Entscheidungsstichwort (Thema)
Diesel-Skandal: Keine Ansprüche für im März 2017 gekauften Neuwagen mit Motor EA288
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 03.09.2021; Aktenzeichen 2-28 O 272/20) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 03.09.2021, Az. 2-28 O 272/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
3. Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 10.906,68 Euro festgesetzt (Gebührenstufe bis 13.000 Euro).
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die beklagte Kraftfahrzeugherstellerin wegen der behaupteten Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Tochter der Klägerin kaufte im März 2017 von der Beklagten einen VW Caddy mit einer Leistung von 110 kW als Neuwagen (Laufleistung: 0 km) zum Preis von 39.536,50 Euro (Anlage K1, K2). Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten 2,0-Liter-Dieselmotor des Typs EA 288 (Abgasnorm Euro 6) ausgestattet. Es verfügt über eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung (AGR) (sog. Thermofenster) und einen Katalysator zur Abgasnachbehandlung. Es ist nicht von einem Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) betroffen.
Das Fahrzeug wurde von der Klägerin im November 2019 bei einem Kilometerstand von 67.000 km für 19.800 Euro verkauft (vgl. Anlage A2, GA 239).
Mit Anwaltsschreiben vom 05.12.2020 forderte die Klägerin die Beklagte unter anderem zur Anerkennung von Schadensersatzansprüchen auf (Anlage K22).
Die Klägerin hat erstinstanzlich unter anderem behauptet, das Fahrzeug verfüge über eine Zykluserkennung, die den Prüfstand erkenne. Dort werde die Abgasrückführung verstärkt. Das Thermofenster bewirke, dass die Abgasreinigung nur zwischen +10°C und +32°C funktioniere; sie werde auch ab 1.000 Höhenmetern abgeschaltet (vgl. S. 14 der Klageschrift, GA 16). Auf dem Prüfstand werde der gesetzliche Stickoxid-Grenzwert eingehalten, da der NOx-Speicherkatalysator (NSK) bzw. der SCR-Katalysator (Selective Catalytic Reduction) dort aufgrund der Fahrkurvenerkennung anders als im normalen Straßenbetrieb gesteuert werde, was zu geringeren Emissionen führe. Der AdBlue-Tank des SCR-Systems sei zu klein. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, das Fahrzeug sei mit mehreren unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen. Dabei sei unerheblich, ob es über einen NSK- oder SCR-Katalysator verfüge. Die Beklagte treffe eine sekundäre Darlegungslast, unter anderem zu den Gründen von durch verschiedene Stellen im Realbetrieb gemessen höheren Stickoxid-Emissionen.
Die Beklagte hat die Aktivlegitimation der Klägerin bestritten und behauptet, das Thermofenster sei zwischen -24°C und +70°C vollständig aktiv. Erst außerhalb dieses Temperaturbereichs werde die Abgasrückführung ausgeschaltet (ausgerampt). Ein sog. Abrampen (stufenweises Zurückfahren) der Abgasreinigung finde nicht statt. Im streitgegenständlichen Fahrzeug sei zu keiner Zeit eine Fahrkurvenerkennung hinterlegt gewesen (vgl. z.B. S. 14 der Klageschrift, GA 86).
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivortrags und der gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen (vgl. GA 340 ff.). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin sei schon nicht aktivlegitimiert. Zwar habe sie nach Schluss der mündlichen Verhandlung eine Abtretungsvereinbarung eingereicht. Da diese allerdings nur von ihr und nicht auch von ihrer Tochter unterzeichnet sei, sei eine wirksame Abtretung der geltend gemachten Ansprüche selbst dann nicht ersichtlich, wenn die Klägerin die Abtretungsvereinbarung auch als Vertreterin ihrer Tochter unterzeichnet haben sollte, die aufgrund ihrer Schwerbehinderung unter Betreuung steht. Eine Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens bzw. Insichgeschäfts (§ 181 BGB) sei nicht ersichtlich. Außerdem sei eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nicht substantiiert dargetan. Der Verweis der Klägerin auf eine Zykluserkennung genüge nicht. Die Klägerin habe Ausführungen zu verschiedenen Katalysatoren gemacht. Bezüglich des Thermofensters mit angeblichem Temperaturbereich von +10°C bis +32°C bleibe unklar, auf welche Anhaltspunkte dieser trotz des substantiierten Bestreitens der Beklagten gestützt sei. Es sei nicht erkennbar, dass sich angebliche Messungen auf den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp bezögen und woraus die Klägerin auf die von ihr behaupteten Außentemperaturpunkte schließe. Ein Anhaltspunkt für eine unzulässige Abschalteinrichtung wie ein Rückruf liege nicht vor. Für das Fahrzeug werde auch keine freiwillige Servicemaßnahme angeboten. Der Vortrag der Klägerin dürfte daher ins Blaue hinein erfolgt sein. Bezüglich des On-Board-Diagnosesystems (OBD) sei nicht dargetan, dass das Abgassys...