Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Dem Anwendungsbereich von § 112 AktG unterfallen auch Streitigkeiten darüber, ob ein Prätenden um das Vorstandsamt wirksam berufen wurde oder nicht.

  • 2.

    Die Grundsätze zur organschaftlichen Vertretung von Kapitalgesellschaften bei Statusklagen gelten nicht nur für Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen, sondern auch für Streit- und einstweilige Verfügungsverfahren, in denen über die Wirksamkeit organschaftlicher Bestellungsakte gestritten wird.

  • 3.

    Nach Wortlaut und Normzweck von § 121 Abs. 6 AktG liegt eine Vollversammlung nur dann vor, wenn entweder sämtliche - auch die gemäß § 20 Abs. 1, Abs. 7 AktG nicht teilnahmeberechtigten - Aktionäre bei Beginn der Hauptversammlung präsent sind oder aber eine gesetzgemäße Bekanntgabe nach § 121 Abs. 3 AktG erfolgt ist.

 

Verfahrensgang

LG Dresden (Entscheidung vom 11.08.2006; Aktenzeichen 5 O 2281/06 EV)

 

Tenor

  • 1.

    Die Berufung der Verfügungskläger gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 11.08.2006 - 5 O 2281/06 EV - wird zurückgewiesen.

  • 2.

    Die Verfügungskläger tragen zu jeweils 1/3 die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der im Rechtsmittelverfahren angefallenen Kosten der Nebenintervention.

    Streitwert der Berufung: EUR 50.000,00

 

Gründe

A.

Die sich auf eine organschaftliche Vertretungsbefugnis durch den Verfügungskläger zu 2) (im Folgenden: Kläger zu 2)) berufende Verfügungsklägerin zu 1) (im Folgenden: Klägerin zu 1)) begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung, dem Verfügungsbeklagten (im Folgenden: Beklagten) zu untersagen, als ihr Vorstand zu handeln. Das gleiche Rechtsschutzziel verfolgen der Kläger zu 2) und der Verfügungskläger zu 3) (im Folgenden: Kläger zu 3), die jedenfalls bis zu den in ihren Wirkungen strittigen Beschlussfassungen der Hauptversammlung bzw. des Aufsichtsrats der Klägerin zu 1) vom 27.07.2006 deren Vorstand bzw. Aufsichtsratsvorsitzender waren.

Die Klägerin zu 1) wurde im Mai 2000 errichtet und im Juli 2000 in das Handelsregister eingetragen. An ihrem Grundkapital von EUR 500.000,00 waren die L S G (im Folgenden: Sachsen LB) zu 51 % und die Nebenintervenienten zu 49 % beteiligt. Zwischen diesen beiden Aktionären bestehen seit Jahren erhebliche Meinungsverschiedenheiten, die sich seit der außerordentlichen Hauptversammlung der Klägerin zu 1) vom 30.09.2003, auf welcher mit den Stimmen der Sachsen LB beschlossen wurde, das Grundkapital um EUR 5 Mio. zu erhöhen, verschärft haben. Nachdem die gegen diese Beschlussfassung gerichtete Anfechtungsklage der Nebenintervenientin rechtskräftig abgewiesen worden war (vgl. BGH, Urteil vom 24.04.2006 - II ZR 30/05 - AG 2006, 501 ff.), betrieb die Sachsen LB die Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister weiter. Mit Urteil vom 25.07.2006 - 2 U 969/06 - (Anlage HRO 8, Bl. 190 ff. dA) wies der Senat einen Antrag der Nebenintervenientin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit welcher der Klägerin zu 1) die weitere Durchführung der Kapitalerhöhungsverfahren untersagt werden sollte, zurück. Zwei Tage später, am 27.07.2006, fand nach Darstellung der Nebenintervenientin in den Räumen ihrer Prozessbevollmächtigten eine außerordentliche Hauptversammlung der Klägerin zu 1) statt. In der hierüber errichteten notariellen Niederschrift heißt es (vgl. Anlage AG 2, Bl. 137 ff. dA):

I. Teilnehmer

Anwesend waren:

1.

Vom Aufsichtsrat: niemand

2.

Vom Vorstand: niemand

3.

Der Aktionär und der Aktionärsvertreter, wie sie in dem dieser Niederschrift als Anlage 1 beigefügten Teilnehmerverzeichnis aufgeführt sind.

II. Vorsitz, Präsenz, Tagesordnung, Art der Abstimmung

Der Vertreter des einzigen teilnahmeberechtigten Aktionärs bestimmte Herrn R E zum Versammlungsleiter, dieser übernahm den Vorsitz und eröffnete um 12:25 Uhr die Versammlung.

Der Vorsitzende stellte fest, dass es sich um eine Spontanversammlung handele und keine Einladungen bekanntgemacht und verschickt worden seien. Die Verwaltungsorgane seien als solche ebenfalls nicht förmlich informiert. Es handele sich jedoch um eine Vollversammlung, da dem weiteren Aktionär wegen der Verletzung von § 20 Abs. 1 AktG weder ein Stimmrecht noch ein Teilnahmerecht zustehe:

Zwar habe die Gesellschaft (Anmerkung des Senats: die Klägerin zu 1)) die Mitteilung des weiteren Aktionärs Sachsen LB L S G über seine Beteiligung an der Gesellschaft im elektronischen Bundesanzeiger vom 05.05.2004 und vom 14.03.2005 bekanntgemacht. Über diese Mitteilung hinaus sei gemäß § 20 Abs. 1 i.V.m. § 16 Abs. 4, Abs. 1 und § 17 Abs. 2 AktG jedoch auch der Umstand mitteilungspflichtig, dass die Sachsen Finanzgruppe durch ihre Beteiligung an der Aktionärin Sachsen LB L S G (mittelbar) mehr als 25 % an der Gesellschaft erworben habe. Eine solche Mitteilung sei nicht erfolgt. Damit sei die Aktionärin Sachsen LB L S G temporär sämtlicher Verwaltungsrechte verlustig (BGH II ZR 30/05, Urteil vom 24.04.2006). Durch Einsicht in den elektronischen Bundesanzeiger kurz vor Beginn der Hauptversammlung habe er sich davon überzeugt, dass die Gesellschaft keine diesen Annahmen...

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