Entscheidungsstichwort (Thema)

Äußerungsrecht: Zitat ohne Kontext kann unzulässiges Fehlzitat sein

 

Normenkette

BGB §§ 823, 1004; GG Art. 1-2

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 28.04.2022; Aktenzeichen 2-03 O 367/21)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 28.4.2022, Az. 2-03 O 367/21, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung von Ordnungsgeld bis zu EUR 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft zu vollziehen an ihrem Geschäftsführer, für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen,

wörtlich oder sinngemäß die nachfolgende Äußerung in Bezug auf den Kläger zu verbreiten und/oder öffentlich zugänglich zu machen und/oder verbreiten zu lassen und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen:

"Q schrieb auf Facebook: 'Während man nur noch von Corona redet, hat man den wahren Virus im Nahen Osten vergessen: Israel'",

wenn dies geschieht wie in einer Berichterstattung er Beklagten vom XX.XX.2021 mit dem Titel "...", abrufbar unter der URL www.(...).de(Anlage K2).

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von EUR 1.134,55 zu erstatten.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 70 % und die Beklagte 30 % zu tragen.

Das Urteil ist für den Kläger hinsichtlich des Unterlassungstenors gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 15.000,- und für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund des Urteils jeweils zu vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird in Abänderung der Festsetzung durch das Landgericht vom 2.9.2022 für das erstinstanzliche und auch für das zweitinstanzliche Verfahren auf EUR 50.000,- festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um von dem Kläger geltend gemachte Ansprüche auf Unterlassung in Bezug auf den von der Beklagten auf ihrer Webseite veröffentlichten Artikel vom XX.XX.2021 mit der Überschrift "..." sowie den Folgeartikel vom XX.XX.2021 mit der Überschrift "X distanziert sich".

Das Landgericht hat mit dem angegriffenen Urteil die Klage abgewiesen.

Wegen des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Gegen das Urteil des Landgerichts hat der Kläger Berufung eingelegt, mit welcher er sein erstinstanzliches Unterlassungsbegehren weiterverfolgt. Der Kläger betont die Schwere des Eingriffs in sein Persönlichkeitsrecht, die mit seiner Bezeichnung als Antisemit verbunden sei (vgl. BVerfG Beschl. v. 11.11.2021, 1 BvR 11/20). Dieser sei auch rechtswidrig. Entgegen der Ansicht des Landgerichts seien entsprechende Anknüpfungspunkte vorliegend nicht ersichtlich. Die angegriffenen Äußerungen wiesen mehrere nicht fernliegende Deutungsvarianten i.S. der "Stolpe-Doktrin" auf: Nach einem weiten Begriffsverständnis werde unter Antisemit jeder bezeichnet, der eine wie auch immer geartete negative Wahrnehmung von Juden habe; bei einem engen Verständnis sei dieser gleichbedeutend mit Judenhass. Die Behauptung, der Kläger sei Antisemit i.S. der engen Definition, was eine objektiv nachweisbare Tatsache darstelle, sei mit einer deutlich höheren Stigmatisierung verbunden als die Behauptung, der Kläger sei Antisemit i.S. der weiten Definition, was eine auf bestimmten Anknüpfungstatsachen beruhende persönliche Einschätzung darstelle.

Zu Unrecht habe das Landgericht die Äußerung lit. b als solche des Klägers gewertet; hierbei handele es sich um ein Zitat des Künstlers Y. Ferner habe das Landgericht nicht berücksichtigt, dass in dem Kontext, in dem die Äußerung gefallen sei, eine Kritik an der Siedlungspolitik der israelischen Regierung gegenüber Palästinensern zum Ausdruck komme. Diese Kritik sei nicht antisemitisch.

Auch in der Stellungnahme der X-Partei werde die Textpassage in dem Facebook-Beitrag fälschlicherweise als Kommentar des Klägers bezeichnet. Zudem habe sich die X-Partei nicht von einem "antisemitischen Post" oder "antisemitischen Äußerungen" des Klägers distanziert, sondern ausschließlich von dem verkürzten Zitat "Während man nur noch von Corona redet, hat man den wahren Virus im Nahen Osten vergessen: Israel." Dieses sei von der Beklagten bewusst aus dem Kontext gerissen, dem Kläger zugeschrieben und als Diffamierung des Landes Israel allgemein durch den Kläger dargestellt worden. Diese Darstellung sei falsch.

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Die Berufung verhalte sich hinsichtlich der Äußerung lit. a nicht zu dem Aussagegehalt des Facebook-Posts des Klägers. Die Beklagte habe gar nicht behauptet, dass der Kläger "antisemitisch sei" oder "ein Antisemit sei", sondern dass er sich (als Vertreter der X-Partei...

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