Entscheidungsstichwort (Thema)
Gebrauchtwagenkaufvertrag: Schadenersatzanspruch aufgrund behaupteter unzulässiger Abschalteinrichtungen
Leitsatz (amtlich)
1. Es fehlt bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems an einem arglistigen Vorgehen eines Automobilherstellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde, wenn die temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. (Rn. 29)
2. Hersteller wurden erst durch Art. 2 der am 16.5.2016 in Kraft getretenen VO (EU) 2016/646 formal verpflichtet, für neu zu genehmigende Fahrzeugtypen detailliert darzustellen, welche Emissionsstrategien in einem zu genehmigenden Fahrzeugmodell zum Einsatz kommen. (Rn. 35)
Normenkette
BGB § 826; EUV 2016/646 Art. 2
Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Urteil vom 28.01.2021; Aktenzeichen 3 O 1037/20) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 28. Januar 2021 wird zurückgewiesen.
Das Urteil des Landgerichts wird ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des gegen ihn vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte im Zusammenhang mit dem Dieselskandal auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger erwarb am 4.3.2019 bei einem Händler einen Gebrauchtwagen Audi A4 Avant 2.0 TDI quattro 140 kW S tronic, EZ: 5.7.2016, mit einem km-Stand von 64.646 zum Preis von 26.000,00 EUR. Das Fahrzeug ist nicht mit dem Motor EA 189 ausgestattet, sondern mit dem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Motor EA 288 der Schadstoffklasse EU 6. In dem Fahrzeug befindet sich ein SCR- Katalysator mit AdBlue-Technologie.
Für das Fahrzeug des Klägers ist kein Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt angeordnet worden.
Der Kläger hat behauptet, der Motor des Fahrzeugs weise eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt eines "Thermofensters" auf, durch welches die Wirksamkeit der Abgasreinigung bei Temperaturen unterhalb von +15°C heruntergefahren und bei einer Umgebungstemperatur von weniger als +10°C und über +33°C abgeschaltet werde. Zudem habe die Beklagte sich mit anderen Herstellern in unzulässiger Weise im Rahmen eines sog. Autokartells über technische Fragen und auch über Standards abgesprochen. Sie habe in einer Selbstanzeige aus dem Frühsommer 2017 eingeräumt, dass man bei Verwendung von SCR- Katalysatoren auch über eine sog. Eindosierungsstrategie bei AdBlue gesprochen habe, um den Verbrauch der Flüssigkeit zu reduzieren und den Nachfüllvorgang auf die Wartungsintervalle begrenzen zu können. Dabei sei auch über die temperaturbedingten Abschaltvorrichtungen diskutiert worden, wobei allen Beteiligten klar gewesen sei, dass derartige Tricks als unzulässige Abschalteinrichtungen verboten seien und zu vermeidbar erhöhten Emissionen an Stickoxiden führen würden.
Der Kläger hat ferner mit Nichtwissen bestritten, dass der verbaute SCR-Katalysator ausreichend dimensioniert sei, um auch bei kühlen und kalten Temperaturen für eine ausreichende Abgasreinigung zu sorgen, wenn das Abgasrückführungssystem nicht mehr oder nur noch eingeschränkt eingesetzt werden könne. Die Abschalteinrichtung sei im Genehmigungsverfahren nicht ausdrücklich offengelegt, sondern bewusst verschwiegen worden. Ferner bestehe der Verdacht, dass bei Überschreiten eines bestimmten Drehzahlniveaus ebenfalls die Wirksamkeit der Abgasreinigung beeinflusst bzw. beeinträchtigt werde. Diesbezüglich möge sich die Beklagte erklären.
Die Beklagte hat auf den Bericht der Untersuchungskommission V. (Anl. B1) verwiesen, wonach das Kraftfahrtbundesamt nach umfangreichen Felduntersuchungen auch durch RDE-Messungen (Real Drive Emissions = Emissionen im Straßenverkehr) festgestellt habe, dass die Umschaltlogik in den Motoren des Typs EA 288 nicht zum Einsatz komme. Sie hat die Auffassung vertreten, das zum Einsatz kommende Thermofenster sei zulässig. Es erfülle bereits nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 715/2007. In bestimmten Temperaturbereichen müsse die Abgasrückführungsrate aus Motorschutzgründen abgerampt (d.h. reduziert) werden. Sie hat ferner behauptet, die Abgasrückführung sei im Bereich zwischen -24° C und +70° C zu 100 % aktiv, außerhalb dieses Temperaturrahmens sei die Abgasrückführung inaktiv. Innerhalb des Fensters finde in Abhängigkeit zur Umgebungstemperatur keine kontinuierliche Abstufung, sog. Abrampung, statt. Dies bedeute, dass die Abgasrückführung ent...