Entscheidungsstichwort (Thema)
Absehen von der Anhörung in Sorgerechtsverfahren
Leitsatz (amtlich)
In Sorgerechtsverfahren darf von der Anhörung nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden (§ 50a Abs. 3 FGG). Ein schwerwiegender Grund in diesem Sinne kann jedenfalls nicht in dem einmaligen Nichterscheinen eines Elternteils zu einem anberaumten Gerichtstermin gesehen werden.
Normenkette
FGG § 50a Abs. 1
Verfahrensgang
AG Wiesbaden (Aktenzeichen 533 F 232/05) |
Tenor
Der Beschluss vom 25.4.2006 wird aufgehoben.
Gründe
Die Parteien sind geschieden. Aus der Ehe sind die gemeinschaftlichen Kinder B., geboren am ...1997 und U., geboren am ...2000 hervorgegangen.
Erstinstanzlich hat die Antragstellerin beantragt, ihr die alleinige elterliche Sorge für das Kind U. zu übertragen. Nach Eingang der Stellungnahme des Jugendamtes hat das FamG Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt und zugleich das persönliche Erscheinen der Parteien angeordnet. Im Termin ist der ordnungsgemäß geladene Antragsgegner nicht erschienen. Mit der angegriffenen Entscheidung hat das FamG daraufhin noch am Ende der Sitzung die elterliche Sorge für U. auf die Antragstellerin alleine übertragen.
Die nach § 621e ZPO zulässige Beschwerde ist begründet. Die angegriffene Entscheidung beruht auf einem wesentlichen Verfahrensmangel.
Nach § 50a Abs. 1 FGG hört das Gericht in einem Verfahren, das die Personensorge für eine Kind betrifft, die Eltern in der Regel persönlich an. Von der Anhörung darf nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen (§ 50a Abs. 3 FGG). Ein schwerwiegender Grund in diesem Sinne kann jedenfalls nicht in dem einmaligen Nichterscheinen eines Elternteils zu einem anberaumten Gerichtstermin gesehen werden. Denn eine andere Wertung trägt der Bedeutung einer persönlichen Anhörung der Eltern in sorgerechtlichen Verfahren nicht die gebotene Rechnung. Sie dient nicht nur der nach § 12 FGG gebotenen Sachaufklärung. Es kommt hinzu, dass sorgerechtliche Entscheidungen besonders eingriffsintensiv sind, werden doch durch diese die persönlichen Verhältnisse und Beziehungen der Verfahrensbeteiligten wesentlich mitgestaltet. Vor diesem Hintergrund gebietet es auch der verfassungsrechtlich gebotene Grundrechtsschutz durch Verfahren, einen Elternteil in sorgerechtlichen Angelegenheiten persönlich anzuhören und hiervon nicht wegen einmaligem unentschuldigtem Ausbleiben abzusehen.
Da es sich um einen wesentlichen Verfahrensmangel handelt und weitere Ermittlungen geboten sind, ist es entsprechend § 572 ZPO (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 27.9.2002 - 1 WF 157/02, FamRZ 2003, 321) erforderlich, die erneute Sachentscheidung dem FamG zu überlassen. Mit Blick auf die Mitwirkung des Antragsgegners im jugendbehördlichen
Verfahren und unter Einbeziehung seiner in der angegriffenen Entscheidung nicht berücksichtigten Stellungnahme vom 10.5.2006 ist auch nicht ausgeschlossen, dass das FamG nach einer persönlichen Anhörung des Antragsgegners und ggf. weiter erforderlichen Ermittlungen zu einer anderen Entscheidung gelangt. Zumal auch der Rechtsprechung des BVerfG Rechnung zu tragen ein wird, nach welcher sich das FamG im Rahmen des § 1671 BGB unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ggf. auf eine teilweise Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge zu beschränken hat (vgl. BVerfG v. 1.3.2004 - 1 BvR 738/01, FamRZ 2004, 1015).
Fundstellen
Haufe-Index 1680248 |
NJW 2007, 230 |
AnwBl 2007, 37 |
ZKJ 2007, 35 |
OLGR-West 2007, 168 |
www.judicialis.de 2006 |