Entscheidungsstichwort (Thema)

Massezugehörigkeit einer Sache nach § 35 I Fall 2 InsO

 

Leitsatz (amtlich)

§ 35 Abs. 1 Fall 2 setzt für die Frage der Massezugehörigkeit einer Sache nicht zwingend voraus, dass der Insolvenzschuldner Eigentümer der betreffenden Sache ist.

 

Normenkette

InsO § 35 Abs. 1 Alt. 2

 

Verfahrensgang

LG Kassel (Urteil vom 09.12.2011; Aktenzeichen 9 O 2220/10)

 

Tenor

Dem Kläger und Berufungskläger wird in Bezug auf die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Auf die Berufung des Klägers und Berufungsklägers wird das am 9.12.2011 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des LG Kassel abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, an den Kläger und Berufungskläger EUR 12.770 nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5.1.2011 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug hat die Beklagte und Berufungsbeklagte zu 72,9 % und der Kläger und Berufungskläger zu 27,1 % zu tragen. Die Kosten des Rechtsstreits im zweiten Rechtszug hat die Beklagte und Berufungsbeklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 Prozent des gesamten vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Mit der Klage verfolgt der Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen des am ... Mai 2012 verstorbenen A gegenüber der Beklagten die Rückzahlung eines Geldbetrages.

Im Jahr 2006 ersteigerte die Beklagte das ehemals dem Insolvenzschuldner gehörende Grundstück "X" in Stadt1. Mit Zuschlagsbeschluss des AG Eschwege vom 20.12.2006 wurde die Beklagte Eigentümerin des Grundstücks.

Der Insolvenzschuldner durfte das Grundstück gegen Zahlung einer Nutzungsentschädigung weiterhin zu Wohnzwecken nutzen. Die Zahlung war für jedes Kalenderhalbjahr im Voraus zu leisten. Wegen der weiteren Einzelheiten der zugrunde liegenden Vereinbarungen wird auf die als Anlagen B1 und B2 in Kopie zur Akte gereichten Schreiben der Beklagten vom 3.1.2007 (Bl. 18 f. d.A.) sowie vom 16.1.2009 (Bl. 20 f. d.A.) verwiesen.

Nachdem der Insolvenzschuldner im Jahr 2009 die vereinbarte Nutzungsentschädigung nicht mehr geleistet hatte, beauftragte die Beklagte den Gerichtsvollzieher mit der Zwangsräumung des Grundstücks.

Mit Beschluss des AG Eschwege vom 26.5.2009 ist an diesem Tage um 14:45 Uhr das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Insolvenzschuldners eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt worden.

Der Gerichtsvollzieher setzte als Termin für die Zwangsräumung den ... Juli 2009, 09:30 Uhr, fest. Kurz vor diesem Termin begab sich der Insolvenzschuldner zu einem Kreditinstitut und hob EUR 12.770 von einem Konto der B ab. In Bezug auf dieses Konto besaß der bei der B angestellte Kläger eine Kontovollmacht. Diesen Betrag überreichte er am 12.7.2009 dem Gerichtsvollzieher in bar, der den Geldbetrag wenige Tage später an die Beklagte auskehrte.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Zahlung i.H.v. EUR 12.770 aus der Insolvenzmasse geleistet worden sei.

Der Insolvenzschuldner sei nämlich zumindest für eine logische Sekunde Eigentümer des Geldes geworden. Er habe das Geld ohne Rechtsgrund von dem Konto der B entnommen, möglicherweise sei zwischen der B und dem Insolvenzschuldner jedoch auch ein Darlehensvertrag geschlossen worden.

Der Kläger hat erstinstanzlich sinngemäß beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 17.511,28 nebst Zinsen i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 8.10.2010 zu zahlen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der Insolvenzschuldner habe nicht über zur Insolvenzmasse gehörende finanzielle Mittel verfügt.

Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird ergänzend Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Mit Urteil vom 9.12.2011 hat die 9. Zivilkammer des LG Kassel die Klage abgewiesen.

Ein Anspruch auf Rückzahlung der EUR 17.511,28 aus den §§ 129 ff. InsO komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die Zahlungen an die Beklagte nach Eröffnung des Insolvenzverfahren geleistet worden seien.

Überdies habe die Verfügung des Insolvenzschuldners nicht gegen die §§ 81, 89, 91 InsO verstoßen. Denn die Zahlungen seien nicht aus der Insolvenzmasse "erfolgt". Der Insolvenzschuldner habe nicht über einen Darlehensauszahlungsanspruch gegen die B verfügt, welcher als Neuerwerb in die Insolvenzmasse gefallen wäre. Denn ein Darlehensvertrag bezüglich der von dem Konto der B entnommenen Beträge sei zwischen dem Insolvenzschuldner und der B weder vor der Entnahme der Gelder noch vor der Übergabe beziehungsweise vor der Überweisung der Gelder an die Beklagte geschlossen worden.

Dies wäre nach Ansicht der Kammer aber notwendig gewesen, dam...

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