Entscheidungsstichwort (Thema)

Sorgfaltspflicht beim Fahrstreifenwechsel, Anscheinsbeweis

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nähert sich ein Fahrzeugführer bei einer 2- oder mehrspurigen Straße einer auf seiner Fahrspur langsam fahrenden oder stehenden Fahrzeugschlange, so hat er bei einem Fahrstreifenwechsel zum Zweck des Überholens ebenso die Vorschrift des § 7 StVO zu beachten wie ein Pkw-Fahrer, der mit seinem Wagen aus der Fahrzeugschlange heraus auf den linken Fahrstreifen wechseln will.

2. In einer derartigen Verkehrssituation ist sorgfältig anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob ggü. dem vorderen, aus der Fahrzeugschlange ausscherenden Pkw-Fahrer ein Anscheinsbeweis hinsichtlich der Nichtbeachtung der Sorgfaltsanforderungen des § 7 Abs. 5 StVO spricht.

Die Voraussetzungen für die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises sind nicht erfüllt, wenn der Überholende z.B. den Fahrstreifenwechsel abrupt und mit unverminderter - situationsbezogen zu hoher - Geschwindigkeit vornimmt.

 

Normenkette

StVO § 7 Abs. 1, 5

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 03.05.2007; Aktenzeichen 14 O 143/06)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Einzelrichters der 14. Zivilkammer des LG Hannover vom 3.5.2007 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

(gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO):

Die Berufung der Klägerin ist in jeder Hinsicht unbegründet. Sie bietet keine Veranlassung, das angefochtene Urteil abzuändern.

1. Der streitbefangene Verkehrsunfall vom 28.12.2005 auf der Vahrenwalder Straße in Hannover war für den Ehemann der Klägerin - den Zeugen Krop - nicht nur nicht unabwendbar; ihn trifft auch am Zustandekommen des Verkehrsunfalls ein gravierendes Verschulden. Demgegenüber kann sich die Klägerin - entgegen ihrer Ansicht und auch der des LG im angefochtenen Urteil - nicht auf einen Anscheinsbeweis zu Lasten der Beklagten berufen.

a) Wenn der Zeuge Krop den Fahrstreifen nicht so abrupt und mit unverminderter Geschwindigkeit ("Formel-1-haft", wie es der unbeteiligte Zeuge Wassermann bezeichnet hat) gewechselt hätte, wäre es nicht zu dem Unfall gekommen. Er war durchaus nicht genötigt, den Fahrstreifen so plötzlich und für die in der Kolonne wartenden Pkw-Fahrer unvorhersehbar nach links zu verlassen. Allein schon deshalb war der Verkehrsunfall für ihn ohne weiteres vermeidbar. Er hätte sich - wie die vorausfahrenden Pkw-Fahrer - am Ende der Lücke einreihen oder mit deutlich herabgesetzter Geschwindigkeit den Fahrstreifen nach links verlassen können.

b) Jeder Fahrstreifenwechsel verlangt die Einhaltung äußerster Sorgfalt, sodass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, § 7 Abs. 5 StVO (vgl. nur KG KGReport Berlin 2004, 106 = VRS 106, 23). Auch als Überholender hatte der Zeuge Krop den vorausfahrenden Verkehr sorgfältig zu beobachten und sein Verhalten danach einzurichten. Ihn traf eine grundsätzliche Pflicht zur Gefahrenabwehr (vgl. Janiszewski/Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 19. Aufl., § 7 StVO Rz. 24; § 5 StVO Rz. 32 m.w.N.). Der Zeuge Krop hat sich nicht gemäß diesen auch für ihn geltenden Sorgfaltsanforderungen der Straßenverkehrsordnung verhalten:

Nach seinem eigenen Bekunden soll der Stau auf dem rechten der beiden Linksabbiegerfahrstreifen etwa 5 bis 7m vor den Beginn des linken Linksabbiegerfahrstreifens zurückgereicht haben. Demnach muss er mit dem Pkw der Klägerin praktisch unmittelbar hinter dem letzten Pkw der Fahrzeugschlange nach links den Fahrstreifen gewechselt haben. Er hat dies mit einer Geschwindigkeit von - seiner eigenen Bekundung nach "vom Gefühl her" - "ca. 40 km/h" getan, nach der Darstellung der Klägerin insbesondere in ihrer Berufungsbegründung soll die Geschwindigkeit "ortsüblich", nach Wahrnehmung des Zeugen Wassermann immerhin so hoch gewesen sein, dass er - der Zeuge Wassermann - "nicht mit der Geschwindigkeit des Audis auf das Stauende zugefahren" wäre (vgl. Bl. 122 d.A.).

Nach der Bekundung aller Zeugen, insbesondere der des Zeugen Krop selbst, überholte er mit dem Audi der Klägerin dann noch auf der linken Linksabbiegerspur maximal drei Pkw bis zum Kollisionspunkt. Das heißt, der Zeuge Krop hatte bis zur Kollision eine Strecke von ca. 14m zurückzulegen, da die Pkw in der Fahrzeugschlange auf der rechten Linksabbiegerspur unmittelbar hintereinander standen. Bei einer - für die Klägerin im günstigsten Fall - angenommenen Geschwindigkeit von 40 km/h legte ihr Audi die nach dem "Formel-1-haften" Fahrstreifenwechsel ihres Ehemannes bis zur Kollision verbleibende Strecke in etwa 1,25 Sekunden zurück. Fuhr der Zeuge Krop dagegen mit "ortsüblichen" 50 km/h, legt er diese Strecke in etwa einer Sekunde zurück.

c) Bei diesen Weg-Zeitverhältnissen hatte der Beklagte zu 1 praktisch kaum eine Chance, auch bei Beachtung der von ihm gem. § 7 Abs. 5 StVO für seinen Fahrstreifenwechsel gebotenen Sorgfalt, die anschließende Kollision zu vermeiden....

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