hierbei zu dem Ergebnis gelangt ist, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen vorliegen und darüber hinaus auch keine anderweitigen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass im betroffenen Fahrzeug gleichwohl eine unzulässige, im EG-Typengenehmigungsverfahren verschwiegene und auch bei der nachträglichen Prüfung unentdeckt gebliebene Abschalteinrichtung vorhanden ist, aufgrund der in der - näheren oder ferneren - Zukunft eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung gem. § 5 Abs. 1 FZV drohen könnte. (Rn. 6)
5. In einem solchen Fall muss der Kläger Anhaltspunkte darlegen, aus denen sich die Möglichkeit ergibt, dass für sein Fahrzeug anderes gelten und das KBA unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten Anlass zu einer inhaltlich abweichenden Auskunft und Beurteilung haben könnte. (Rn. 6)
6. Selbst wenn eine temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung in Form eines Thermofensters als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren wäre, genügte der darin liegende Gesetzesverstoß des Fahrzeug- und Motorherstellers jedenfalls nicht, dessen Gesamtverhalten als sittenwidrig zu qualifizieren (vgl. BGH, 9. März 2021, VI ZR 889/20). (Rn. 37)
Normenkette
BGB §§ 31, 826; EGV 715/2007 Art. 5 Abs. 2 S. 1; FZV § 3 Abs. 1 S. 2, § 5 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 30.06.2021; Aktenzeichen 11 O 342/20) |
Tenor
1. Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf bis zu 30.000 EUR festgesetzt.
2. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 11. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 30. Juni 2021 durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
3. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme und zur evtl. Rücknahme der Berufung aus Kostengründen innerhalb einer Frist von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
Die Rechtssache dürfte keine grundsätzliche Bedeutung haben, eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dürfte nicht erforderlich und eine mündliche Verhandlung nicht geboten sein. Nach vorläufiger Beurteilung hat die Berufung des Klägers darüber hinaus auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg:
1. Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Zwar kommt, wenn unter Täuschung im EG-Typengenehmigungsverfahren bewusst eine unzulässige Motorsteuerungssoftware verbaut wird, eine deliktische Haftung des Herstellers nach §§ 826, 31 BGB grundsätzlich in Betracht (vgl. BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -; jew. vom 30. Juli 2020 - VI ZR 354/19 -; - VI ZR 367/19 -; - VI ZR 397/19 -; - VI ZR 5/20 - und vom 19. Januar 2021 - VI ZR 8/20 -; vgl. ferner: OLG Celle, Urteile vom 20. November 2019 - 7 U 244/18 -, Rn. 26 ff. und vom 22. Januar 2020 - 7 U 445/18 -; jew. juris). Dem Vorbringen des Klägers lassen sich die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Schadensersatz gegen die Beklagte aber nicht schlüssig entnehmen.
a) Ein Sachvortrag ist zur Begründung eines Anspruchs dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich ...