Entscheidungsstichwort (Thema)
Deliktische Haftung des Herstellers im Abgasskandal
Leitsatz (amtlich)
1. Manipulationen und falsche Angaben, mit denen gegenüber Behörden die Einhaltung rechtlicher Vorgaben vorgespiegelt wird, begründen Schadensersatzansprüche dritter Personen, wenn deren Vermögensinteressen sehenden Auges gefährdet werden, darin eine besondere Bedenkenlosigkeit ihnen gegenüber zum Ausdruck kommt und die Sittenwidrigkeit gerade im Verhältnis zum Geschädigten besteht (Anschluss an BGH, Urteil vom 20. November 1990 - VI ZR 6/90 Rn. 17 f., juris; Urteil vom 20. Oktober 1992 - VI ZR 361/91 Rn. 14, juris). Dies ist der Fall im Verhältnis zu den Käufern bei der Entwicklung und dem Inverkehrbringen eines mit dem Motor EA 189 ausgestatteten Fahrzeugs, das zur Erlangung einer EG-Typgenehmigung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist.
2. Der Schaden in Form der ungewollten Verbindlichkeit entstammt dem Gefahrenbereich der Vorschriften über das EG-Typgenehmigungsverfahren, weil die Typgenehmigung in das Zulassungsverfahren der Mitgliedsstaaten eingebettet ist, und erfasst damit gerade auch die Belange der Fahrzeughalter. Angesichts der marktsteuernden Zielrichtung und Wirkung dieser Normen schlägt der Makel der Typgenehmigung auf die zivilrechtlich geschlossenen Verträge durch und erweitert den Schutzbereich bei der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung auch auf die Erwerber.
3. Aufgrund des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots hat sich der Käufer die Vorteile, die er durch den Besitz des Fahrzeugs gehabt hat, anrechnen zu lassen. Dabei ist hinsichtlich des Nutzungsvorteils auf die ersparten Aufwendungen in Form des Wertverlusts, den er ansonsten bei einem alternativen mangelfreien Fahrzeugs erlitten hätte, abzustellen.
Normenkette
BGB §§ 31, 826; EG-FGV § 6; Richtlinie 2007/46/EG Art. 3 Nr. 36; EGVO 715/2007 Art. 5; ZPO § 138
Verfahrensgang
LG Hanau (Urteil vom 10.10.2018; Aktenzeichen 4 O 1315/17) |
Tenor
I. Der Senat weist darauf hin, dass er von einer Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB dem Grunde nach ausgeht. An dieser Stelle ist auf folgende maßgeblichen Punkte einzugehen:
Gründe
1. Die Beklagte hat dem Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt.
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögenschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (vgl. BGH, Urteil vom 07. Mai 2019 - VI ZR 512/17 -, Rn. 8, juris m.w.N.). Maßgeblich können dabei die Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden sein, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 - VI ZR 536/15 -, Rn. 16, juris m.w.N.). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (vgl. BGH, Urteil vom 07. Mai 2019 - VI ZR 512/17 -, Rn. 8, juris m.w.N.).
Die sittenwidrige Handlung lag hier in der Entwicklung und dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen, mit dem Motor EA 189 ausgestatteten Fahrzeugs, das zur Erlangung einer EG-Typgenehmigung mit einer Abschalteinrichtung versehen war.
Der in dem Fahrzeug des Klägers eingebaute Motor EA 189 war bei der Beklagten entwickelt worden und innerhalb des Konzerns zum markenübergreifenden weltweiten Einsatz in Dieselfahrzeugen vorgesehen und soll allein in Deutschland in rund 2,5 Mio. verkauften Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns eingebaut worden sein (becklink 2011642, beck-online). Der Motor war unstreitig werkseitig im Rahmen der Motorsteuerungssoftware mit einer Umschaltlogik versehen, die das Kraftfahrtbundesamt als unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007/EG angesehen hat.
Soweit sich die Beklagte darauf beruft, es läge lediglich eine innermotorische Maßnahme in Form der Abgasrückführung vor, die keine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle, steht dieser Vortrag bereits im Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten, nachdem sie den entsprechenden Bescheid des Kraftfahrtbundesamtes vom 14.10.2015 trotz des damit verbundenen finanziellen Aufwandes und drohenden Imageschadens bestandskräftig hat werden lassen. Darüber hinaus binden Verwaltungsakte im Rahmen ihrer Bestandskraft andere Gerichte und Behörden und sind von ihnen, selbst wenn sie fehlerhaft sind, bis zu ihrer Aufhebung zu beachten (vgl. BGH, Urteil vom 21. September 2006 - IX ZR 89/05