Leitsatz (amtlich)
Die bloße Wiederholung erstinstanzlich durch ein Sachverständigengutachten widerlegter Behandlungsfehlervorwürfe gibt regelmäßig keinen Anlass zur Wiederholung der Beweisaufnahme in der Berufungsinstanz.
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Aktenzeichen 4 O 1658/18) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 19. August 2020 ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 02. Februar 2021 wird aufgehoben.
Gründe
Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung des Klägers nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen.
Die zulässige Berufung des Klägers bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht unter Berücksichtigung des eingeholten Sachverständigengutachtens die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat beanstandungsfrei eine Haftung der Beklagten verneint, weil dem Kläger der Nachweis eines Behandlungsfehlers nicht gelungen ist. An die Feststellungen des Landgerichts ist der Senat gebunden. Denn es liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen begründen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Zwar ist das Berufungsverfahren auch nach Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes eine zweite - wenn auch eingeschränkte - Tatsacheninstanz, deren Aufgabe in der Gewinnung einer "fehlerfreien und überzeugenden" und damit "richtigen" Entscheidung des Einzelfalles besteht (BGH, Urteile vom 09. März 2005 - VIII ZR 266/03 - juris; vom 18. November 2004 - IX ZR 229/03 - juris vom 14. Juli 2004 - VIII ZR 164/03 - juris; Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722 S. 59 f.; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 14/6036, S. 118, 124). Die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts hinsichtlich der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung ist insbesondere nicht auf Verfahrensfehler und damit auf den Umfang beschränkt, in dem eine zweitinstanzliche Tatsachenfeststellung der Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt. Auch verfahrensfehlerfrei getroffene Tatsachenfeststellungen sind für das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht bindend, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Feststellungen unvollständig oder unrichtig sind. Dabei können sich Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere daraus, dass das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdigt als das Gericht der Vorinstanz. Besteht aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, ist es zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichtet (BGH, Urteil vom 14. Februar 2017 - VI ZR 434/15 - juris; Urteil vom 21. Juni 2016 - VI ZR 403/14 - juris; Urteil vom 9. März 2005 - VIII ZR 266/03 - juris; Senat, Beschluss vom 14. September 2017 - 4 U 975/17 -, Rn. 3 und Beschluss vom 10. Januar 2018 - 4 U 750/17 -, Rn. 20 - 8, juris).
Eine solche Wahrscheinlichkeit ist hier jedoch nicht gegeben. Die gegen die Beweiswürdigung der Kammer in der angefochtenen Entscheidung gerichteten Angriffe der Berufung geben keinen Anlass zu einer erneuten Beweisaufnahme, insbesondere nicht zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens.
Denn die bloße Behauptung eines Behandlungsfehlers entgegen den erstinstanzlichen Feststellungen, worauf die Berufungsbegründung des Klägers aber hinausläuft, genügt in zweiter Instanz nicht. Zwar ist eine Partei grundsätzlich nicht verpflichtet, bereits in erster Instanz ihre Einwendungen gegen ein Gerichtsgutachten auf die Beifügung eines Privatgutachtens oder auf sachverständigen Rat zu stützen oder selbst oder durch Dritte in medizinischen Bibliotheken Recherchen anzustellen, um Einwendungen gegen ein medizinisches Sachverständigengutachten zu formulieren (BGH, Urteil vom 08.06.2004 - VI ZR 199/03 - juris). Anders ist dies hingegen in der Berufungsinstanz. Würde man auch hier dem Patienten gestatten, ohne nähere Angaben seine eigene Meinung zu medizinischen Kausalzusammenhängen derjenigen eines gerichtlichen Sachverständigen entgegenzustellen, liefe dies auf eine Umgehung der in § 529 ...