Verfahrensgang
LG Hamburg (Aktenzeichen 322 O 194/21) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 09.11.2021, Az. 322 O 194/21, teilweise abgeändert und unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.550 EUR sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 367,32 EUR, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.06.2021, zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 87 % und die Beklagte zu 13 %.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die angefochtene Entscheidung ist nach Maßgabe der Ziffer I und II ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung des jeweiligen Vollstreckungsgläubigers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
1. IV. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 20.515,67 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird gemäß § 540 I 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
1. Ergänzend hierzu wird festgestellt:
Der Kläger erwarb am 07.04.2014 das streitgegenständliche Fahrzeug vom Typ Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4-Matic, Erstzulassung Januar 2010, zu einem Preis von 25.500 EUR bei einem Kilometerstand von 111.442 km. Es verfügt über einen Motor vom Typ OM 651, ist nach der Schadstoffklasse Euro 5 typgenehmigt und weist demgemäß keinen SCR-Katalysator auf. In der Motorsteuerung des Fahrzeugs ist eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) verbaut; die gesetzlichen Abgasemissionsgrenzwerte werden allerdings auch dann eingehalten, wenn diese Funktion vollständig deaktiviert ist.
Das Fahrzeug verfügt über ein Thermofenster, welches die Abgasrückführung (AGR) unterhalb einer Außentemperatur von 17 °C schrittweise reduziert; durch die Reduktion der AGR werden die gesetzlichen Emissionsgrenzwerte nur auf dem Prüfstand uneingeschränkt eingehalten.
Es liegt kein verpflichtender Rückruf des Kraftfahrzeugbundesamts (KBA) vor. Ein von der Beklagten freiwillig angebotenes Softwareupdate ließ der Kläger nicht aufspielen.
Mit der am 28.06.2021 zugestellten Klage hat der Kläger zunächst im Wesentlichen die Rückzahlung des gesamten Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeuges begehrt.
Am 24.08.2023, dem Tag vor der mündlichen Berufungsverhandlung, betrug die Laufleistung 196.860 km. Der Restwert des Fahrzeugs beläuft sich nach dem Vortrag des Klägers mindestens auf 9.200 EUR
2. Das Landgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil abgewiesen.
Zur Begründung führte es aus, dass eine Haftung nach § 826 BGB ausscheide. Unter Verweis auf das Urteil des BGH vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19 liege keine Sittenwidrigkeit vor, solange eine Verschleierung gegenüber dem KBA nicht stattgefunden habe. Eine Prüfstandserkennung sei nicht per se unzulässig, sondern nur, wenn daraus verbotene Konsequenzen gezogen würden, die zu einer höheren Abgasemission im Straßenbetrieb als auf dem Prüfstand führe. Auch sei es nicht ausreichend, dass in anderen Fahrzeugen mit demselben Motortyp unzulässige Abschalteinrichtungen gefunden wurden. Denn das KBA habe trotz gleichen Motortyps bei manchen Fahrzeugtypen gleichwohl keine Abschalteinrichtung festgestellt.
Eine Haftung der Beklagten nach § 823 Absatz 2 BGB i.V.m. der Verordnung (EG) 715/2007 scheide aus, da die Vorschriften der Verordnung nach der Rechtsprechung des BGH keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Absatz 2 BGB seien.
3. Gegen dieses Urteil, das ihm am 17.11.2021 zugestellt worden ist, hat der Kläger mit einem am 16.12.2021 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung fristgerecht mit einem am 17.02.2021 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Der Kläger ist der Auffassung, die Voraussetzungen des § 826 BGB seien erfüllt. Dies ergebe sich unter anderem aus dem Umstand, dass das von der Beklagten als freiwillige Servicemaßnahme angebotene Softwareupdate dasselbe sei, das die Beklagte auch in den Fällen eines verpflichtenden Rückrufs durch das KBA aufspielen lasse.
Die Beklagte habe eine Prüfstandserkennung verbaut, welche die Bedingungen des NEFZ erkenne und die KSR abschalte, sobald die Bedingungen des NEFZ nicht mehr erfüllt seien. Zudem erkenne das Fahrzeug die dem Prüfstand vorgelagerte Vorkonditionierung des Fahrzeuges. Die KSR greife erst nach ca. 15 Minuten ein, wenn der Motor warm sei. Die Bedatung sei so vorgenommen worden, dass die Funktion regelmäßig auf dem Prüfstand aktiv sei, jedoch im normalen Fahrbetrieb regelmäßig deaktiviert sei. Zudem habe das KBA einen applizierten Timer beanstandet, der die Zeitdauer des Prüfs...