Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachlasspflegschaft (Sicherungsbedürfnis)
Leitsatz (amtlich)
1. Ein die Einrichtung einer Nachlasspflegschaft erforderndes Sicherungsbedürfnis i.S.v. § 1960 BGB besteht, wenn ohne Eingreifen des Nachlassgerichts der Bestand des Nachlasses gefährdet wäre.
2. Für die Annahme einer Gefährdung des Nachlasses bedarf es konkreter Anhaltspunkte, die über die bloße Unsicherheit darüber, wer Erbe geworden ist, hinausgehen.
3. Ein Sicherungsbedürfnis besteht nicht, wenn der Nachlass durch einen vertrauenswürdigen und hierzu befähigten Erbprätendenten verwaltet wird.
4. Hat der den Nachlass verwaltende Erbprätendent - mit der Folge, dass gutgläubiger Erwerb möglich geworden ist - die Umschreibung von Grundstücken auf sich erwirkt und hat sich das im Nachlass befindliche Geldvermögen wesentlich vermindert, so bedarf die Verneinung eines Sicherungsbedürfnisses der Begründung.
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Beschluss vom 26.02.2004; Aktenzeichen 4 T 326/03) |
Tenor
1. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten Nr. 2 und Nr. 3 wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Freiburg vom 26.2.2004 - 4 T 326/03 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG Freiburg zurückverwiesen.
2. Der Geschäftswert wird für das Verfahren der weiteren Beschwerde auf 100.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.1. Die am 21.7.2001 im Alter von 97 Jahren verstorbene Erblasserin war kinderlos, ihr Ehemann war vorverstorben. Die Eheleute hatten sich in einem notariellen Ehe- und Erbvertrag v. 2.7.1952 gegenseitig zum unbeschränkten Alleinerben eingesetzt (I 9). Unter Bezugnahme hierauf haben sie in zwei wortgleichen, vom Ehemann (I 11) bzw. der Ehefrau (I 13) geschriebenen und jeweils von beiden unterschriebenen eigenhändigen Testamenten vom 12.10.1983 verfügt:
"...
Hiermit schließen wir, A. G. und Frau M. geb. H., unsere Brüder
a) G. G., sowie seine Adoptivtochter R.,
b) C. H., sowie seine Ehefrau E., geb. T., von der gesetzlichen Erbfolge aus.
...."
Mit öffentlichem Testament vom 3.11.1997 (I 15/19; Leseabschrift I 21/23) hat die Erblasserin die Beteiligte Nr. 1 zur Alleinerbin eingesetzt und den Beteiligten Nr. 2 und Nr. 3 jeweils 100.000 DM als Vermächtnis zugewendet. Die Beteiligten Nr. 1 bis Nr. 3 sind Abkömmlinge des Bruders der Erblasserin, C. H.
2. Anders als die Beteiligte Nr. 1 selbst halten die Beteiligten Nr. 2 und Nr. 3 die Einsetzung ihrer Schwester zur Alleinerbin mit der Begründung für unwirksam, die Erblasserin sei bei Errichtung des Testaments vom 3.11.1997 testierunfähig gewesen. Unter dem 31.1.2002 haben sie gegen die Beteiligte Nr. 1 zum LG Freiburg Klage auf Feststellung erhoben, dass sie die Erblasserin neben der Beteiligten Nr. 1 zu je 1/3 beerbt haben. In diesem Verfahren - 14 O 29/02 - hat das LG ein schriftliches psychiatrisches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. zur Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin eingeholt (Gutachten vom 15.10.2003); in der mündlichen Verhandlung vom 23.1.2004 hat der Einzelrichter in Anwesenheit des Sachverständigen mehrere Zeugen gehört und die schriftliche Ergänzung des Sachverständigengutachtens angeordnet.
3. Auf Anregung des Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten Nr. 2 und Nr. 3 hat das Nachlassgericht durch Beschluss vom 21.11.2003 Nachlasspflegschaft (Wirkungskreis: Besitznahme und Verwaltung des Nachlasses) angeordnet und den Beteiligten Nr. 4 zum Nachlasspfleger bestellt. Zur Begründung hat es ausgeführt, aufgrund des im Verfahren 14 O 29/02 LG Freiburg erstatteten psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Schröder - dieses sei zum Ergebnis gekommen, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments am 3.11.1997 aus gerontopsychiatrischer Sicht testierunfähig gewesen sei - werde die Alleinerbenstellung der Beteiligten Nr. 1 zumindest erschüttert, so dass der Erbe unbekannt sei. Für die Sicherung des Nachlasses bestehe ein Bedürfnis, weil die Beklagte Nr. 1 den gesamten Nachlass in Besitz genommen habe und ihre Geschwister ersichtlich davon ausschließen wollte; in den Grundbüchern von Sulzburg sei sie als Alleineigentümerin des dort bezeichneten Grundbesitzes eingetragen, so dass sie hierüber verfügen könne und ein gutgläubiger Dritter Eigentum erwerben würde.
4. Gegen den Nachlasspflegschaft anordnenden Beschluss hat die Beteiligte Nr. 1 mit Anwaltsschriftsätzen vom 3.12.2003 (II 1/7) und nochmals vom 4.12.2003 Beschwerde eingelegt.
5. Mit Beschluss vom 5.3.2004 hat das LG den Beschluss des Nachlassgerichts vom 21.11.2003 mit der Begründung aufgehoben, der Erbe der Erblasserin sei zwar unbekannt, es fehle aber an einem Bedürfnis für eine Nachlasssicherung. Hiergegen richtet sich die mit Anwaltschriftsatz vom 8.3.2004 eingelegte weitere Beschwerde der Beteiligten Nr. 2 und Nr. 3, mit der sie die Anweisung an das Nachlassgericht erstreben, erneut Nachlasspflegschaft anzuordnen und einen Nachlasspfleger zu bestellen. Die Beteiligte Nr. 1 ist dem Rechtsmittel entgegengetreten, der Beteiligte Nr. 4 ha...