Entscheidungsstichwort (Thema)
Vormundschaftliche Genehmigung der Ausschlagung einer Erbschaft durch Sozialhilfeempfänger
Leitsatz (amtlich)
1. Die Ausschlagung einer werthaltigen Erbschaft, die dazu führt, dass die Sozialhilfebedürftigkeit des vorläufigen Erben fortbesteht, verstößt gegen die guten Sitten, es sei denn die Ausschlagung kann ausnahmsweise durch ein überwiegendes Interesse des Erben motiviert werden.
2. Erfolgt die Ausschlagung durch den Betreuer des Sozialhilfeempfängers, so kann diesem die nach § 1822 Nr. 2 BGB notwendige vormundschaftsgerichtliche Genehmigung nicht erteilt werden.
Normenkette
BGB § 138 Abs. 1, § 1822 Nr. 2, § 1901 Abs. 2; SGB XII §§ 2, 90; BGB §§ 134, 138, 1901 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Beschluss vom 09.02.2009; Aktenzeichen 23 T 36/09) |
AG Rahden (Aktenzeichen 6 XVII H 66) |
Tenor
Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Der Betroffene ist infolge eines Verkehrsunfalls schwerstbehindert. Er lebt in einem Heim und besucht eine beschützende Werkstatt. Zu den insoweit entstehenden Kosten, die er nur teilweise aus eigenem Einkommen aufbringen kann, leistet der Landschaftsverband als Träger der Sozialhilfe einen Zuschuss.
Für den Betroffenen wurde 2002 eine Betreuung u.a. mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge eingerichtet. Betreuerin war zunächst die Mutter des Betroffenen. Nachdem diese am 17.8.2008 verstarb, wurde der Beteiligte zu 3), der Bruder des Betroffenen zum Betreuer bestellt.
Gesetzliche Erben nach ihrer Mutter sind der Betroffene und der Beteiligte zu 3) zu je ½. Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus einer Eigentumswohnung und Fondsanteilen. Der Nachlasswert beträgt jedenfalls 50.000 EUR. Zur Regelung der Nachlassangelegenheit bestellte das AG den Beteiligten zu 2), einen Onkel des Betroffenen, zum Ergänzungsbetreuer.
Durch notariell beglaubigte Erklärung vom 29.9.2009 erklärte der Beteiligte zu 2) für den Betroffenen die Ausschlagung der Erbschaft und ließ für die Erklärung die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung beantragen. Mit dem Genehmigungsantrag wurde dem Vormundschaftsgericht ein Vertrag zwischen dem Beteiligten zu 3) und dem Betroffenen - vertreten durch den Beteiligten zu 2) - vorgelegt. In diesem verpflichtet sich der Beteiligte zu 3), dem Betroffenen im Hinblick auf die Ausschlagung und vorbehaltlich der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung "nach billigem Ermessen solche Geld- und Sachleistungen zukommen zu lassen, die zur Verbesserung seiner Lebensqualität beitragen, auf die der Sozialhilfeträger aber ... nicht zugreifen kann und die auch nicht auf die ... gewährten Sozialleistungen anrechenbar sind".
Das AG hat die Genehmigung der Ausschlagungserklärung mit der Begründung verweigert, dass diese sittenwidrig sei. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das LG zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 2) namens des Betroffenen mit der weiteren Beschwerde.
II. Die weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29 FGG statthaft und formgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis des Betroffenen folgt aus dem Umstand, dass seine durch den Beteiligten zu 2) wirksam eingelegte Erstbeschwerde ohne Erfolg geblieben ist.
In der Sache ist die weitere Beschwerde unbegründet, da die Entscheidung des LG nicht auf einer Verletzung des Rechts beruht, § 27 Abs. 1 FGG. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das LG zutreffend von einer zulässigen Erstbeschwerde ausgegangen. Auch in der Sache hält die Entscheidung der rechtlichen Nachprüfung stand. Der Senat hält lediglich eine abweichende Akzentuierung der rechtlichen Begründung für erforderlich.
Die Entscheidung richtet sich nach § 1822 Nr. 2 i.V.m. § 1901 Abs. 2 und 3 BGB. Danach bedarf die Erklärung der Ausschlagung einer Erbschaft der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts; für die Entscheidung maßgeblich sind nach dem Sinn und Zweck der §§ 1821, 1822 BGB die - nicht allein objektiv zu bestimmenden - Interessen des Betreuten, wobei nicht allein seine finanziellen Interessen zu berücksichtigen sind, sondern alle Belange bei der Entscheidung Berücksichtigung finden müssen. Zum Wohl des Betreuten gehört es auch, ihm im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ein Leben nach seinen Wünschen und Vorstellungen zu ermöglichen (vgl. OLG Köln ZEV 2008, 196).
Das LG hat ein objektives Interesse des Betroffenen an der Erhaltung seines Erbteils mit der Begründung bejaht, dass dieses Interesse auch die Bestreitung des Lebensunterhalts aus eigenen Mitteln ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfe umfasse. Dieser Ansatz erscheint rechtlich nicht zweifelsfrei. Ist ein Betreuter, wie im vorliegenden Fall, zu einer auch nur ansatzweise selbständigen Lebensführung nicht ihn der Lage, so lassen sich kleinere Annehmlichkeiten schon aus den sozialrechtlich geltenden Schonbeträgen bestreiten. Für die dann im Mittelpunkt des Interesses stehende Bestreitung der Kosten für die Heimunterbringung macht es jedoch aus Sicht des Betroffenen, wie die weitere Beschwerde geltend macht, keinen Unterschied, ob...